Mal werden die Leute im Morgengrauen durch
ein gewaltiges Rumpeln aus dem Schlaf gerissen, mal scheppert
Geschirr im Schrank, mal vibriert der Küchentisch, mal knackt
es in den Wänden, mal zeigen sich Risse in Kellerwänden:
Seit Dezember haben im dichtbesiedelten Großraum Basel schon
fünf Erdbeben die Menschen in einem Radius zwischen zehn und
20 Kilometern aufgeschreckt. Alarmierte Bürger klingeln zu
Hunderten bei der Polizei durch. Gemessen wurden meist Stärken
zwischen 3,1 und 3,4. Zahlreiche Bürger melden Schäden
an, wenn auch nur kleinerer Art.
Nun sind solche Erschütterungen im
tektonisch sensiblen Oberrheingraben nichts Ungewöhnliches.
2005 traf es Waldkirch bei Freiburg sogar mit einer Wucht von 5,2.
Was aber dieses Mal Öffentlichkeit, Politik und Fachwelt
elektrisiert: Es handelt sich um künstlich ausgelöste
Beben durch ein Erdwärme-Vorzeigeprojekt in Basel, bei dem in
mehrere Kilometer Tiefe gepumptes Wasser das dortige Gestein
zerklüften soll und so die Erdstöße
provozierte.
Weder die Betreiberfirma Geopower noch der
Schweizer Erdbebendienst hatten mit solch massiven
Begleiterscheinungen gerechnet. Und obwohl die Bohrungen nach der
ersten Erschütterung im Dezember gestoppt wurden, kam es noch
zu mehreren Nachbeben, weitere sind nicht auszuschließen. Der
Kanton Basel hat die Nutzung der Geothermie für die Strom- und
Wärmegewinnung inzwischen formell auf Eis gelegt, über
die Fortführung des Vorhabens soll erst nach Vorlage eines
Risiko-Gutachtens entschieden werden. Das kann dauern, vielleicht
ein Jahr oder noch länger. Empfindlich getroffen wird die
"saubere" Erdwärme, die als Element eines
ökoverträglichen Energiemixes gepriesen wird.
Angesichts der Basler Erfahrungen
unterstreicht aber Nicolas Deichmann vom eidgenössischen
Erdbebendienst: "Risikofreie Technologie zur Energiegewinnung gibt
es nun mal nicht." Die Stuttgarter Umweltministerin Tanja
Gönner warnt zwar vor Kurzschlussreaktionen: "Es wäre
falsch, vorschnell einen Rückzieher zu machen."
Allerdings soll jetzt auch das Geologische
Landesamt in Freiburg die seltsamen Erdstöße am
Rheinknie gründlich untersuchen. Zum Erdinnern hin wird es
alle 100 Meter um etwa drei Grad wärmer, am Oberrhein sogar um
bis zu sechs Grad. Nach Studien steckt im Potenzial der Geothermie
ein Mehrfaches des deutschen Elektrizitätsbedarfs -
theoretisch. Faktisch schätzen Fachleute etwa beim Deutschen
Naturschutzbund den bestenfalls erreichbaren Anteil der Geothermie
an der Strom- und Wärmeversorgung auf wenige Prozent.
Eine Methode ist das Anzapfen unterirdischer
Heißwasservorkommen wie auf Island. Dort muss man nicht sehr
tief bohren, um solches Wasser nach oben in Kraftwerke pumpen zu
können: So lassen sich via Fernwärme Wohnungen heizen,
und mit dem Dampf kann man noch Strom produzieren.
Diese Variante stößt auf dem
Kontinent jedoch an Grenzen. Teure Testbohrungen sind nötig,
um weit unten vermutete Wasservorkommen tatsächlich ausfindig
zu machen - und niemand weiß, ob man dabei auf ausreichend
große und heiße Mengen stößt. Anders die
HDR-Technik: HDR steht für "Hot Dry Rock", heißes
trockenes Gestein. Man bohrt zwei Löcher in die Erde,
drückt kaltes Wasser in die Tiefe, lässt es durch den
heißen Stein wie in einem Durchlauferhitzer aufheizen und
pumpt es wieder nach oben in ein Kraftwerk. In der Tiefe
benötigt man zerklüftetes Gestein, dessen Risse und
Hohlräume wegen der Wasserzirkulation künstlich
ausgedehnt werden müssen.
Der Oberrhein ist wegen seiner tektonischen
Verwerfungen gut geeignet für die Geothermie. Auf deutscher
Seite ist man in Bruchsal am weitesten: Oberbürgermeister
Bernd Doll hofft, das erste baden-württembergische
Erdwärme-Kraftwerk dieses Jahr starten zu können.
Ettenheim und Bad Urach sind wegen hoher Kosten aus Probebohrungen
wieder ausgestiegen. Erfolgreich läuft hingegen ein
HDR-Forschungsvorhaben im elsässischen
Soultz-sous-Forets.
Um Schadensbegrenzung bemüht
Die ambitionierte kommerzielle Anlage in Basel, in die bislang
bereits 50 Millionen Franken flossen, sollte dem HDR-Verfahren
international zum Durchbruch verhelfen. Am Rheinknie ist das
Gestein in 5.000 Meter Tiefe immerhin 200 Grad heiß.
Seismologen hatten im Gefolge der Wassereinpressung zwecks
Gesteinszerklüftung zwar mit kaum merkbaren
Kleinsterschütterungen gerechnet, zu denen es auch kam. Das,
was dann aber bei der Entladung der in der Tiefe künstlich
erzeugten Spannung geschah, kommentiert Basels
Regierungspräsidentin Barbara Schneider so: "Die Beben waren
weitaus stärker als zu erwarten war." Seismologen und Kanton
machen dem Betreiber Geopower keine Vorwürfe: Die Firma habe
nach dem Stand von Wissenschaft und Technik gehandelt. Doch diese
Erkenntnisse erweisen sich nun als unzureichend.
Muss man mit noch stärkeren
Erdstößen rechnen? Beim Schweizer Erdbebendienst
hält man wenig von einer Theorie des nach dem Basler Desaster
um Schadensbegrenzung bemühten deutschen Bundesverbands
Geothermie: Danach haben die durch die Wasserinjektionen
verursachten Erschütterungen wahrscheinlich ein
größeres Schadenbeben verhindert - weil durch die
Arbeiten "tektonischer Druck entspannt wurde, der sich nach und
nach im Untergrund aufgebaut hatte". Mit dieser Interpretation
steht die Lobby jedoch allein.
KOMPAKT
- Geothermie In Kraftwerken wird unterirdisches
Heißwasser oder Wasser, das in tiefen Schichten durch
heißes Gestein erhitzt wird, zur Gewinnung von Strom und
Wärme genutzt.
- HDR-Verfahren Bei diesem Vorgehen ("Hot Dry
Rock") wird in einem ersten Schritt das Gestein in mehreren tausend
Metern Tiefe zunächst durch Wassereinpressung
zerklüftet.
- Pilot-Kraftwerk In Basel sollte der
Strombedarf von 10.000 Haushalten und der Wärmebedarf von
2.700 Haushalten ab 2009 mit Erdwärme gedeckt werden. Das
Projekt wurde vorerst gestoppt.