Russland
Edward Lucas fordert vom Westen eine härtere Gangart gegenüber Moskau
Das Böse kommt aus Russland, es gefährdet die internationalen Staatengemeinschaft im Allgemeinen und die westlichen Demokratien im Besonderen. Auch die unabhängigen demokratischen Staaten Osteuropas und des Baltikums sehen sich neuen Bedrohungen gegenüber: Das alte Monster Russland hebt wieder sein Haupt. Das Denken der Kreml-Herrscher aus den Reihen des KGB, verantwortlich für das "Putin-System", kreist um nichts anderes als die Frage, wie sie einen neuen Kalten Krieg beginnen können, um sich den Westen zu unterwerfen. Dieser Eindruck bleibt nach der Lektüre des Buches von Edward Lucas haften.
Als Korrespondent für den "Londoner Economist" berichtete Lucas viele Jahre aus Moskau. In seinem hervorragend recherchierten Buch instrumentalisiert der Journalist sein Wissen über Russland: er lässt nur jene Thesen gelten, die in sein Konzept passen. Wie kein anderer Russland-Kenner dämonisiert Lucas die Innen- und Außenpolitik Moskaus, insbesondere während der zweiten Präsidentschaft Wladimir Putins. Seine Abneigung gegen Russland kann und will Lucas nicht verheimlichen. Er zwingt seine Leser regelrecht, ihn auf seinem anti-russischen Feldzug zu begleiten. Zugleich fordert er die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die USA und die NATO auf, eine gemeinsame Front gegen das neue Russland zu formieren. Als Vorbild dient ihm die Zeit des Kalten Krieges. Die aggressive russische Außen- und Sicherheitspolitik müsse hart torpediert werden, sonst werde es eines nicht allzu fernen Tages zu spät dafür sein.
Der Journalist ist weit davon entfernt, die Präsidentschaft Boris Jelzins zu glorifizieren. Zu Recht weist er darauf hin, dass die Reformer inkompetent, schwach und bestechlich waren. Die Gier der damaligen Kreml-Clique und der Oligarchen habe den Russen ihren Glauben an das Mehrparteiensystem und die Marktwirtschaft gründlich ausgetrieben. Auf diese Weise sei die "Demokratie" unwiderruflich diskreditiert worden. Gleichzeitig habe sich die überwiegende Mehrheit des russländischen Volkes am Rand einer existenziellen Bedrohung wieder gefunden. So begründet Lucas, warum die Machtübernahme und die ersten politischen Schritte Putins von den Massen bejubelt wurden. Dass das Parteien- und Wahlgesetz geändert wurde und die Medien, insbesondere das Fernsehen, unter die vollständige Kontrolle der Präsidialadminis- tration gerieten, sei angesichts der Renten- und Gehaltserhöhungen für das Volk zweitrangig.
Der Autor wertet Putins Politik für einen starken Staat und die konsequente Verteidigung der russischen Interessen auf internationaler Ebene als erste Zeichen eines neuen Kalten Krieges. Allerdings sei die russische Armee im Vergleich zu ihren potenziellen Gegnern immer noch zu schwach. Deshalb setze Moskau seine Energieträger, seine Diplomatie und Propaganda quasi als strategische Waffen ein. "Russland nutzt die Energie als Waffe, um seine Feinde zu drangsalieren und seine Verbündeten zu bestechen und es nutzt seine Finanzkraft, um sich Freunde und Einfluss zu kaufen". Dabei sollte der Journalist wissen, dass derartige Beschreibungen teilweise auch auf die Politik seiner britischen Heimat oder der USA angewendet werden könnten.
Mit seiner scharfen Kritik an Deutschland macht er sich völlig unglaubwürdig. Im Einzelnen wirft er der deutschen Wirtschaft vor, nur an Exporten interessiert zu sein, während Berlin langfristige Gaslieferverträge mit Russland anstrebe. Ein neues "Rapallo" wird heraufbeschworen. Indem er Deutschland indirekt einen Verrat der gemeinsamen Interessen des Westens vorwirft, überzieht er maßlos. Wie ein Besessener warnt Lucas davor, mit Russland enge wirtschaftliche Beziehungen zu knüpfen. Als "fünfte Kolonne" gelten ihm die Wirtschaftslobbyisten, die "ihre Heimatländer für 30 Silberrubel betrügen".
Der Kalte Krieg des Kreml. Wie das Putin-System Russland und den Westen bedroht.
Riemann Verlag, München 2008; 413 S., 19 ¤