Elena Viktorovna? Wladimir Wladimirowitsch
Putin würde gern mit Ihnen zu Mittag essen (...) Es war Igor
Setschin, der jetzige Büroleiter des Präsidenten." Das
Telefonat fand im Dezember 1998 statt, als der heutige
Präsident Russlands noch Chef des Föderalen
Sicherheitsdienstes (FSB) war. Elena Viktorovna Tregubova glaubt,
dass dieses Mittagessen "der indirekte Grund" für "ihre
Vertreibung aus dem Kremlpool" war.
Vier Jahre lang gehörte Tregubova zu der
ausgewählten Journalistenschar, die aus dem Kreml berichten
und den damaligen Präsidenten Boris Jelzin bei seinen Reisen
begleiten durfte. Plötzlich jedoch wurde sie von ihrem
unzufriedenen Arbeitgeber, dem Herausgeber des "Kommersant",
abberufen. Daraufhin gönnte sich Tregubova eine Auszeit und
schrieb 2003 die "Geschichten eines Kreml-Diggers" und danach "Der
Abschied eines Kreml-Diggers".
Unter den Geschichten, von denen die Autorin
zu berichten weiß, finden sich allerdings Begebenheiten, die
eher an den "Pulitzer-Preis verdächtigen" Reporter-Einsatz von
Bridget Jones in "Schokolade zum Frühstück erinnern. Der
Präsident hatte die Journalistin einmal während einer
Reise in die Provinz stolz den einheimischen Hersteller ihres
schicken Outfits gelobt. Natürlich konnte sie ihm diese
Falschinformation nicht durchgehen lassen und wies den
Präsidenten tapfer darauf hin, dass sie das Kleid in
Frankreich erstanden habe. So viel "Schneid" wünscht man sich
auch an anderen Stellen.
In einer überarbeiteten Fassung sind die
Bücher jetzt unter dem Titel "Die Mutanten des Kreml" im
Tropen Verlag erschienen. Auch hier fehlen Hinweise auf die
scheindemokratische Entwicklung Russlands unter Präsident
Jelzin ebenso wie Kritik daran, dass in seiner Amtszeit das
ressourcenreichste Land der Erde durch Korruption und Oligarchentum
heruntergewirtschaftet wurde. Dass die Politik des häufig
betrunkenen "Großväterchens" das demokratische Modell in
der Bevölkerung diskreditierte, verschweigt die Autorin
natürlich auch.
Zurückdrehen der Reformen
Nur oberflächlich berührt sie die Intrigen in und um
den Kreml. Dabei "entdeckte" Tregubova Wladimir Putin, der ihr noch
als Abteilungsleiter im Präsidialamt steckte, dass nur die
Geheimdienste Russland aus dem Chaos retten könnten. Nachdem
die Journalistin Boris Jelzin mit warmen Worten in den Ruhestand
entlassen hatte, ging sie mit seinem Nachfolger umso härter
ins Gerich: "In einem phänomenalen Tempo machte Putin alle
Jelzinschen Reformen rückgängig, beseitigte alle
grundlegenden Institutionen im Land, schaffte die Meinungsfreiheit
ab, nahm den Massenmedien ihre Eigenständigkeit, liquidierte
das unabhängige Fernsehen und schaffte (...) auch die
Wahlfreiheit ab." Anstatt "Demokratie und eine offene Gesellschaft
zuzulassen", ziehe Putin Russland "zurück in eine vermoderte
diktatorische Vergangenheit", klagt Elena Tregubova.
Obwohl in Russland eine scharfe Zensur
vorherrscht, kann man ihre Bücher bis heute in jeder gut
sortierten Buchhandlung in Moskau kaufen. Sie verkauften sich gut
und standen in den Auslagen direkt neben den ersten offiziellen
russischen Putin-Biografien. Eines weiß der Kreml-Herrscher
schließlich ganz genau: Kritische Bücher werden seine
Macht nicht gefährden.
Zu Recht wieß die "Süddeutsche
Zeitung" darauf hin, dass sich manche Enthüllungen Tregubovas
"auf dünnem Eis" bewegen. Tatsächlich erfährt der
Leser kaum Neues über das Kreml-System. Geradezu
ärgerlich sind die unkritischen Urteile in der deutschen
Presse, die Tregubova auf dieselbe Stufe mit Anna Politkowskaja
stellen oder sie sogar als Russlands "mutigste Journalistin" ("Die
Welt") feiern. Wenigstens ist das Buch amüsant zu lesen.
Elena Tregubova:
Die Mutanten des Kreml. Mein Leben in Putins
Reich.
Tropen Verlag, Berlin 2006; 377 S.,
19,80 ¤