POLARJAHR
Mit neuen Förderprojekten soll die Forschung an Nord- und Südpol unterstützt werden
Ursula Schauer ist geduldig. In aller Ruhe erklärt sie, was ein Schelfmeer ist, wie autonome Messbojen funktionieren, und, vor allem, warum die Dicke des Meereises auch für einen durchschnittlichen Deutschen interessant ist. Sie ist überzeugt von ihrem Projekt.
Seit 15 Jahren arbeitet Schauer am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Im Juli dieses Jahres wird sie auf dem Forschungs- und Versorgungsschiff "FS Polarstern" in die Arktis aufbrechen, zusammen mit 49 anderen Forschern aus neun Ländern. Ihr Projekt "SPACE - Synoptic Pan-Arctic Climate and Environment Study" ist Teil des Internationalen Polarjahres, das am 1. März offiziell gestartet wurde. Über 50.000 Wissenschaftler aus 63 Nationen wollen in 228 Studien mehr über die Ökosysteme in Arktis und Antarktis erfahren. Der Nordpol zum Beispiel werde sich in den nächsten 100 Jahren um weitere vier bis sieben Grad erwärmen, prognostizieren Forscher im Arktis-Klima-Report ACIA. Viele Tiere und Pflanzen würden ihren Lebensraum verlieren, der Meeresspiegel ansteigen.
Doch die Vorhersagen sind mangels ausführlicher Daten unsicher, sagt Schauer. Die Gegenden seien schlecht erforscht, aufgrund der Rahmenbedingungen sei die Forschung zu teuer. Das Internationale Polarjahr soll abhelfen. Die Forscher verfügen über ein Gesamtbudget von etwa 1,1 Milliarden Euro - für Projekte mit Langzeitwirkung, wie Schauer betont.
Einen Zick-Zack-Kurs will sie mit ihren Kollegen fahren, von Nordnorwegen auf Umwegen zum Nordpol, dann wieder ein Stück in Richtung Küste, zurück zur Nordpol-Region bis in russische Gewässer. Ihr Programm ist komplex: Die Wissenschaftler wollen unter anderem Messbojen installieren, die Zirkulation von Stoffen, die vom Atlantik in die Gewässer der Arktis kommen, erforschen, und das Ökosystem des Meereises untersuchen.
"Dauerbeobachtung" ist das Stichwort. Mit einer Expedition, die dazu im arktischen Sommer durchgeführt wird, könnten Forscher nur Momentaufnahmen der Situation erfassen. Die autonomen Messbojen sollen Abhilfe schaffen. "Wir bohren ein Loch ins Eis und hängen an die Boje Messinstrumente bis in 1000 Meter Tiefe", erklärt Schauer das Prinzip. So könnten über mehrere Jahre die verschiedenen Jahreszeiten erfasst werden. Wenn die Eisscholle abdrifte, werde außerdem in einem größeren Raum gemessen, ein zusätzlicher Vorteil. Die Instrumente sollten Daten über das Wasser, das Eis und das Wetter liefern.
"Das ist etwas neues, denn ein ozeanographisches Messsystem gibt es fast überhaupt nicht", so Schauer. In den kommenden Jahren könnten die Bojen dann ergänzt werden. Schon jetzt gehe die "Polarstern" nicht auf Einzelexpedition. Die Projekte der Wissenschaftler seien verbunden mit denen anderer, die an anderen Orten forschten. Im Rahmen von SPACE sind außerdem noch eine weitere Expedition in die Arktis sowie zwei in die Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen geplant.
Die Zirkulation des Atlantik-Wassers sei für sie von besonderem Interesse. Schauer nennt Beispiele für Forschungsansätze: "Vom Atlantik strömt Wasser in die Arktis, das zunehmend wärmer wird, und Arten, die in kalten Teilen des Atlantiks leben, kämen zunehmend in die Arktis."
Dann ein weiterer Aspekt: Das Süßwasser. Zehn Prozent des Flusswassers dieser Erde fließe in das Polarmeer, es trenne kaltes von warmen Wasser. Dadurch habe es Einfluss auf die Eisbildung. Sie wolle mit ihren Kollegen unter anderem herausfinden, wo die Wasserschichten welche Tiefe haben. An den Rändern von Schelfmeeren und tiefen Becken - also Gewässern von etwa 100 und solchen von 4.000 bis 5.000 Metern Tiefe - "kann die Atmosphäre auf das Wasser einwirken", durch Wind zum Beispiel. "Wenn das Wasser Wärme an die Atmosphäre abgibt, könnte das helfen, das Eis schneller zu schmelzen", vermutet Schauer. Diese Mechanismen zu verstehen, das sei ihr Ziel. Dann könnten Wissenschaftler mit Sicherheit sagen, ob die Arktis in einigen Jahren im Sommer tatsächlich eisfrei werde.
Das Polarjahr soll nicht nur der Wissenschaft dienen. Die Forscher bemühen sich, die Öffentlichkeit einzubeziehen. Natürlich auch im eigenen Interesse: "Das Internationale Polarjahr soll dafür sensibilisieren, dass wir mehr Dauerforschung brauchen", sagt Schauer.
Dabei gibt es auch Spielereien: Fans von Handyklingeltönen können sich den Ton des Signalhorns der FS Polarstern auf der Website des Alfred-Wegener-Institutes herunterladen. Doch vor allem geht es um Bildung. "Coole Klassen" nennt sich eine Ini- tiative und richtet sich an Schüler und Lehrer. Letztere dürfen drei deutsche Expeditionen begleiten, ihre Schüler sollen im Unterricht mehr über die Polarregionen erfahren und dabei an wissenschaftlichen Forschungsprojekten teilnehmen.
Studenten können sich für zwei Sommerschulen bewerben. Vielleicht ist das keine schlechte Idee. Denn glaubt man einer in der Wochenzeitung " Die Zeit" vom 1. März veröffentlichten Studie, dann sind in Deutschland selbst nur 41 Prozent der Grünen-Wähler klimabewusst .