Nebentätigkeiten
Die Richter haben sich für Transparenz entschieden
Der Chemnitzer SPD-Abgeordnete Deltef Müller mag den Film "Die Blechtrommel" und die US-Schauspielerin Cate Blanchett. Sein Unions-Kollege Michael Brand spricht drei Sprachen - Englisch, Französisch und Bosnisch. Nachzulesen ist all das auf der Homepage des Deutschen Bundestags.
Während dies für die Wähler der beiden Abgeordneten wohl eher von nachgeordnetem Interesse ist, dürften die Informationen, die am 5. Juli zusätzlich zum Freizeitverhalten der Parlamentarier ins Internet aufgenommen wurden, auf bedeutend größeres Interesse stoßen. Dort steht zu lesen, dass Müller neben seinem Mandat acht weitere Funktionen wahrnimmt, die ihm jeweils nicht mehr als 1.000 Euro einbringen; bei Brand ist es nur eine, für die er nichts bekommt. Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte der Bundestag die Nebentätigkeiten seiner Abgeordneten - und trieb damit die Hitzahl auf der Homepage des Hauses steil nach oben: Allein am 5. Juli riefen 382.000 Besucher insgesamt 5.5 Millionen Internetseiten des Bundestags auf - das bedeutet eine Verfünffachung der Zugriffe.
Als Auslöser dieses geballten Interesses am Online-Angebot des Bundestags darf sich das Bundesverfassungsgericht verstehen. In ihrem lange erwarteten Urteil zur Klage von neun Abgeordneten gegen den Verhaltenskodex des Parlaments stellten die Richter fest: Die Transparenzregeln, die eine Veröffentlichung der Nebentätigkeiten vorsehen, "sind verfassungsgemäß". Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) veröffentlichte nur einen Tag später, welchen beruflichen Tätigkeiten die Abgeordneten neben ihrem Mandat nachgehen und was sie dafür bekommen.
Jedenfalls so ungefähr: In drei Stufen müssen die Mandatsträger angeben, was sie monatlich oder einmalig verdienen: von 1.000 bis 3.500 Euro, von 3.500 bis 7.000 und über 7.000 Euro. Genannt wird auch die Quelle, aus der das Geld stammt: etwa Verbände, Aktiengesellschaften oder das eigene Unternehmen, das die Parlamentarier neben dem Job in Berlin weiterführen. Dabei gibt es Ausnahmen für Berufsgeheimnisträger. Paragraph 1 der Verhaltensregeln für Abgeordnete besagt: "Die Anzeigepflicht umfasst nicht die Mitteilung von Tatsachen über Dritte, für die der Abgeordnete gesetzliche Zeugnisverweigerungsrechte oder Verschwiegenheitspflichten geltend machen kann" - in diesen Fällen ist statt der Angaben zum Auftraggeber eine Branchenbezeichnung ausreichend.
So muss der Frankfurter Rechtsanwalt Hans-Joachim Otto auch nur mitteilen, dass er neben seinem Mandat entgeltlich für die Anwaltssozietät KMO tätig ist - wieviel Geld er dabei genau Frau Schmidt für ihre Scheidung oder Herrn Meier in seinem Bußgeldverfahren in Rechnung gestellt hat, erfährt der Wähler nicht. Dennoch hat Otto gemeinsam mit den acht anderen Abgeordneten Peter Danckert (SPD), Wolfgang Götzer (CSU), Siegfried Kauder (CDU), Heinrich Kolb (CDU), Sybille Laurischk (FDP), Friedrich Merz (CDU), Max Straubinger, (CSU) und Marco Wanderwitz (CDU geklagt.
Sie alle hatten in den Transparenzregeln eine Verletzung der Freiheit ihres Mandats gesehen - und sich an der Regelung gestört, die Ausübung des Mandats müsse "im Mittelpunkt der Tätigkeiten" der Parlamentarier stehen. So besagt es das Abgeordnetengesetz - die Kläger wiederum führten an, die berufliche Tätigkeit neben dem Mandat mache sie unabhängiger von Fraktion und Partei. Außerdem sei es insbesondere für Freiberufler und Unternehmer ungleich schwieriger als für Angestellte und Beamte, nach dem Auscheiden aus dem Bundestag wieder nahtlos in den alten Beruf einzusteigen. Erschwere man ihnen die Berufsausübung nun auch durch die Anwendung der Transparenzregeln, werde sich die "Qualität der zur Wahl Stehenden drastisch weiter verringern" und das Parlament nicht mehr die Gesamtheit der Bevölkerung spiegeln, sondern sich irgendwann nur noch aus Beamten zusammensetzten, warnte Otto. Für die Verfassungsrichter war diese Warnung nicht überzeugend - jedenfalls für die Hälfte von ihnen.
Die Tatsache, dass zwischen der Klageeinreichung der neun Abgeordneten im Februar 2006 und der Urteilsverkündung in der vergangenen Woche fast anderthalb Jahre vergingen, hatte deutlich gemacht, dass die Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts sich die Sache nicht leicht gemacht haben.
Bei der Urteilsverkündung bekannte der Vizepräsident des Gerichts, Winfried Hassemer, denn auch: "Wir waren uns nicht einig." Während vier der Richter - Siegfried Broß, Lerke Osterloh, Gertrude Lübbe-Wolff und Michael Gerhardt - für Klageabweisung plädierten, teilten die anderen vier - Hassemer, Udo di Fabio, Rudolf Mellinghoff und Siegfried Landau - die Bedenken der Kläger.
Ein klassisches Patt - und damit ein Fall, in dem die Verfahrensregeln vorsehen, dass die Klage zurückgewiesen wird. Auf 158 Seiten, in denen laut Hassemer "viel Mühe und viel Streit" steckt, begründen die zerstrittenen Richter ihre Voten (siehe Texte unten). Dabei wird deutlich, dass es im Kern um zwei unterschiedliche Sichtweisen dessen geht, was die Wähler von ihren Abgeordneten erwarten können.
Durchgesetzt hat sich die Gruppe derer, die das Bundestagsmandat für einen Vollzeitjob halten - und die Gefahr sehen, dass aus einträglichen Nebentätigkeiten schnell Interessenkollisionen entstehen können. Sie glauben, dass das Volk einen Anspruch darauf hat zu wissen, woher seine Vertreter Geld bekommen. Für Bundestagspräsident Lammert ist das Urteil eine Bestätigung und die Urteilsbegründung eine Genugtuung. Er hatte im März 2006 entschieden, die Veröffentlichung der Nebentätigkeiten, die bereits 2005 unter Rot-Grün beschlossen worden war, auszusetzen - weil die Abgeordneten geklagt hatten. Dafür musste er viel Kritik einstecken. Karlsruhe bescheinigte nun, die "schonende Umsetzung" der Regeln durch Lammert habe es dem Bundesverfassungsgericht ermöglicht, "ohne Zeitdruck mit Ruhe und Sorgfalt diese schwierigen Fragen zu erörtern". Der Bundestagspräsident sieht sich durch dieses Lob von Winfried Hassemer "glänzend gerechtfertigt".
Interessant findet Lammert, wie die Verfassungsrichter zu ihrem Urteil gelangten: Die "denkbar knappe Entscheidung" bestätige zwar die Verfassungsmäßigkeit der Verhaltensregeln, zeige aber auch "dass ihre rechtliche Würdigung unterschiedlich beurteilt wird". Dass vier Richter die Regeln für verfassungsgemäß hielten und weitere vier für verfassungswidrig, sei weder für die eine noch für die andere Seite "Grund zu lautstarkem Jubel".
So verhalten kommentierten nicht alle Beteiligten den Ausgang des Verfahrens. In der Erklärung der unterlegenen Richter "finde ich mich wieder", erklärte Marco Wanderwitz. Für ihn ist die Abgeordnetentätigkeit "kein Beruf, sondern ein Mandat auf Zeit. In dieser Zeit wird selbstverständlich der eigentliche Beruf nachgeordnet." Weder Wanderwitz noch Otto sind gegen Transparenz - die Offenlegung möglicher Interessenkollisionen sei nötig und wichtig, so Otto. Doch die Form, die nun praktiziert werde, trage gerade nicht zur Erhellung bei. "Indem die Einnahmen völlig undifferenziert offen gelegt werden, wird nicht zur Transparenz beigetragen. So schafft man nur einen riesigen Heuhaufen von undifferenzierten Informationen, in dem die Nadel erst mühsam gesucht werden muss."
Das Patt der Richter führt dazu, dass sich alle Seiten irgendwie gestärkt fühlen - und damit droht nach dem Ende der juristischen Auseinandersetzung nun eine Fortsetzung des Streits, die erneut auf der politischen Bühne ausgetragen wird. Linksfraktion und Grüne begrüßten das Urteil einhellig. Es sei eine "Ohrfeige für die Abzocker im Parlament, die in ihrer Freiheit des Mandats einen Freibrief zum Geldscheffeln sehen", sagte Wolfgang Neskovic (Die Linke). Auch Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) zeigte sich erfreut. Die Veröffentlichung sei "vollkommen richtig". Den Einwurf, damit würden sich nur noch Beamte zur Wahl stellen, "habe ich nicht verstanden. Ich glaube nicht, dass das Mandat für Freiberufler nur attraktiv ist, wenn sie ihre Nebentätigkeiten nicht offenlegen müssen. Das widerspricht auch allen Erfahrungen, die ich bislang mit den Abgeordneten des Bundestags gemacht habe", sagte Göring-Eckhardt dieser Zeitung.
FDP-Geschäftsführer Jörg van Essen war enttäuscht. Das Urteil habe die Gefahr, dass der Bundestag zu einem Parlament von Gewerkschaftsfunktionären und Beamten werde, "dramatisch verstärkt". Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) kündigte an, sollten bestimmte Berufsgruppen durch die Offenlegung "einseitig benachteiligt" werden, sei er für ein "eventuelles Nachjustieren". Man müsse prüfen, ob die Angaben aussagekräftig genug seien und ob sie den Erwartungen der Bürger entsprächen.
Die Erwartungen des Verfassungsrechtlers Hans Herbert von Arnim sind jedenfalls nicht erfüllt: "In der jetzigen Form kann man nicht in vollem Umfang sehen, wes' Geldes Kind der Abgeordnete ist. Alle Parlamentarier mit Ausnahme derer, die unter eine Verschwiegenheitspflicht fallen, sollten in Zukunft die genaue Höhe ihrer Nebeneinnahmen veröffentlichen und müssen dabei auch die Geldgeber nennen."