Herr Wu, sie kämpfen seit 15 Jahren gegen das System der Laogai-Lager. Was konnten Sie bislang erreichen?
Das Wort "Laogai" ist den meisten Menschen kein Begriff. Seit ich erreicht habe, dass "Laogai" in verschiedenen Ländern im Wörterbuch steht, verwendet die chinesische Regierung das Wort allerdings nicht mehr. Die Leute erinnern sich zwar an den Holocaust und an die sowjetischen Gulags, aber wann denken sie denn an chinesische Lager?
Sie selbst waren 19 Jahre lang in Laogai-Lagern inhaftiert. Warum?
1965 als ich 20 Jahre alt war, startete die kommunistische Partei eine Kampagne: jeder solle im Sozialismus blühen wie eine Blume. Man bat uns um unsere freie Meinung, um der Partei zu helfen. Ich wollte erst nichts sagen. Dann aber ließ ich mich in meiner Klasse zu zwei kritischen Bemerkungen hinreißen. "Du bist ein Konterrevolutionär" sagten sie mir und zwei Wochen später inhaftierten sie mich. Es gab keine Gerichtsverhandlung und ich erfuhr nur von einem Wärter, dass ich "lebenslänglich" verurteilt war.
Wie haben sie die Zeit im Lager erlebt?
Ich war ja nur einer von einer Million, die in diesem Jahr in ein Lager kamen. Es war ein Albtraum. Wir mussten früh morgens aufstehen und bis Sonnenuntergang arbeiten. Wir wurden gefoltert und geschlagen. Ich habe mich gefühlt wie ein Tier und bin nur froh, überlebt zu haben. Heutzutage bin ich glücklich, dass ich wieder völlig frei leben kann und mein eignes Geld verdiene.
Worin unterscheiden sich die chinesischen Laogai-Lager von sowjetischen Gulags?
Laogai besteht aus den zwei chinesischen Wörtern Arbeit und Reform - bedeutet also Gehirnwäsche durch Arbeit. Die Sowjets glaubten nicht daran, dass sie Menschen ändern können, die Chinesen schon. Und sie sind sehr erfolgreich damit. Heute genießt die KP bei vielen Menschen noch immer eine hohe Wertschätzung. Ich bin mir sicher, dass der Kommunismus in China ohne diese Lager nicht bestehen könnte.
Wirtschaftlich entwickelt sich China rasant, erwarten sie damit auch Fortschritt auf dem Gebiet der Menschenrechte?
Sie lassen jetzt ausländische Investoren ins Land und jeder der will, darf ein Restaurant aufmachen. Aber im Prinzip hat sich der Kommunismus nicht verändert. Wer das Gesetz bricht oder nicht der KP gehorcht, kann sehr, sehr hart bestraft werden. Die Gefangenen bekommen zwar Anwälte zur Seite gestellt und müssen in den Lagern nicht verhungern. Die Situation ist aber noch immer unmenschlich und hat sich im Grunde nicht verbessert. Wichtige Länder verurteilen das Laogai-System, aber China fragt weiter: "Was denn für ein Laogai?"
Die Fragen stellten
Annette Sach und
Verena Uthmann