Richtig guter Stimmung ist Josef Hecken,
Justiz- und Gesundheitsminister an der Saar: Der CDU-Politiker
jubelt über eine "historische Entscheidung" Justitias.
Heinz-Günter Wolf hingegen findet bittere Worte der Kritik:
"Das ist ein Schritt in die falsche Richtung", empört sich der
Präsident der Bundesvereinigung Deutscher
Apothekerverbände, ein deutsches Gericht ebne den Weg zu einem
"rein dem Kapital verpflichteten Apothekenwesen". Ralf
Däinghaus wiederum freut sich über das Urteil: "Der
deutsche Markt ist für uns besonders wichtig", und deshalb
wolle man hierzulande einen Standort haben.
Däinghaus ist Chef des
holländischen Medikamente-Versandhandels Doc Morris, der
rezeptfreie Arzneien um bis zu 30 Prozent unter den üblichen
Marktpreisen verkauft. Und dieser Billiganbieter ist es, der
momentan für helle Aufregung in der politischen Arena von der
Landes- bis zur EU-Ebene, vor Justitias Schranken und auf dem
Schlachtfeld wirtschaftlicher Interessen sorgt: Entgegen den
hiesigen Restriktionen zugunsten angestammter Apotheken erlaubte
jetzt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Saarlouis unter Verweis auf
die im EU-Recht verankerte Niederlassungsfreiheit Doc Morris, die
im Sommer 2006 in Saarbrücken eröffnete und dann per
Gerichtsverfügung monatelang geschlossene Niedrigpreis-Filiale
wieder zu öffnen.
Bei diesem Konflikt dreht es sich nicht
einfach um das Schicksal einer von rund 21.000 deutschen Apotheken,
vielmehr steht mit dem Angriff eines ausländischen
Billigkonkurrenten die Liberalisierung des gesamten Apothekenmarkts
auf dem Spiel. Nach hiesigem Recht dürfen nur ausgebildete
Apotheker eine Apotheke besitzen und höchstens drei Filialen
ihr eigen nennen, in- und ausländischen Kapitalgesellschaften
wie etwa Doc Morris ist dies verwehrt.
Die Begründung für diese
Reglementierung: Wirtschaftliche Interessen sollen sich nicht
negativ auf die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten
auswirken. Heckens Staatssekretär Wolfgang Schild sieht im
deutschen Gesetz indes nichts anderes als das "Ergebnis
hervorragender Lobbyarbeit".
Mit der vergangenen Sommer von ihm
verfügten Zulassung der Saarbrücker Doc-Morris-Dependance
will der CDU-Minister bewusst einen Präzedenzfall mit
bundesweiter Ausstrahlung schaffen, um die Öffnung des
Apothekenrechts zugunsten der EU-Regelungen mit ihrer Garantie
grenzübergreifender Niederlassungsfreiheit durchzusetzen.
Hecken kalkuliert, dass bis zu acht Prozent der
Arzneimittelausgaben vermieden werden können.
Die Grünen, die ebenfalls für eine
Liberalisierung eintreten, beziffern das Einsparvolumen auf rund 2
Milliarden Euro. Däinghaus macht sich dafür stark, auch
bei verschreibungspflichtigen Medikamenten das Festpreissystem zu
kippen und Wettbewerb zu ermöglichen.
Doc Morris erlässt bei solchen Arzneien
den Kunden bereits einen Teil der Zuzahlung. Der Manager: "Das
zeigt, dass bei den Preisen noch Luft drin ist." Der
AOK-Bundesverband erhofft sich von einer Liberalisierung eine
Senkung der Arzneikosten. Als Patientenbeauftragte der
Bundesregierung begrüßt Helga Kühn-Mengel die neue
Entwicklung: Mehr Konkurrenz ermögliche es Versicherten und
besonders chronisch Kranken, Geld zu sparen.
Die Saar-SPD wirft Hecken vor, eine
Änderung des Apothekenrechts auf dem Umweg über die EU
bewerkstelligen zu wollen. Bislang kann sich der CDU-Minister durch
den Gang der Dinge bestätigt sehen. Wobei beim
gegenwärtigen Rechtsstreit nicht der legale
Medikamentenvertrieb per Post zur Debatte steht, dessen Volumen
hierzulande noch bei etwa einem Prozent dümpelt und dessen
Potenzial auf acht bis zehn Prozent Marktanteil geschätzt
wird. Den eigenen Versandhandel in Deutschland will Doc Morris (180
Millionen Euro Umsatz 2006) über eine Niederlassung ebenfalls
von Saarbrücken aus intensivieren.
Gegen die Zulassung einer "richtigen" Filiale
in der Saar-Hauptstadt, hinter deren Tresen die ausgebildete
Ex-Besitzerin nun als Angestellte Hustensäfte und
Schmerzsalben verkauft, klagten mehrere Apotheken und die
Apothekerkammer. Im Eilverfahren gewannen die Beschwerdeführer
auch zunächst, das Verwaltungsgericht Saarlouis verfügte
die Schließung des Doc-Morris-Geschäfts: Bis zur
Klärung des Grundsatzkonflikts zwischen EU- und deutschem
Recht müsse Letzteres in Kraft bleiben. Das OVG aber hob im
Rahmen des Eilverfahrens dieses Urteil jetzt auf: Das EU-Recht mit
seiner garantierten Niederlassungsfreiheit habe Vorrang.
Das Verwaltungsgericht Saarlouis muss nun in
der Hauptsache entscheiden. Gut möglich, dass dieses Kollegium
unabhängig vom Gang durch die Instanzen seitens der
Prozessparteien den brisanten Fall gleich dem EU-Gerichtshof
vorlegt. Wegen zwingender Gründe kann ein Staat durchaus von
Brüsseler Vorgaben abweichen. Das OVG indes schrieb in sein
Urteil schon mal hinein, dass die Volksgesundheit das Fremd- und
Mehrbesitzverbot nicht rechtfertigen könne: Der
Gesundheitsschutz hänge nicht von der Rechtsform einer
Apotheke ab. Aus Sicht des OVG sind nicht Besitzverbote, sondern
strenge Kontrollen ein adäquates Mittel.
In einer Stellungnahme der EU-Kommission zum
deutschen Streit heißt es, es reiche aus, wenn ein
ausgebildeter Apotheker in einem Geschäft arbeite. Und das
kann ja auch ein Angestellter sein. Was hierzulande wenig beachtet
wird: Brüssel hat bereits vor längerem so genannte
Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich, Spanien und
Italien eingeleitet, weil dort rechtliche Res-triktionen
Nicht-Apotheker beim Erwerb von Apotheken und damit die
EU-Niederlassungsfreiheit behindern.
Die Apothekerverbände argumentieren,
dass nach einem Dammbruch an der Saar unter dem Preisdruck durch
den Versandhandel und durch die Entstehung von Pharmazieketten, die
von Finanzinvestoren nach dem Doc-Morris-Muster oder von
Pharmakonzernen getragen werden, viele Apotheken mit ihrem
professionellen Beratungsangebot aufgeben müssen.
Für eine Billigkonkurrenz sind vor allem
gute Geschäftslagen in Städten interessant. Die
Stuttgarter CDU-Sozialministerin Monika Stolz fürchtet einen
Verdrängungswettbewerb zu Lasten ländlicher Regionen.
Manche Apotheker denken über eine Zusammenarbeit nach, um
gemeinsam gegenüber Pharmafirmen niedrigere Einkaufspreise
erreichen zu können.
Unter Druck gerät die Marktabschottung
auch durch eine andere zu Jahresbeginn im saarländischen St.
Wendel gestartete Doc-Morris-Offensive, die auf eine Umgehung der
hiesigen Auflagen zielt. Däinghaus setzt dabei auf
Kooperationsmodelle mit angestammten Geschäften: Die Apotheker
bleiben Eigentümer ihres Ladens, erwerben über eine
Lizenzgebühr an das Unternehmen aber das Recht, den
PR-trächtigen Namen Doc Morris zu nutzen, und verkaufen
rezeptfreie Medikamente bis zu 30 Prozent billiger. Däinghaus
will bundesweit mehrere hundert solcher Kooperations-Apotheken
aufziehen, nach der Ouvertüre im Januar haben zwischenzeitlich
an der Saar und in Schleswig-Holstein bereits mehrere solcher
Geschäfte geöffnet. Der Andrang preisbewusster Kunden ist
groß: Der Kampf der Apotheker-Lobby gegen Doc Morris
verschafft den Holländern viel kostenlose Werbung. Zuweilen
packen manche der Kritiker offenbar die Samthandschuhe ein:
Minister Hecken beklagte sich schon mal über eine "Flut
übelster, mich persönlich beleidigender und polemischer
Schreiben".
Eine Apotheke in Kaiserslautern hat eine
eigene Antwort auf die Herausforderungen der Marktliberalisierung
gefunden: Die so genannte Discount-Apotheke, die auch einen
Versandhandel betreibt, verkauft ihrerseits verschreibungsfreie
Arzneien ganz einfach ebenfalls zwischen zehn und 30 Prozent
günstiger.
KOMPAKT
- Apothekenrecht In Deutschland sieht es vor,
dass nur ein ausgebildeter Apotheker eine Apotheke und
höchstens drei weitere Filialen besitzen darf (Fremd- und
Mehrbesitzverbot). Andere Unternehmer, auch in- und
ausländische Kapitalgesellschaften, sind von diesem Markt
ausgeschlossen.
- Niederlassungsfreiheit Sie wird für die
Unternehmen vom EU-Recht grenzüberschreitend garantiert.
- Doc Morris Beim Rechtsstreit um die
Saarbrücker Filiale des holländischen
Versandhändlers wird geklärt, ob das EU-Recht oder das
deutsche Gesetz Vorrang genießt. Im Eilverfahren wies das
Oberverwaltungsgericht Saarlouis die Klage einheimischer Apotheker
ab.