Jacques Seneca
Wie der Branchenprimus die Zukunft sieht
Herr Seneca, Sie erwarten bis 2020 große Umsatzsteigerungen im Bereich der digitalen Sicherheit. Wie wird uns dieser Zuwachs bei Smartcards, also Plastikkarten mit eingebautem Chip, beeinflussen? Wie sieht mein Tag 2020 aus?
Ich kann keinen ganzen Tag beschreiben, aber ganz sicher werden wir in Zukunft die Smartcards noch viel stärker als bisher nutzen. Wir werden häufiger auf personalisierte Lern- und Unterhaltungsangebote zugreifen. Chipkarten werden dabei zu "digitalen Bevollmächtigten". Das heißt, wir werden uns mit ihrer Hilfe online ausweisen, Zugang zu bestimmten Bereichen erlangen und Transaktionen vornehmen. Die Smartcards unterstützen uns im täglichen Leben - ob in Form von Kreditkarten, Pässen oder in Telefonen, im Grunde in fast allen informationsspeichernden Geräten. Den größten Zuwachs erwarten wir im staatlichen Bereich - wenn es um elektronische Ausweise und Pässe geht, die viele Regierungen einführen werden - und im Gesundheitsbereich. Außerdem denke ich, dass in Zukunft so genannte Maschine-zu-Maschine-Anwendungen immer wichtiger werden.
Was bedeutet das?
Technische Geräte können dann mit Mobilfunktechnologie ausgestattet und vernetzt werden. So können etwa Daten von Strom- oder Gaszählern ausgelesen werden. Wir gehen davon aus, dass viele große IT-Anbieter immer öfter Smartcards in ihren Computern installieren und wir eine größere Konvergenz von Smartcard- und IT-Schnittstellen sehen werden. Das klingt heute noch sehr theoretisch - aber Sie werden es benutzen, ohne es groß wahrzunehmen.
Nicht jeder ist begeistert von der zunehmenden Verwendung der Chipkarten.
Ich glaube, es gibt da immer weniger Skepsis. Es ist eine Frage der Gewöhnung und des Verstehens. Ein Beispiel: Es gab eine Debatte über die RFID-Technik, weil auf dem Internetportal "youtube" beschrieben wurde, wie man Angriffe auf RFID-Produkte ausführen kann. Dadurch bekamen viele Leute Angst und wurden auch im Hinblick auf elektronische Pässen skeptisch. Dabei wurde aber vergessen, dass die Pässe ganz anders funktionieren und viel komplexer sind: Im Pass steckt ein Mikroprozessor mit einem Cryptoprozessor zur Verschlüsselung von Daten. Wenn Sie versuchen, an die Daten dieses Passes heranzukommen, überprüft er zunächst, wer Sie sind, bevor der Kanal geöffnet wird. Die komplette Kommunikation, die dann folgt, ist verschlüsselt.
Aber viele Menschen befürchten, durch die Benutzung der Chipkarten könnten staatliche Organisationen oder Unternehmen jeden ihrer Schritte verfolgen.
Irritiert es sie nicht viel mehr, durch die Straßen von London zu laufen und ständig von Kameras aufgenommen zu werden? Damit werden Sie viel präziser beobachtbar, als wenn Sie Ihre Banktransaktionen mit der Chipkarte erledigen oder die Grenze mit Ihrem Pass überschreiten. Denn wenn Sie eine Grenze überschreiten, werden Sie registriert, ob da nun ein Chip in Ihrem Pass ist oder nicht.
Ihre Firma hat von der Krankenkasse AOK den Auftrag bekommen, 35 Millionen elektronische Gesundheitskarten zu liefern. Wie funktionieren sie?
Es ist das erste Projekt dieser Art, das auf sicheren Mikroprozessorkarten beruht. Eine mögliche Anwendung ist die elektronische Patientenakte, die Daten wie Blutgruppe, bestehende Allergien oder durchgeführte Behandlungen speichern kann. Der Arzt kann die persönlichen Informationen des Patienten nur nach dessen Einwilligung einsehen, der Patient muss dafür seine persönliche Geheimnummer eingeben.
Was ist der Vorteil für den Patienten?
Die Karte kann helfen, Doppeluntersuchungen und dadurch entstehende Kosten im Gesundheitswesen zu verhindern. Außerdem soll die Gesundheitskarte in der zweiten Stufe Rezepte elektronisch verwalten - das reduziert den Papierberg. Darüber hinaus können die Betriebskosten der Krankenversicherer durch automatische Daten-Updates gesenkt werden - das heißt, Sie brauchen nicht jedes Mal eine neue Karte, wenn sich etwa Ihre Adresse ändert.
Damit hat Gemalto Zugang zu vielen sensiblen Daten. Wie können die Patienten sicher sein, dass Sie nicht irgendwann all diese Daten verkaufen?
Wir erhalten alle Daten unserer Kunden als verschlüsselte Dateien - niemals als Klardaten. Wir haben keinen Zugang zu diesen Informationen. Gemalto ist ein vertrauenswürdiger Partner von zahlreichen Regierungen, mehr als 300 Telekommunikationsunternehmen und über 600 Banken. Alleine im Jahr 2006 haben wir mehr als eine Milliarde Mikroprozessor-Karten ausgeliefert. Damit gehen wir verantwortungsvoll um.
Wie ist Ihre Prognose wagen: Kann ich 2020 auch ohne Chipkarten leben?
Ich denke schon. Die Frage ist: Was für ein Leben wollen Sie? Ohne die Smartcards wäre es schlicht weniger bequem. Die Zahl der Menschen, die in einer digitalen und drahtlosen Welt miteinander kommunizieren, steigt immer weiter. Sie werden froh sein, die Technik nutzen zu können und es als selbstverständlich empfinden. Ein Beispiel: Heute nutzen wir Telefone in einer geschlossenen Umgebung frei von Viren. Morgen werden wir in einem offenen System telefonieren, auf das wir eine Menge Anwendungen oder Spiele laden. Die Gefahr, dabei Viren und Trojaner aufzulesen, steigt. Dann können sie digitale Sicherheit nutzen und Hilfsprogramme starten, die prüfen, ob das, was Sie gerade runterladen wollen, eine sichere Anwendung ist. Das ist doch sehr nützlich, oder?
Das Interview führte Susanne Kailitz.
Jacques Seneca ist Executive Vice-President der Gemalto AG, dem weltweit größten Anbieter von Chipkarten. Er ist zudem Vorsitzender des Branchenverbandes Eurosmart.