FALL KURNAZ
De Maizière erläutert Merkels Intervention im Januar vorigen Jahres
Erstaunliches spielte sich im Untersuchungsausschuss und besonders draußen vor den TV-Kameras ab: Die Opposition lobte CDU-Regierungschefin Angela Merkel und ihren Kanzleramtsminister Thomas de Maizière fast über den grünen Klee. "Der große Gewinner der Bundestagswahl 2005 war Murat Kurnaz": So kommentierte der FDP-Abgeordnete Max Stadler die von der CDU-Kanzlerin im Januar 2006 gegenüber US-Präsident George W. Bush betriebene Freilassung des mehrere Jahre in Guantanamo inhaftierten Bremer Türken. Dieser war unter vagen Terrorverdacht geraten, aber nie angeklagt oder verurteilt worden. Wolfgang Nescovic (Linkspartei) sah in de Maizière nach dessen Auftritt im Ausschuss einen "Zeugen der Opposition": Die von dem CDU-Politiker erläuterte Abwägungsentscheidung zugunsten von Kurnaz aus humanitären Gründen trotz gewisser Sicherheitsbedenken habe offenbart, dass es auf die "politische Willensbildung" angekommen sei. Ein solches Vorgehen wäre auch schon unter der rot-grünen Regierung möglich gewesen.
Hatten im Herbst 2002 die Geheimdienstspitzen und Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier gegen Kurnaz ein Einreiseverbot für den Fall einer Freilassung durch die USA verfügt, so gab es laut de Maizière 2005/2006 eine "neue Situation" mit einer "anderen Entscheidung". Angesichts des wachsenden Widerstands gegen Guantanamo seien die USA an Gesprächen über eine Entlassung von Kurnaz interessiert gewesen. Da Merkel das Gefangenenlager kritisiert habe, habe man sich auch für einen Häftling mit "engem Deutschlandbezug" einsetzen müssen. Zudem verwies de Maizière auf ein Gerichtsurteil vom November 2005, das die von der früheren Regierung bestrittene Fortdauer der Aufenthaltsberechtigung des hierzulande aufgewachsenen Türken attestierte. Der Zeuge ließ anklingen, dass er die "nicht gänzlich ausgeräumten" Sicherheitsbedenken wohl nicht sehr hoch gehängt hat: Die hätten auf Erkenntnissen aus dem Jahr 2002 beruht.
De Maizière achtete indes darauf, nicht in Gegensatz zum heutigen Außenminister und Koalitionspartner Steinmeier zu geraten. Kritik an dessen Vorgehen im Fall Kurnaz maße er sich nicht an. Und er fügte an: "Ich bin froh, dass ich die Entscheidung 2002 nicht treffen musste."
Bernd Mützelburg, einst außenpolitischer Berater von SPD-Kanzler Gerhard Schröder, erläuterte, dass er in Steinmeiers Auftrag schon im Frühjahr 2005 gegenüber den USA aus humanitären Motiven zugunsten von Kurnaz interveniert habe. Damals sei als "Teilerfolg" erreicht worden, dass Washington die vorherige "Blockadehaltung" aufgegeben habe und zu Gesprächen über diesen Fall bereit gewesen sei. Auf diesen Bemühungen, so Mützelburg, habe das Kanzleramt nach dem Regierungswechsel aufbauen können.