VERTRAG VON PRÜM
Die Polizei aus sieben EU-Staaten tauscht seit 2005 Daten zur Verbrechensbekämpfung aus. Das soll bald EU-Recht werden - aber gerade das Verfahren wird von vielen kritisiert.
Die Ermittlungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten wollen in Zukunft ihre Erkenntnisse aus DNADatenbanken, Fingerabdruckkarteien und über verdächtige Autokennzeichen miteinander teilen. Fünfzehn EU-Staaten haben einen entsprechenden Rahmenbeschluss des Rates angeregt. Als Blaupause dient der so genannte "Prüm-Vertrag", in dem sich vor zwei Jahren auf deutsche Initiative sieben europäische Länder zu engerer Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung verpflichtet haben.
Auf Grund technischer Probleme ist das System bislang nur wenig zum Einsatz gekommen. Deutschland und Österreich haben ihre DNA-Datenbanken aber bereits zwei Mal abgeglichen und auf Anhieb 3.700 Treffer erzielt, wie der österreichische Biometrie-Spezialist Reinhard Schmid am Montag bei einer Anhörung im EU-Parlament berichtete. Seit 10 Jahren verfüge Österreich über eine große DNA-Datenbank mit 100.000 Profilen. In der ganzen Zeit habe man nur 150 brauchbare Ergebnisse erzielt. Durch den Abgleich mit dem großen Nachbarland sei es zum Beispiel gelungen, eine erpresserische Entführung in Magdeburg mit drei in Österreich begangenen Verbrechen in Verbindung zu bringen und die Strukturen einer Bande aufzudecken. Das Verbrechen, so Schmid, halte sich nicht an nationale Grenzen. Schon heute gehörten 43 Prozent der in Österreich gespeicherten Profile zu Ausländern - mit steigender Tendenz.
Die EU-Abgeordneten begrüßen im Prinzip das Konzept. Der europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx lobt in einer Stellungnahme, dass der Austausch von Namen oder personenbezogenen Daten nicht vorgesehen ist. Es sollen lediglich Fingerabdrücke und DNA-Profile abgeglichen werden. Bei einem Treffer wird das normale Rechtshilfe-Verfahren in Gang gesetzt. Auch der Datenschutz sei im Prüm-Vertrag "angemessen", findet er.
Aber Hustinx listet auch eine lange Reihe von Fragen und Bedenken auf: Warum ist die ursprünglich geplante dreijährige Testphase, in der die sieben Ursprungsstaaten die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen prüfen sollten, vorzeitig abgebrochen worden? Außer zwischen Deutschland und Österreich hat es bislang keinen grenzüberschreitenden Austausch gegeben. Warum wurden die Standards nicht klar definiert? Während zum Beispiel in Großbritannien mehr als drei Millionen DNA-Profile gespeichert werden, darunter auch von Zeugen, Verdächtigen und ohne Anklage aus der Untersuchungshaft entlassenen Personen, haben andere Länder überhaupt noch kein
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tematisch aufbereitetes Material.
Nach deutscher Rechtslage, so der Datenschutzbeauftragte, dürften viele der britischen Profile gar nicht verwendet werden. Auch die Speicherdauer sei völlig unterschiedlich - in einigen Mitgliedsländern lebenslänglich, in anderen nur für die Dauer des Verfahrens. Was aber geschieht, wenn ein Mitgliedsland - wie nach dem Prümer Vertrag möglich - ausdrücklich DNA-Material eines Verdächtigen anfordert, das nach den Gesetzen in dessen Herkunftsland gar nicht gesammelt werden darf? Auskunft über die grenzüberschreitenden polizeilichen Ermittlungen erhält der Betreffende nur auf Anfrage - und dazu muss er erst einmal wissen, dass er ins Visier der Behörden in einem anderen EU-Land geraten ist.
Probleme bereitet Hustinx und den Mitgliedern des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, der die Anhörung veranstaltete, auch das Gesetzgebungsverfahren. Bereits im Juni soll der Rahmenbeschuss vom Justiz- und Innenrat abgestimmt werden Die Mitgliedstaaten müssen einstimmig beschließen, das EU-Parlament wird lediglich angehört. Der Vorgang ist einmalig in der europäischen Rechtssetzung. Denn parallel zu den Bemühungen, den Prüm-Vertrag in Gemeinschaftsrecht zu überführen, treten immer mehr Länder dem ursprünglichen Vertrag auf bilateraler Grundlage bei. Nach Auskunft von Günther Krause, der als Fachbeamter die deutsche Ratspräsidentschaft in der Anhörung vertrat, haben das bislang schon 17 von 27 Mitgliedstaaten getan.
Die Abgeordneten kritisierten diesen "Friss-oder-Stirb-Ansatz" des Gesetzesprojekts in der Anhörung scharf. Der deutsche sozialistische Abgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler sprach von "Salamitaktik". Inzwischen hätten mehrere EU-Länder den Prüm-Vertrag von ihren nationalen Parlamenten ratifizieren lassen. Die übrigen könnten dem nur folgen oder draußen bleiben. Auch das EU-Parlament habe keinerlei Spielraum, Änderungen vorzuschlagen. Zu den 80 vom EU-Parlament eingebrachten Änderungsanträgen sagte er: "Wenn wir da einsteigen und die übernehmen, dann weiß ich nicht, wo uns das in der Diskussion mit den Mitgliedstaaten hinführt!" Von einem Demokratiedefizit könne aber nicht die Rede sein. Jedes beitretende Land habe den Prümer Vertrag von seinem nationalen Parlament ratifizieren lassen. Im Bundestag habe das ganze 30 Minuten gedauert, konterte der liberale Abgeordnete Alexander Alvaro. Natürlich wolle niemand, dass Mörder oder Vergewaltiger in einem Europa ohne Grenzen frei herumliefen. Doch 80 Änderungsvorschläge des EU-Parlaments machten deutlich, wie verbesserungsbedürftig das Projekt sei.