MEHRWERTSTEUER
Der ermäßigte Satz ist oft nicht logisch. Abgeordnete sehen Reformbedarf
Es gibt Produkte, für die gilt der allgemeine Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent, und es gibt andere, die werden nur mit dem ermäßigten Satz von sieben Prozent besteuert. Was ermäßigt besteuert wird, kann man in der Anlage 2 zum Umsatzsteuergesetz nachlesen. Hundefutter gehört dazu, Babywindeln nicht. Die Linksfraktion hat am 14. Februar im Bundestag einen Antrag ( 16/4485) zur Abstimmung gestellt, den zuvor schon der Finanzausschuss abgelehnt hatte ( 16/6732). Sein Ziel war, den Mehrwertsteuersatz für Produkte und Dienstleistungen für Kinder auf sieben Prozent zu senken. Von 566 Abgeordneten haben ihm nur 50 zugestimmt, 514 waren dagegen, und es gab zwei Enthaltungen.
Gregor Gysi begründete den Antrag seiner Fraktion mit der Zahl von 2,6 Millionen Kindern, die in Deutschland in Armut lebten. Parallel zur Mehrwertsteuererhöhung hätte die Regierung den Steuersatz auf Kinderprodukte senken können. Gysi zitierte aus der Hamburger Erklärung des CDU-Präsidiums vom 11. Februar, wonach "auch unter dem Gesichtspunkt der Finanzierbarkeit" geprüft werden solle, wo in Zukunft grundsätzlich der ermäßigte Steuersatz angewendet werden könne. Ziel sei es, typische Kleinkind- und Kinderprodukte des täglichen Bedarfs darunter zu fassen.
"Auch wir wollen die Liste überarbeiten", sagte der Unionsabgeordnete Manfred Kolbe. "Hier besteht in der Tat Reformbedarf." Dem Anliegen der Linken erteilte er indes eine klare Absage, weil es mit EU-Recht nicht vereinbar sei. Sein Fraktionskollege Otto Bernhardt sagte, 1,5 Milliarden Euro würde dies jährlich kosten, wobei man nicht wisse, was wirklich bei den Kindern ankomme.
Die Umsatzsteuer füttert den Fiskus mit 175 Milliarden Euro im Jahr, davon entfallen nach Darstellung Bernhardts 85 Prozent auf den regulären und 15 Prozent auf den ermäßigten Steuersatz. Von diesen 15 Prozent entfielen wiederum drei Viertel auf Lebensmittel. Würde der ermäßigte Steuersatz ganz gestrichen, kämen für den Staat 18 Milliarden Euro mehr zusammen. Um das gleiche Steueraufkommen wie jetzt zu erzielen, könnte dann der reguläre Steuersatz sogar um 2,5 Prozent gesenkt werden, sagte Bernhardt. Selbst für Wasser gelte der volle Steuersatz. Würde man diesen auf sieben Prozent senken, hätte das Steuerausfälle von 300 Millionen Euro zur Folge. "Das System ist überprüfungswürdig", so der CDU-Politiker. Zwei Bereiche gibt es für ihn, in denen vieles für den ermäßigten Steuersatz spricht: die Gastronomie und die Medizin. Ginge man hier auf sieben Prozent, kostete das 8 Milliarden Euro. Die Folge wäre, dass der reguläre Steuersatz von 19 auf 20 Prozent angehoben werden müsste.
"Populistische Einzelmaßnahmen helfen den Kindern nicht", lautete das Urteil von Gabriele Frechen (SPD), der stellvertretenden Vorsitzenden des Finanzausschusses. Die Preise für die gleichen Babywindeln variierten um 50 Prozent in einzelnen Geschäften. Die "Preisfindung" folge hier anderen Gesetzmäßigkeiten als dem Mehrwertsteuersatz. Würde man dem Antrag der Linken zustimmen, würde man "sehenden Auges" ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission riskieren. Frechens Fraktionskollegin Lydia Westrich sagte: "Wir werden uns die Liste genauer anschauen müssen." Die Begehrlichkeiten, in die Liste der Produkte mit ermäßigtem Steuersatz aufgenommen zu werden, nähmen von allen Seiten zu.
"Wir wollen ran an die Überarbeitung des Mehrwertsteuersystems", sagte auch Volker Wissing (FDP), der sich über die nur ermäßigt besteuerten "getrockneten Schweineohren" und Fahrten mit dem Sessellift ausließ. Das Bundesfinanzministerium habe selbst eingeräumt, so der Abgeordnete, dass die Liste der steuerermäßigten Produkte keiner inneren Logik folge, sondern die Durchsetzungsfähigkeit der jeweiligen Lobbygruppen spiegele. "Es spricht nicht für die politische Standhaftigkeit, wenn Interessenvertretern für getrocknete Schweineohren nicht Paroli geboten wird", lästerte Wissing.
Keine Gnade fand die Initiative der Linken auch bei den Grünen: "Das kommt gar nicht bei den Menschen an", so der finanzpolitische Sprecher Gerhard Schick. "Wir wirken an einer besseren Systematik mit, aber Sie müssen Ja zu einem ernsthaften Prozess sagen", rief Schick der Koalition zu. Handlungsbedarf angesichts von Kinderarmut gebe es, und es sei richtig, über eine Kindergelderhöhung zu sprechen.