Das sind nur Freiheitskämpfer. Also
lassen Sie diese Panikmache und hören Sie auf über
Terroristen-Lager in Afghanistan zu spekulieren. Das sind doch nur
Freiheitskämpfer gegen diesen Massud", behauptete ein
hochrangiger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) noch
ein Jahr vor den Terroranschlägen am 11. Septembers 2001. Auf
eine Diskussion ließ er sich gar nicht erst ein. Mit der
Bemerkung "alles Quatsch" fegte er sämtliche Einwände vom
Tisch. Tatsächlich klang es so, als ob der BND und seine
befreundeten westlichen Geheimdienste über alle Vorgänge
vor Ort bestens informiert seien, nicht zuletzt deshalb, weil sie
über eigene Spione in den Ausbildungslagern Osama bin Ladens
verfügten.
Nicht überprüfbare Angaben
Heutzutage äußern sich hochrangige CIA-Mitarbeiter
und intime Kenner der Geheimdienste ganz anders. Auch im
ausführlichen Abschlussbericht der Untersuchungskommission des
US-Kongresses, der die näheren Umstände der Terrorakte
vom 11. September aufklären sollte, finden sich keine Hinweise
auf westliche Agenten in afghanischen Terrorcamps.
Gab es sie dennoch?
Unter dem Pseudonym "Omar Nasiri" verfasste
ein angeblicher Agent einen Bericht über sein "Leben bei
al-Qaida". Zwei bekannte Terror- und Taliban-Experten loben das
Buch als "großartig", denn es erlaube einen einmaligen Blick
hinter die Kulissen des Terrornetzwerkes. Einer der Experten ist
der pakistanische Publizist Ahmed Rashid, der andere Michael
Scheuer, den die Deutsche Verlags-Anstalt auf dem Klappentext als
ehemaligen Leiter der CIA-Abteilung "Osama bin Laden" vorstellt.
Der Leser hingegen kann die Angaben nicht überprüfen,
denn der Autor will anonym bleiben. Bei "Omar Nasiri" erfährt
der Leser all das, was er schon immer über den islamistischen
Terrorismus wissen wollte: Wie gelangte man in ein Camp? Wie lief
die Ausbildung ab? Hinzu kommt ein spannender Plot: Erzählt
wird die Geschichte eines moslemischen Jungen aus Marokko, der in
einen Islamistenkreis in Belgien gerät.
Später meldet er sich beim
französischen Auslandsgeheimdienst DGSE. Denn diese Leute
würden "keine Skrupel haben", sich mit "jemandem wie mir die
Hände schmutzig zu machen". Dem DGSE bot sich Nasiri diskret
als Agent an, um in der Islamisten-Szene eingesetzt zu
werden.
Danach beginnen Nasiris atemberaubende
Abenteuer: Der "Held" des Buches reist über Pakistan nach
Afghanistan und lässt sich dort zum Gotteskrieger ausbilden.
Nebenbei lernt er alle möglichen Leute kennen, bekannte und
weniger bekannte Terroristen, angefangen von einem
Korsika-"Befreiungskämpfer" über Mitglieder von al-Quaida
und verschiedene andere Dschihadisten bis hin zu Arabern auf dem
Weg nach Tschetschenien. Dieses Insider-Wissen macht ihn so
einzigartig, dass ihn der französische Geheimdienst nach
seiner Rückkehr zuweilen an Briten und Deutsche ausleiht. Das
findet der BBC-Experte für Terrorismus, Gordon Corera, in
seinem Nachwort zumindest "ungewöhnlich".
Wie in einem Theaterstück listet
"Nasiri" zu Beginn jedes Kapitels die handelnden Personen auf. Um
dem Leser die Orientierung zu erleichtern, fügt er eine
Zeitleiste mit den wichtigsten Ereignissen hinzu. Auch wenn Nasiris
Abenteuer in der Terror- und Geheimdienst-Szene nicht so gut
geschrieben sind wie ein Agenten-Thriller, bemüht sich der
Autor doch darum, den Leser zu unterhalten.
Wie viel ernsthafter im Vergleich dazu liest
sich das neue Werk von Frederick Forsyth. Auch der Altmeister des
Polit-Thrillers erzählt in "Der Afghane" die Geschichte eines
Undercover-Agenten.
Im Auftrag des MI6
Bei einem in Pakistan verhafteten Finanzier der al-Qaida werden
Briefe gefunden, die auf einen neuen Angriff gegen den Westen
hindeuten. Wo und wann werden die Islamisten zuschlagen? Welche
Waffen werden sie benutzen? Alle diese wichtigen Informationen
könnte man erhalten, gelänge es CIA und MI6, einen
eigenen Agenten ins Terrornetz einzuschleusen. Während eines
Geheimtreffens von Islam-Experten plaudert einer der
Wissenschaftler aus, dass sein Bruder in der Lage sei, die Rolle
eines Terroristen überzeugend zu spielen. So kommt es, dass
der pensionierte Colonel Mike Martin, international bekannt durch
seinen heldenhaften Einsatz im Irak während des Golf-Krieges,
vom Geheimdienst ihrer Majestät um Hilfe gebeten wird.
Daraufhin erhält Martin die Legende eines Mannes, der bei den
Guantánamo Häftlingen respektvoll nur als "der Afghane"
bekannt ist. Martin übernimmt dessen Identität, um den
Anschlag zu verhindern.
Forsyth hat erneut einen spannenden Roman
vorgelegt, der angesichts seiner historisch-politischen
Hintergründe sowie der geschilderten technischen und
kriminalistischen Details einer Dokumentation nahe kommt. Darunter
hat allerdings der Held der Geschichte zu leiden, der als Person
seltsam blass bleibt.
Welche der beiden Geschichten nun näher
an die Wahrheit heranreicht, muss der Leser selbst
entscheiden.
Omar Nasiri:
Mein Leben bei al-Qaida. Die Geschichte
eines Spions.
Deutsche Verlags-Anstalt,
München 2006;
496 S., 19,90 ¤
Frederick Forsyth:
Der Afghane. Roman.
C. Bertelsmann Verlag,
München 2006;
349 S., 19,95 ¤