SOZIALES
Experten bewerten Rente für 63-Jährige ohne Job gänzlich unterschiedlich
Ältere Arbeitslose werden rückwirkend ab dem 1. Januar länger Arbeitslosengeld bekommen, bevor sie auf Hartz IV angewiesen sind. Was mit den Stimmen der großen Koalition im Plenum am 25. Januar beschlossen worden ist, hatte drei Tage zuvor für ein unterschiedliches Experten-Echo gesorgt. "Die erneute Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere ab 50 Jahren auf bis zu 24 Monate belastet die Beitragszahler erneut in Milliardenhöhe", kritisierte Jürgen Wuttke von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 21. Januar den Antrag der Koalitionsfraktionen ( 16/7460). Mit der nun beschlossenen Änderung des Sozialgesetzbuches soll die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, stufenweise verlängert werden. Jahrzehntelange Erfahrungen hätten gezeigt, dass überlange Bezüge eine Brücke in die Frührente, aber kein Weg zu mehr Beschäftigung seien, bemängelte die BDA: "Es ist eine trügerische Hilfe, die den Eindruck vermittelt, Arbeitssuchende hätten länger Zeit." Vielmehr müsse die Integration in Arbeit so schnell wie möglich geschehen, so Wuttke.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) wird der Haushalt der BA in diesem Jahr mit der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer mit 755 Millionen Euro mehr belastet. Da die Neuregelungen laut Gesetzentwurf der Koalition rückwirkend ab 1. Januar gelten, seien bundesweit etwa 400.000 Fälle zu überprüfen, die möglicherweise länger Arbeitslosengeld bekommen könnten, informierte die BA. Innerhalb von drei Monaten nach Ende des Gesetzgebungsverfahrens könne die Bundesagentur diese Aufgabe erledigt haben.
"Es geht darum, die Chance zu nutzen, Ältere so lange wie möglich im Arbeitsmarkt zu halten", machte Wilhelm Adamy die Position des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) deutlich. "Es ist richtig, dass die Entlassung von älteren Menschen abgenommen hat, aber die Eingliederungschancen haben sich trotz guter Konjunktur noch nicht nachhaltig verbessert", beschrieb Adamy den derzeitigen Arbeitsmarkt aus Sicht des DGB. Es müsse daher ein längerer Arbeitslosengeldanspruch bereits für über 45-Jährige gelten. Auf heftige Kritik des DGB und der Linksfraktion stießen die Pläne der Koalition, über 63-jährige Arbeitslose in eine Altersrente mit Abschlägen zu schicken. DGB und Linksfraktion sprachen von einer Zwangsrente. "Diese Zwangsverrentung ist grundgesetzwidrig und widerspricht dem Ziel, die Erwerbsquote der Älteren zu verbessern", heißt es in entsprechenden Anträgen der Linksfraktion ( 16/6929 und ( 16/7459). Bisher bekommen Arbeitslose, die mindestens 58 Jahre alt sind, Geld von der Arbeitsagentur, ohne dass sie der Job-Vermittlung zur Verfügung stehen müssen. "Ein Arbeitnehmer kann es sich nicht mehr leisten, selbst bei 24 Monaten Arbeitslosengeld zu warten, bis letztlich eine niedrige Rente auf ihn wartet", sprach sich Adamy gegen die neue Regelung aus. Kai Senius von der Bundesagentur für Arbeit bewertete die Folge des Gesetzes gänzlich anders: "Im Kern werden die Menschen länger aktiv gehalten."
Unter dem Titel "Arbeit statt Frühverrentung fördern" wenden sich auch die Liberalen gegen eine frühzeitige Rente mit 63 Jahren. "Eine Zwangsverrentung benachteiligt Frauen, Menschen mit Behinderung und langjährige Versicherte", heißt es zur Begründung im Antrag der FDP-Fraktion ( 16/7003). Dort wird gefordert, dass ab dem Ende des 60. Lebensjahres der Zeitpunkt zum Renteneintritt selbst bestimmt werden kann. Dies sei dann möglich, wenn die Summe der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Alterversorgungsansprüche über dem Grundsicherungsniveau liegen würde. Im Gegenzug müsse die Grenze für Zuverdienst neben dem Rentenbezug ab 60 Jahren aufgehoben werden. "Für diese Menschen ist es wichtig, dass sie weiter hinzuverdienen können, auch wenn sie schon einen Teil der Rente in Anspruch nehmen", pflichtete der Sachverständige Professor Johann Eekhoff dem FDP-Vorschlag bei.
Auf die Rentenkasse habe das neue Gesetz langfristig keine Auswirkungen, erklärte Wolfgang Binne, Vertreter der Deutschen Rentenversicherung Bund. Betroffene, die länger Arbeitslosengeld bekommen würden, könnten allerdings profitieren: Maximal 55 Euro, im Durchschnitt aber 30 bis 40 Euro mehr Rente seien im Monat zu erwarten.