LAOGAI
Die chinesischen Arbeitslager sind weiter in der Kritik - auch von Seiten des Bundestages
Mao Hengfeng weiß, wie schwer es ist, in China Recht zu bekommen. Immer wieder hat die heute 46jährige versucht, Eingaben bei der Zentralregierung in Peking zu machen: gegen Zwangsräumungen in Schanghai, für das Recht auf Wohnraum, für Frauenrechte. Die Mutter von drei Töchtern hat für ihr Engagement einen hohen Preis bezahlt. Mehrfach wurde sie von der Polizei in Schanghai verhaftet, manchmal tagelang festgehalten. Vor drei Jahren schickte man sie wegen "Störung des sozialen Friedens" zur "Umerziehung" in eines der berüchtigten Arbeitslager Chinas.
In der Volksrepublik gehört "Umerziehung durch Arbeit" immer noch zur Realität. Die Lager waren bereits in den 50er Jahren unter Mao Zedong eingerichtet worden. So genannte "Konterrevolutionäre" und "Reaktionäre Elemente" sollten durch Zwangsarbeit und politische Indoktrination in "neue sozialistische Menschen" verwandelt werden.
Der Traum von der klassenlosen Gesellschaft ist in China längst ausgeträumt - aber die Lager sind geblieben. Rund 1.000 soll es nach Angaben von Menschenrechtsgruppen noch heute in China geben. Die Lager seien genauso verbreitet wie zu den Zeiten Mao Zedongs, sagt der ehemalige Häftling Harry Wu, der als Leiter der "Laogai Research Foundation" in den USA lebt. Das Lager- oder Laogai-System sei immer noch das wichtigste Unterdruckungsinstrument, mit dem die Kommunistische Partei die politische Kontrolle bewahren wolle, erklärte er vor zwei Jahren bei einer Anhörung im US-Kongress.
Für Mao Hengfeng begann die 18monatige Haft im Frauenlager Qingpo in Schanghai im Frühjahr 2004. In den ersten zwei Wochen musste sie jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen und den ganzen Tag lang stehen - oft bis zu 18 Stunden, wie sie später dem Folterbeauftragten der UN, Manfred Nowak, erzählte. Oder die Gefangenen mussten stundenlang in glühender Hitze marschieren. Dann kam die Arbeit. In Qingpo werden laut dem Nowak-Bericht angeblich Christbaumschmuck und Spielzeug hergestellt. Mao Hengfeng weigerte sich mitzuarbeiten und wurde zur Strafe misshandelt. Manchmal sei sie tagelang am Bett festgebunden worden, durfte nicht zur Toilette gehen, gab sie gegenüber dem UN-Mann zu Protokoll. Seit Maos Zeiten hat sich an den Grundlagen der Arbeitslager wenig geändert. Da ist zum einen die Administrativhaft wie im Frauenlager Qingpo. In diesen "Laojiao-Camps (Umerziehung durch Arbeit)" können die Sicherheitsbehörden Menschen ohne formelle Anklage oder Gerichtsverfahren bis zu vier Jahren festhalten. In ganz China gibt es nach Angaben der staatlichen Medien heute rund 300 derartige Lager. Gewerkschaftsnahe Gruppen wie "China Labour Bulletin" in Hongkong schätzen die Zahl der Insassen auf über 300.000. Darunter Drogenabhängige und Kleinkriminelle, aber auch politische Dissidenten, Falun-Gong-Anhänger und Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten.
Daneben existieren Arbeitslager für verurteilte Kriminelle, die eigentlichen "Laogai" (Reform durch Arbeit). Informationen darüber sind spärlich - wie so vieles im chinesischen Justizsystem. Das Internationale Rote Kreuz hat trotz jahrelanger Bemühungen noch nie Zugang zu diesen Arbeitslagern erhalten. Beide Formen der Lagerhaft werden vom Westen seit Jahren scharf kritisiert. Doch die chinesische Regierung reagiert gereizt - wie auch jetzt auf den fraktionsübergreifenden Antrag im Bundestag. "Wir lehnen die Einmischung des Bundestages ab", sagt Außenamtsprecherin Jiang Yu. "Die Lager haben eine solide rechtliche Grundlage." Folter gäbe es nicht. Dabei ist die Diskussion in China über die Administrativhaft eigentlich schon viel weiter. Selbst chinesische Rechtsexperten nehmen kein Blatt vor den Mund. Die Inhaftierung ohne juristisches Verfahren verstoße gegen die chinesische Verfassung, sagt etwa Wang Gongyi, Vizedirektor des Instituts für Justiz-Forschung, das dem Justizministerium angegliedert ist. Wang arbeitet derzeit an einer Reform der "Laojiao"-Gesetzgebung mit. Laut Medienberichten soll das Strafmaß künftig auf weniger als 18 Monate beschränkt werden, sollen die Zentren "Besserungsanstalten" heißen und ohne Gitterstäbe auskommen. Strittig ist jedoch, wer die Haft anordnen soll - wie bisher die Polizei oder die Gerichte. Juristen bis hin zum Obersten Gerichtshof wollen die Rolle der Gerichte gestärkt sehen. Die Sicherheitsbehörden beharren jedoch auf dem derzeitigen System, wonach die Betroffenen erst nach der Inhaftierung eine gerichtliche Überprüfung erwirken können. Zurzeit habe der Justizapparat gar nicht die Kapazitäten, um sich mit allen Fällen zu beschäftigen, sagt Professor Fu Hualing von der Universität Hongkong. Doch der Freibrief für die Polizei verstößt nach Ansicht von Menschenrechtlern eindeutig gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR).
China hat den UN-Pakt bereits 1998 unterzeichnet, wenn auch noch nicht ratifiziert. "Nach internationalem Recht gibt es für die derzeitige Praxis der Inhaftierung ohne Gerichtsbeschluss keinerlei rechtliche Grundlage", kritisiert Mark Allison von Amnesty International. Menschenrechtsgruppen plädieren seit Jahren für eine Abschaffung der Administrativhaft, fürchten aber, dass das System im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 ausgeweitet werden könnte. "Es steht zu befürchten, dass das System benutzt wird, um Peking vor der Olympiade von Kleinkriminellen, Obdachlosen, Drogenabhängigen zu "säubern", heißt es im jüngsten Amnesty-Bericht. Professor Fu ist optimistischer: Die Olympiade, glaubt er, könnte Reformen beschleunigen. Fortschritte gibt es bislang aber nur in Einzelfällen.
Für Mao Hengfeng endete die Zeit im Lager Qingpo im September 2005. Nur wenige Monate später wurde sie jedoch erneut festgenommen. Im Januar dieses Jahres verurteilte sie ein Schanghaier Gericht zu zweieinhalb Jahren Gefängnis. Ihr Vergehen: sie soll im Polizeigewahrsam zwei Lampen kaputt gemacht haben. Ihre Berufung wurde im April abgelehnt.