STAMMZELLGESETZ
Forschungsfreiheit kontra Menschenwürde - ein Ergebnis ist noch nicht in Sicht
Es war ein seltener Anblick. Renate Schmidt (SPD) argumentierte gegen ihren Parteifreund René Röspel, war sich aber mit Katherina Reiche (CDU) einig. Reiche stellte sich gegen ihren Fraktionschef Volker Kauder. Kauder wiederum sah Fraktionsführer Fritz Kuhn von Bündnis 90/Die Grünen weitgehend auf seiner Seite. Petra Sitte von Die Linke war sich mit der Liberalen Ulrike Flach einig. Am 14. Februar war bei der ersten Lesung der vier Gesetzentwürfe und des einen Antrags, die sich mit der Stichtagsregel im Stammzellgesetz befassen, der Fraktionszwang aufgehoben. Die interfraktionellen Initiativen entsprachen in ihrem Inhalt der Vielfältigkeit der Debatte. Während sich der Gesetzentwurf, den im Vorfeld die meisten Abgeordneten unterschrieben hatten, dafür aussprach, den Stichtag zum Import menschlicher embryonaler Stammzelllinien auf den 1. Mai 2007 zu verlegen, gab es darüber hinaus eine Initiative, ihn ganz abzuschaffen, ihn auf dem derzeitigen Stand, dem 1. Januar 2002, zu belassen oder den Import von menschlichen embryonalen Stammzellen ganz zu verbieten.
Schon vor sechs Jahren, als die Stichtagsregelung beschlossen wurde, war die Debatte quer durch alle Fraktionen kontrovers geführt worden. Mit 360 zu 190 Stimmen war das Gesetz beschlossen worden, das einen Import von Stammzellen nur unter strengen Auflagen zulässt. Auslöser der Diskussion war der Wunsch eines Bonner Wissenschaftlers gewesen, für seine Arbeit drei menschliche embryonale Stammzelllinien aus Israel importieren zu können. Die Produktion in Deutschland ist nämlich durch das Embryonenschutzgesetz seit 1991 verboten. Gemäß des Stammzellgesetzes dürfen Forscher jetzt Zelllinien aus dem Ausland einführen, die vor dem 1. Januar 2002 produziert worden sind. Bislang wurden 25 solcher Anträge genehmigt. Schon im vergangenen Jahr beklagten Wissenschaftler jedoch, die Zelllinien seien zu alt, um mit ihnen vernünftige Ergebnisse zu erzielen.
Die Gesetzesvorgaben sind nach Angaben aller Redner die weltweit strengsten. Die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen ist demnach nur dann ethisch vertretbar, wenn das Forschungsziel hochrangiges Wissen für Grundlagenforschung oder Therapien möglich machen kann. Es muss mit Tierzellen weitgehend voruntersucht worden sein oder voraussichtlich ohne menschliche Zellen nicht erreicht werden können. Die Einhaltung dieser Richtlinien wird vom Robert-Koch-Institut vor jedem Import geprüft. Dazu holt es sich die Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission für Stammzellenforschung ein.
So war es vor allem die grundlegende Frage nach der Würde des Menschen, die die Redner kontrovers diskutierten. Denn für die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen müssen diese zuvor Embryonen entnommen werden. Diese Embryonen sind zwar nur acht Zellen klein und drei Tage alt, jedoch sind die kompletten Erbanlagen festgelegt und würden sie in eine Gebärmutter eingepflanzt, könnten sie sich zu einem Menschen entwickeln. Entnimmt man ihnen eine Zelle, werden sie zerstört. Volker Kauder und Fritz Kuhn sprachen sich gegen eine Verschiebung oder gar Abschaffung des Stichtages aus. Er wisse nicht, wann menschliches Leben beginne und beziehe deswegen Embryonen in den Begriff Mensch mit ein, so Kauder. Ein Embryo sei ein "zukünftiges Kind" und kein "Rohstofflieferant", stimmte ihm Kuhn zu.
Auch die Befürworter der Anträge zur Aufhebung oder Verschiebung des Stichtages sahen die Menschenwürde als die Grundlage ihrer Initiativen an. "Wir bekennen uns zur Ethik des Heilens", begründete Ulrike Flach den von ihr mitentwickelten Entwurf, mit dem der Stichtag aufgehoben werden soll. Sie sehe Betroffenenorganisationen wie die Gesellschaft für Multiple-Sklerose hinter sich, die sich "ganz klar" für ihre Initiative ausgesprochen hätten. Auch Renate Schmidt argumentierte "in dubio pro vita - im Zweifel für das Leben", als sie sich gegen einen Stichtag aussprach. Ob sich aus der Forschung mit embryonalen Stammzellen irgendwann wirksame Therapien entwickelten, sei noch unklar. Doch sie sprach sich dafür aus, dieser Möglichkeit "eine Chance zu geben", um eventuell einmal Therapien für schwerkranke Menschen möglich zu machen.
Doch nicht nur die Würde des Menschen ist im Grundgesetz garantiert, sondern auch die Freiheit der Forschung. Deshalb stritten die Abgeordneten auch darum, ob die Forschung für Therapien eingeschränkt werden darf, weil sie mit Menschen experimentiert. "Solange nicht das Notwendige erforscht ist, kann ich keinem erklären, warum es eine Einschränkung gibt", sagte Petra Sitte. Sowohl der Antrag auf Verschiebung des Stichtages als auch auf seine Aufhebung sprächen nicht davon, die strengen Auflagen, die zur Genehmigung der Forschungsvorhaben mit embryonalen Stammzellen gelten, abzuschaffen. Katherina Reiche plädierte für eine Abschaffung des Stichtages, weil die Arbeit mit veralteten Linien eine "gesetzeswidrige Einschränkung verfassungsrechtlich geschützter Forschung" sei. Ulrike Flach betonte, embryonale Stammzellforschung sei notwendig, denn allein mit Experimenten an adulten Stammzellen seien keine Erfolge möglich. René Röspel, vor sechs Jahren ein Import-Gegner, wollte so weit nicht gehen, erkannte das Problem der Wissenschaftler jedoch an. Eine Verlegung des Stichtages sei ein vernünftiger Mittelweg, der den Forschern eine gute Arbeit auf viele Jahre erlaube, aber gleichzeitig die Idee des derzeitigen Gesetzes wahre, dass aus Deutschland kein Anreiz für die Züchtung und Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken ausgehen solle. Hubert Hüppe (CDU), seit jeher Gegner der embryonalen Stammzellforschung, bestritt, dass weitere Linien notwendig sind: "Es gab noch nie so viele Linien wie heute, deswegen ist auch eine Verschiebung des Stichtages nicht notwendig."
Als relativ unstrittig gilt die Änderung der Strafandrohung für Forscher, die in internationalen Projekten mitarbeiten. Bisher wurden sie auch haftbar gemacht, wenn ihre Kollegen im Ausland mit anderen als den in Deutschland zugelassenen Linien experimentierten. Die Entwürfe und der Antrag wurden an den Forschungsausschuss überwiesen, vor Ostern soll das Parlament darüber entscheiden.