BIOGRAFIE
Befremdliche Bewertungen über das Leben und Wirken Adolf Grimmes
Weithin bekannt ist der Grimme-Preis, die höchste Auszeichnung des deutschen Fernsehens. Nahezu in Vergessenheit geraten ist hingegen der Namensgeber Adolf Grimme." So wirbt der Umschlagtext einer aktuellen Grimme-Biografie. Falls jemand hofft, mit diesem Buch Grimme nun auf fundierte Weise näher zu kommen, wird er enttäuscht werden.
Zwar beschreibt die im Böhlau Verlag publizierte Arbeit sehr ausführlich den im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz befindlichen Nachlass des SPD-Politikers Adolf Grimme (1889-1963). Der letzte preußische Kultusminister vor der NS-Diktatur wurde als Antifaschist inhaftiert, war nach 1945 in Niedersachsen Kultusminister und fungierte von 1950 bis 1956 als erster Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks. Die Bewertungen jedoch, die der Verfasser Kai Burkhardt anbietet, sind häufig nicht überzeugend, punktuell sogar fragwürdig.
Nicht die kritische Betrachtung eines - laut Schutzumschlag - "herausragenden Menschen" lässt Zweifel an der Seriosität des Buches wachsen. Im Gegenteil, was der Verfasser über Grimmes NWDR-Zeit schreibt, ist - soweit für Uneingeweihte möglich - nachvollziehbar. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Spannungsfeld politischer Interessen stand, denen sich Grimme als ein Generaldirektor mit geringen Macht-ambitionen wenig zu widersetzen vermochte, ist eine plausibel dargelegte Position. Was aber beispielsweise die Auseinandersetzung des religiösen Sozialisten und Antifaschisten Grimme mit den bräunlichen Seilschaften im Niedersachsen des ersten Nachkriegsjahrzehnts betrifft, so ist deren Bewertung durch Burkhardt mehr als befremdlich.
Adolf Grimme war einer der wenigen überlebenden Angeklagten aus dem Kreis der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle". Das ihm drohende Todesurteil wurde 1943 in eine Zuchthausstrafe umgewandelt. Die mitinhaftierten Gefährten um Harnack und Schulze-Boysen wurden in Plötzensee hingerichtet, unter anderem wegen Landesverrats, was sich auf Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst bezog. Beteiligt an vielen Todesurteilen war der Militärrichter Manfred Roeder, der in diesen Fällen und auch gegen Dietrich Bonhoeffer die Untersuchungen führte. Nach Kriegsende erstattete Grimme zusammen mit seinem ehemaligen Zellengefährten Günther Weisenborn und mit Greta Kuckhoff, der Witwe seines Freundes, Anzeige gegen Roeder.
Wie Burkhardt schreibt, war vor der zuständigen Strafkammer in Lüneburg ein unvoreingenommener Prozess nicht zu erwarten, "da die zuständigen Juristen indirekt ihre eigenen Laufbahnen verhandelten". Der Prozess gegen Roeder wurde eingestellt, die NS-Urteile quasi bestätigt. Das Urteil gegen Bonhoeffer wurde 1996, das gegen Schulze-Boysen erst 2006 aufgehoben.
Letzteres erwähnt der kürzlich mit dieser Arbeit promovierte Historiker Burkhardt jedoch nicht, er schreibt: "Die Geschichte der ,Roten Kapelle' ist von tiefer Tragik. Spionage zu betreiben, gehört zu den verwerflichen Widerstandsaktionen. Die verbrecherische Natur des Hitler-Krieges schien zwar außergewöhnliche Mittel zu gestatten. Soldaten in Lebensgefahr zu bringen, gilt gleichwohl zu Recht als unehrenhaft und strafbar."
Dass Adolf Grimme sich nach 1945 gegen besagte braune Allianzen zur Wehr setzte, deutet Burkhardt zudem recht unbedarft als eine "bisher nicht vorgetretene Schicht seiner Persönlichkeit: Rache und Hass." An anderer Stelle fragt er dann, warum sich die SPD und Grimme als Kultusminister nicht aktiver für die Aufarbeitung der NS-Zeit eingesetzt haben. Dieser mehrfach durchscheinende Mangel an Empathie gegenüber Grimmes antifaschistischer Haltung nach 1945, gepaart mit stellenweise peinlicher Preußen-Duselei und einer zuweilen legeren Darbietung von Quellenmaterial als eigener Position, führt zu dem Fazit: Leider nicht zu empfehlen.
Adolf Grimme. Eine Biografie.
Böhlau Verlag, Köln 2007; 384 S., 22,90 ¤