Es gibt Begriffe, die möchte man eigentlich nicht hören und schon gar nicht lesen, weil sie so inflationär und unbedacht gebraucht werden: Stadtfeste sind schon im zweiten Jahr traditionell, Laienschauspieler nach der dritten Vorstellung professionell und Politiker machen ihren Job fast immer leidenschaftlich und mit vollem Einsatz. Selbst der jugendliche Nachwuchsstadtrat wird so nach seiner ersten öffentlichen Rede unverzüglich zum Vollblutpolitiker gemacht. Das führt dazu, dass nicht all zu viele den Ausdruck, der im besten Sinne des Wortes ein Qualitätszeichen sein soll, ernst nehmen. Das ist schade für die echten Vollblutpolitiker, wie Axel Schäfer einer ist. Überspitzt, sagt der Bochumer Bundestagsabgeordnete mit einem fast schelmischen Grinsen, sei sein Leben schnell erzählt: "Geburt, Schule, Ausbildung, in die Politik gegangen und dann 30 Jahre Europa gemacht."
"Wir waren die politischste Generation in der Geschichte der Bundesrepublik", erzählt der 1952 in Frankfurt am Main Geborene mit der ihm typischen, authentischen Begeisterung. Demnach war es für ihn, der sich damals wie heute tief in der Arbeitnehmerschaft verwurzelt fühlt, nur folgerichtig, sich für die noch junge Bundesrepublik, für die gewonnene Freiheit und Selbstbestimmung, für das deutsche politische Gemeinwesen zu engagieren - noch während seiner Ausbildung in der Kommunalverwaltung bei der damaligen ÖTV (heute ver.di) und nur wenig später, mit 17 Jahren, in der SPD. "Ich habe die klassischste politische Karriere gemacht, die man sich überhaupt vorstellen kann." Axel Schäfer lacht. Das tut er allgemein recht viel und gerne. Nicht herzhaft, nicht schallend, eher einfach nur fröhlich, so wie jemand, bei dem man sich gut vorstellen kann, dass er morgens trotz Dauerstress mit Freude ins Büro kommt. So wie jemand, bei dem der Satz "Politik muss Lust sein, und man muss die Menschen gerne haben, wie sie sind", nicht einfach nur so dahin gesagt ist, sondern die Lebenseinstellung beschreibt.
Auf Axel Schäfer wartet jeden Tag jede Menge Arbeit - im Schnitt, schätzt er, hat er damit 14 Stunden zu tun. Sein Berliner Abgeordnetenbüro mit der großen roten Flagge der italienischen Sozialdemokraten an der Wand - ein Geschenk toskanischer Kollegen - und Blick auf das Büro von Helmut Schmidt ist dafür nahezu penibel aufgeräumt. Nur mit einer entsprechenden Ordnung lasse sich das täglich Anstehende bewältigen. Wie zum Beweis schiebt er einige Blätter mit Notizen zusammen und legt sie neben die dicke noch abzuarbeitende Unterschriftenmappe.
Seit 2002 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages, seit Beginn dieser Legislaturperiode europapolitischer Sprecher seiner Fraktion. Damit schließt sich für den 54-Jährigen der politische Kreislauf, der 1978 als SPD-Europawahlkämpfer in Bochum begann, ihn zum Europareferenten von Willy Brandt machte und 1994 als gewählten Abgeordneten ins Europaparlament nach Brüssel brachte.
Fraktionskollegen sagten deshalb, so erzählt der Mann, an dem das einzig Ruhrgebietsuntypische ist, dass er kein Bier, sondern lieber einen guten Tropfen Wein trinkt, er sei der Europaabgeordnete im Deutschen Bundestag. Ihm gefällt es sichtlich, wenn Kollegen so etwas sagen; denn für Schäfer ist die Europäische Union "das wichtigste politische Projekt der Neuzeit".
Ebenso gefällt ihm, Bodenhaftung zu behalten. Auch das ist für Schäfer keine übliche Politikerphrase. Er bleibt ganz buchstäblich am Boden, als Straßenfeger zum Beispiel, als Gärtner, als Fließbandarbeiter bei Opel. Denn einmal im Jahr geht der MdB Schäfer ins Praktikum. Für eine Woche wechselt er die Perspektive. "Da ist dann nicht nur gucken angesagt, ich packe richtig mit an. Das sind immer wieder ganz wichtige Erfahrungen."
Für die politische Bodenhaftung sorgt sein Ortsverein in Bochum-Querenburg, dem er seit 1976 vorsitzt. "Das ist für mich was ganz Besonderes und Wichtiges. Dort habe ich alltägliche Rückkopplung." Als Teil der Partei-Basis geht ihm so nie die Basis seiner Politik verloren. Das hat den Mann, der von sich sagt "Ich bin ins Gelingen verliebt" dorthin gebracht, wo er nach eigener Aussage hingehört: in die Europapolitik.