Contra
Vier Richter glauben, dass Nebentätigkeiten unabhängig machen
"Wer freie Abgeordnete will, muss auch ein Mindestmaß an Vertrauen aufbringen, dass die vom Volk gewählten ganz überwiegend mit Umsicht und verantwortlich mit ihrer Freiheit umgehen." Dieses positive Bild zeichneten die vier Richter, die sich mit ihrem Votum nicht durchsetzen konnten: Winfried Hassemer, Udo Di Fabio, Rudolf Mellinghoff und Siegfried Landau.
Die Abgeordneten sollen ihrer Ansicht nach "den Willen der Wähler aufnehmen und ihm in der staatlichen Sphäre zur Geltung verhelfen". Zur Verwurzelung des Abgeordneten in der Gesellschaft zähle auch die "Freiheit zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit während des Mandats". Die Richter sehen darin einen großen Vorteil: Erst die Möglichkeit, neben dem Mandat einen Beruf auszuüben, gebe dem einzelnen Abgeordneten auch "faktisch die Freiheit, sein Mandat allein nach seinem Gewissen auszuüben, ohne im Hinblick auf die Chancen seiner Wiederwahl und eine damit verbundene Sicherung seines Einkommens übermäßig Rücksicht auf etwaige Erwartungen seiner Partei, sonstiger einflussreicher Interessengruppen oder auch der Medien nehmen zu müssen". Die Meinung ihrer anderen Kollegen sie dabei ausdrücklich nicht: Obwohl die Freiheit des Mandats einen "verantwortlichen Umgang" des Abgeordneten mit dieser Freiheit verlange, könne die "Mittelpunktregelung" nicht dahin ausgelegt werden, dass "der Abgeordnete eine bestimmte Arbeitszeit schuldet und diese gegenüber dem Bundestagspräsidenten oder der Verwaltung mit der Folge nachzuweisen hätte, dass daran Sanktionen geknüpft werden können".
Wenn sich der Gesetzgeber und die parlamentarische Selbstkontrolle nicht auf die gezielte Verfolgung des Missbrauchs dieser Freiheit beschränkten und stattdessen "flächendeckende Kontroll- und Publikationssysteme einführten", werde gegen den verfassungsrechtlich festgelegten Status des freien Mandats verstoßen.
Auch die Pflicht der Abgeordneten, ihre erzielten Einnahmen "in weitem Umfang und ohne hinreichende rechtsstaatliche Sicherungen der Öffentlichkeit preiszugeben", sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Mit der Offenlegung von "ungewichteten Tatsachen wie Bruttoeinkünften" könnte nach Ansicht der vier Richter eine "publizistische Prangerwirkung" entstehen: "Ohne nähere Erklärungen und Gewichtungen können die bloßen Informationen über Mittelzuflüsse in mehrfacher Hinsicht zu Fehlschlüssen verleiten."
Die Abgeordneten müssten alle Vermögenszuflüsse in Geld oder Geldwert anzeigen - egal, ob es sich dabei um Einkommen, Aufwandsentschädigungen, durchlaufende Posten oder anderweitige Vermögenszuwächse handele. Dabei werde der berufsbedingte Aufwand genausowenig berücksichtigt wie Steuern, Abgaben oder sonstige Kosten. Damit werde der "Eindruck eines möglicherweise gewichtigen wirtschaftlichen Vorteils vermittelt, auch wenn lediglich die mit der Tätigkeit zusammenhängenden Kosten erstattet werden".
Die Abgeordneten könnten sich unter Berufung auf den Schutz ihrer persönlichen Rechtssphäre gegen die Transparenzanforderungen nicht umfassend wehren - doch genausowenig sei es dem Gesetzgeber erlaubt, unter Berufung auf Transparenzziele dieses Schutzanliegen "gänzlich zu negieren", so die Richter.