Das Parlament: Es hat den Anschein, Sie sehen die deutsche Ausgabe ihres Buches zum ersten Mal.
Amira Hass: Ja. In Deutschland verbindet man mit dem Davidsstern etwas Anderes als hier. Es war mein Fehler, dass ich nicht darum bat, das Titelfoto vor dem Druck sehen zu können. Ich werde dem Verlag noch heute schreiben, um ihm mitzuteilen, dass ich nicht sehr glücklich über das Foto bin.
Das Parlament: Gab es einen Auslöser für dieses Buch?
Amira Hass: Nein. Es ist eine Sammlung von Kolumnen, die ich in den vergangenen sechs Jahren für die italienische Zeitung "Internazionale" verfasst habe. Zu Beginn der zweiten Intifada bat mich diese Zeitung, für sie zu schreiben und hat dann daraus ein Buch gemacht. Der Beck-Verlag wollte es dann ebenfalls veröffentlichen. Es ist wie ein Tagebuch der vergangenen sechs Jahre. Dann haben wir einige analytische Aufsätze von mir hinzugefügt, in denen es hauptsächlich um die Politik der israelischen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit geht. Das Besondere an der deutschen Ausgabe ist, dass sie einige Beiträge aus der jüngsten Zeit enthält, die erst nach der Veröffentlichung des italienischen Buches entstanden sind.
Das Parlament: Inwieweit wurde Ihre Arbeit von der politischen Situation behindert?
Amira Hass: Der Strom fällt aus. Oder ich stecke an einem Kontrollpunkt oder vor einem Panzer stundenlang fest und schaffe es nicht nach Hause, um meine Kolumne zu schreiben. Aber das ist Teil der Arbeit. Es bedeutet zusätzlichen Druck und zusätzliche Schwierigkeiten. Man kann in gewisser Weise sagen, dass all das die Arbeit verbessert hat, denn es lässt mich Dinge aus dem Alltag erfahren und nicht vom Hörensagen oder von Telefongesprächen.
Das Parlament: Worin unterscheiden sich die Kolumnen dieses Buches von jenen Beiträgen, die Sie für "Ha´aretz" schreiben?
Amira Hass: Sie sind eher Momentaufnahmen des täglichen Lebens, und manchmal meine Gedanken, wenn ich unterwegs bin. Es sind Kolumnen, bei denen ich mehr Freiheiten als bei meinen "Ha´aretz"-Beiträgen habe. Da sie sehr kurz sind, habe ich gelernt, zur Sache zu kommen. Wie ich in der Einleitung schreibe, fühle ich mich dem Buch gegenüber ein bisschen fremd: Ich habe ursprünglich auf Englisch geschrieben, das nicht meine Sprache ist. Dann wurde es ins Italienische und parallel ins Deutsche übersetzt. Beide Sprachen spreche ich nicht.
Das Parlament: "Morgen wird alles schlimmer." - Wie kam es zu diesem Titel?
Amira Hass: Der italienische Herausgeber fragte mich nach einem Titel - das war vor zweieinhalb Jahren. Ein Titel, den ich vorschlug, und dem ich auch den Vorzug gab, war: "Morgen wird alles schlimmer". Ich denke, ich darf das Geheimnis verraten: Der deutsche Verleger war von diesem Titel anfangs schockiert. So wollte er es nicht veröffentlichen. Das war ihm dann doch zu viel. Man schlug andere Titel vor. Aber nichts passte hundertprozentig. Ich sagte dann, das dieser Titel für mich die einzige Schlussfolgerung sei. Und leider gibt mir die Realität Recht, dass dies der richtige Titel ist.
Das Parlament: Wie ist es, als einzige Israelin im palästinensischen Ramallah zu leben?
Amira Hass: Es leben noch zwei Menschen mit israelischem Pass in Ramallah. Es ist für mich eher seltsam, nun hier in Jerusalem zu sein.
Das Parlament: Die palästinensische Realität der vergangenen sechs Jahre kennen außer einer Hand voll israelischer Journalistenkollegen nur ganz wenige Israelis aus eigenem Erleben. Wie schwierig ist es, den palästinensischen Alltag der israelischen Öffentlichkeit zu vermitteln?
Amira Hass: Es ist schwierig, da die Israelis die Besatzer sind. Und zwar die Besatzer, die sich vor allem zu Beginn der Intifada als Opfer sahen - und darin zeichnen sie sich aus. Denn vor der Intifada wollten sie das Scheitern und die Täuschungen des Oslo-Prozesses nicht sehen. Es ist schwierig, Israelis, die palästinensische Realität zu vermitteln. Genauso, wie es schwierig ist, jeder privilegierten Gruppe klarzumachen, dass etwas falsch ist, wenn man Privilegien auf Kosten anderer genießt. Dagegen muss man ankämpfen.
Das Parlament: Enthält dieses Buch eine andere Botschaft als Ihr Gaza-Buch?
Amira Hass: Es ist dieselbe Botschaft. Die israelische Wirklichkeit und die israelische Politik haben sich nicht geändert. Beides ist schlimmer geworden. Es gibt jetzt in punkto israelisch-militärischer Unterdrückung Dinge, die ich mir vor zehn Jahren nicht habe vorstellen können.
Das Parlament: Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Amira Hass: All die Jahre der Eskalation des Tötens, bevor die Palästinenser ihre eigene Eskalation des Tötens begannen. Dazu kommt die israelische Politik der Abriegelung und der Einschränkung der Bewegungsfreiheit sowie der Prozess der Kolonisierung: All das ist in den vergangenen sechs Jahren schlimmer geworden - eigentlich auch durch Oslo. Im Großen und Ganzen, wenn Sie auf das Westjordanland schauen, wird das Ziel, das palästinensische Land zu zerstückeln, ohne großes Blutvergießen erreicht. Dies ist vielleicht einer der Gründe - und Palästinenser müssen darüber einmal nachdenken - warum im Westen die Menschen eher an Kassam-Raketen und Selbstmordattentate denken als an die israelische Unterdrückung. Für sie existiert die Besatzung in gewisser Weise nicht mehr.
Das Parlament: Sie schreiben, dass es selbst in Ihrer Muttersprache Hebräisch keine Worte gibt, um die Realität zu beschreiben.
Amira Hass: Manchmal bin ich sprachlos.
Das Parlament: Angenommen, ein einflussreicher Deutscher würde dieses Buch lesen: Was könnte er mit dem Wissen, das er durch die Lektüre erworben hat, anfangen?
Amira Hass: Ich verstehe ganz und gar, wie den Deutschen im Besonderen und den Europäern im Allgemeinen der Staat Israel und seine Zukunft am Herzen liegt. Ich wünsche mir aber, dass sie sehen, dass diese Politik Israels möglicherweise die Zukunft jüdischer Gemeinden in dieser Gegend gefährdet. Wenn Israel den Palästinensern so viel Leid und Unrecht zufügt und ein System der De-facto-Apartheid schafft, in der eine ethnische Gruppe Privilegien auf Kosten anderer hat, dann kann es nicht auf ewig Bestand haben. Ich habe Angst davor. Die israelische Politik gefährdet unsere Zukunft hier. Ich erinnere mich an 1998, als Netanjahu an der Macht war. Da wurde mir die gleiche Frage von zwei sehr unterschiedlichen Palästinensern gestellt. Einer war Saeb Erekat, einer der Unterhändler. "Sag mir Amira, denken Israelis nicht an ihre Enkel?", fragte er. Und ein Bauer, dessen Olivenbäume mehrmals von Siedlern niedergebrannt wurden, fragte mich dasselbe. Ich hatte das Gefühl, er hatte sehr viel Mitgefühl mit Israelis.
Das Parlament: Sehr oft waren Sie es, die als Erste neue israelische Repressions-Maßnahmen gegen das palästinensische Volk entdeckt hat. Woher nehmen Sie die Stärke, Tag für Tag neues Unrecht aufzudecken?
Amira Hass: Ich kann doch nicht zu einem normalen Leben in Tel Aviv zurückkehren und so tun, als ob dies alles nicht existieren würde. Deshalb schätze ich mich glücklich, dass ich für diese ziemlich tolerante Zeitung ("Ha´aretz") schreiben kann. Ich habe immer eine kleine Hoffnung, dass meine Worte die Menschen erreichen. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich schreiben und so meine Wut ausdrücken kann. Was mir schon die ganze Zeit Energie verleiht, ist letztlich meine Wut.
Amira Hass: Morgen wird alles schlimmer. Berichte aus Palästina und Israel. C.H. Beck, München 2006, 213 S. 19,90 Euro.