Afghanistan
Drei Erfahrungsberichte aus der Feder von Soldaten und Journalisten über das Engagement des Westens
Von ihrem Afghanistan-Einsatz mit der Bundeswehr sind in den vergangenen sechs Jahren mehrere Tausend Soldaten zurückgekehrt. Das durchschnittliche Alter bei vielen liegt bei 25 Jahren, wie es in einem der hier rezensierten Bücher heißt. Sie alle bringen ihre Geschichten aus dem Kriegs- und Krisengebiet mit zurück. Für die Bundeswehr ist Afghanistan ein Einschnitt in ihrer Geschichte. Das Militär ist mit den weltweiten Einsätzen extrem gefordert. Ein Gutachten im Auftrag des Verteidigungsministeriums, das jüngst für Schlagzeilen sorgte, spricht von schweren Führungs- und Planungsmängeln bei den Auslandseinsätzen, unter anderem am Hindukusch.
In diese Kerbe schlägt das Buch von Achim Wohlgethan. Der inzwischen aus dem Dienst ausgeschiedene Stabs-Unteroffizier hat bis jetzt gewartet - wegen der "Zensur" bei der Bundeswehr, wie er sagt -, um seine Erlebnisse in Afghanistan aus dem Jahr 2002 zu schildern. Sein Hauptvorwurf lautet: die Bundeswehr hat "die Gefährlichkeit der Mission bewusst herunterspielt und die Soldaten oft moralisch, politisch und juristisch im Stich gelassen".
Er führt Einsatzfahrten außerhalb des ISAF-Mandatsgebiets angeblich ohne klare Befehlslage an, implizit also den Vorwurf, man habe sein und das Leben Anderer leichtfertig auf's Spiel gesetzt. Außerdem gewährleiste das Evakuierungs-Konzept auf keinen Fall den unversehrten Abzug aller deutscher Soldaten im Notfall: "Wir wussten, dass wir keine Chance hätten."
Das Verteidigungsministerium hat dem Autor aufgrund seines Dienstgrades erst einmal die Glaubwürdigkeit abgesprochen, wobei die Fotos im Buch Wohlgethans Einsatz belegen. Der Leser fragt sich, welche der gemachten Beobachtungen bis heute gültig sind. Einzelheiten aus dem genannten Gutachten sowie Stimmen von Soldaten aus jüngerer Zeit legen den Schluss nah, dass eine Reihe der geschilderten Phänomene durchaus typisch sind.
Beklemmend ist eine Episode, bei der afghanische Kinder von ISAF-Militär offenbar als Testpersonen auf möglicherweise vermintes Gelände geschickt werden. Die Soldaten werfen Äpfel in Richtung der Gefahrenzone und die Kinder laufen hinterher. "Wenn das wahr ist, dann sollten Köpfe rollen", lautet ein englischsprachiger Kommentar im Internet dazu. Die politische Sprengkraft des Buches ist allerdings relativ. Den Stempel "Top Secret" auf dem Einband verdient es nicht. Der Autor beteuert auch, er wolle die Bundeswehr nicht verurteilen, sondern eine Diskussion anregen und andere Soldaten ermutigen, endlich ihre Geschichten zu erzählen.
Wir ahnen: dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Da kommt noch mehr auf die Öffentlichkeit zu. So soll etwa die Anzahl posttraumatischer Belastungsstörungen im Afghanistan-Einsatz um ein Vielfaches höher sein als offiziell bekannt. "Haben wir alle einen Schaden erlitten?", fragt der Autor: "Ja, dieser Einsatz war eine extreme Erfahrung." Deutschland erlebt er bei seiner Rückkehr als "fremd gewordene Heimat". Nach dem Kulturschock vollzieht sich eine Umwertung seiner Werte. Fünf Monate braucht er, um alles halbwegs zu verarbeiten. Dann stürzt er sich in seinen zweiten Afghanistan-Einsatz. An dieser Stelle endet sein Buch.
Politikern, die etwas über die tatsächliche Stimmung in der Truppe erfahren wollen, empfiehlt Wohlgethan, einmal unangemeldet vor Ort zu erscheinen. Die Wahrscheinlichkeit, sich nicht von Presse-Offizieren mit Allgemeinplätzen abspeisen lassen zu müssen, sei dann geringer. Eine Spitze auch gegen die Berichterstattung deutscher Medien vor Ort.
Der zweite Soldat, der sich als Autor betätigt, ist ein Vertreter der Medien. Boris Barschow nennt sich selbst einen "wehrübenden Journalisten". Hinter dieser ungewöhnlichen Bezeichnung verbirgt sich ein Redakteur des ZDF-Heute-Journals, der seinen Reservedienst in Afghanistan als Major leistet. Barschow will beides sein: ein vorbildlicher Soldat und ein "Journalist mit Leib und Seele" - eine Gratwanderung zwischen Loyalität gegenüber dem Militär und dem öffentlichen Interesse, die im Grunde nur misslingen kann.
In Kabul ist er Chefredakteur der ISAF-Zeitung "Sada-e-Azadi", zu deutsch "Stimme der Freiheit". Ein Gratis-Blatt, das in Universitäten, Ämtern und Schulen ausliegt, Teilen der einheimischen Bevölkerung jedoch als platte NATO-Propaganda gilt. Barschow streift dieses Dilemma kurz, richtig eingehend setzt er sich nicht mit der Kritik auseinander. Der Leser ahnt, dass Vieles tatsächlich komplexer ist. Barschow gehört zur Medien-Sektion "operative Information", den "psychologischen Kriegsführern", wie er schreibt. Was das tatsächlich bedeutet, wird nicht hinreichend klar.
Weil Barschow spürt, dass nicht hinter jedem Baum eine Bombe liegt, verändert sich seine Wahrnehmung. Er erlebt seine Angst als etwas, das ihm nicht nur Schutz gibt, sondern auch Vorurteile gebiert. Die Frage nach Sinn und Zweck des Einsatzes am Hindukusch beantwortet er für sich positiv. Andererseits beschreibt er Zweifel an der Rolle des Westens im Allgemeinen: "Welche mystische Kraft gibt uns eigentlich das Recht, denen zu sagen, was gut für sie ist? Stellen wir uns doch mal vor, morgen landen in Köln oder Koblenz Afghanen und bringen uns bei, mit den Füßen unser Steak zu essen. Völliger Blödsinn? Wir versuchen doch hier das gleiche! Im Prinzip haben wir nicht den geringsten Schimmer von dieser Kultur und ihren Menschen."
Der Vergleich mit Afghanen, die mit den Füssen essen, ist nicht wertfrei. Ähnlich unglücklich sind auch andere Einlassungen sowie die weitgehend ausgeblendete Rolle des Westens am Entstehen der fundamentalistischen Bewegung in Afghanistan. Auch Barschow hat es ein zweites Mal nach Afghanistan gezogen. Zusammen mit anderen Soldaten organisiert er eine Spendenaktion zum Aufbau von Schulen.
Die Bundeswehr in Afghanistan in die politische Großwetterlage einzuordnen, versucht Christoph Hörstel. Der Autor kennt Afghanistan seit 24 Jahren. Er war als ARD-Journalist vor Ort und als BND-Agent. Vor allem beschreibt er seine Zeit im Mujaheddin-Widerstand an der Seite von Gulbuddin Hekmatyar ("Ich war einer von denen"). Kritiker haben Autor und Buch deshalb bereits verdammt. Sie vergessen dabei, dass der Westen den heute per Fahndung gesuchten Terror-Anführer einst selbst hofierte.
Eine Reihe seiner Anmerkungen und Thesen sind durchaus erhellend und provokativ. Tatsächlich fehlt es dem Militär wie der Entwicklungshilfe an einem Gesamtkonzept. Es werden mögliche Risiken einer zu nahen Anlehnung an geostrategische Interessen der US-Regierung in Afghanistan erörtert, etwa die Frage, welche Folgen ein möglicher Waffengang im Iran oder Pakistan für Deutschland hätte.
Kern seiner Thesen stellt ein Disengagement-Plan dar, der einen Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan über fünf Jahre - bei gleichzeitig verstärktem zivilen Engagement - vorsieht. Ein Vorschlag der die Nähe zur Linkspartei nicht kaschiert und vermutlich bei mehr als einem Abgeordneten auf Sympathie stieße. Ob es der afghanischen Bevölkerung damit langfristig besser ginge, ist allerdings fraglich. Wie die Sicherheit angesichts des dann entstehenden Vakuums gewährleistet werden kann, wird nicht hinreichend klar. Vermutlich gibt es darauf zurzeit ohnehin keine überzeugende Antwort.
Endstation Kabul. Als deutscher Soldat in Afghanistan - ein Erlebnisbericht.
Econ Verlag, Berlin 2008; 304 S., 18,90 ¤
Kabul, ich komme wieder.
Vive Verlag, Lüneburg 2007; 340 S., 16,80 ¤
Sprengsatz Afghanistan. Die Bundeswehr in tödlicher Mission.
Knaur Taschenbuch Verlag, München 2007; 287 S., 8,95 ¤