Biografie
Hans-Peter Schwarz porträtiert Axel Caesar Springer jenseits des üblichen Schwarz-Weiß-Denkens
Dieses Leben braucht Zeit, erzählt zu werden. Drei Jahre Arbeit hat Hans-Peter Schwarz in die Biografie des Verlegers Axel Springer gesteckt, hat als erster Historiker Zugang zu den Archiven des Springer Verlags bekommen und schließlich ein Werk von über 700 Seiten vorgelegt. Nicht immer kommen bei solchen Mammutprojekten die besten und lesbarsten Ergebnisse heraus. In diesem Fall ist zu konstatieren, dass es möglicherweise schmissigere und pointiertere Lebensdarstellungen des vielleicht schillerndsten deutschen Verlegers gibt. Aber: Eine bessere gibt es wohl keine.
Schwarz geht erkennbar ohne jedes Vorurteil an den Mann heran, der sich selbst einmal eine "Symbolfigur der Bundesrepublik" genannt hat. Der Historiker nähert sich Springer mit Wohlwollen, das schon. Wenn er ihn an einer Stelle einen "seltenen Vogel" nennt, ist das durchaus als Sympathiebekundung zu verstehen. Doch eine Anbiederung oder gar Heldenverehrung wird aus dieser Lebensgeschichte an keiner Stelle. Steile Thesen sind Schwarz? Sache nicht - er stützt sich auf seine intensive Archivarbeit und die Interviews mit Begleitern des Verlegers, macht sich aber bei der Darstellung der Figur Springers weitgehend von Vereinnahmungen durch seine Quellen frei. "Dieser Mann war eine Ansammlung von Widersprüchen", schreibt Schwarz in einem Art Psychogramm des Verlegers, "einserseits ein harmoniesüchtiger, zugleich aber ein sprunghafter und selbstbezogener Mensch, ein kühl kalkulierender Verlagschef und ein zäher Politiker."
Schwarz gelingt es, die Entwicklung Springers vom unsicheren Jungverleger und "Bruder Leichtfuß" zum selbst- und machtbewussten Mann von Welt, gar zum "Grövaz" (Größter Verleger aller Zeiten), wie ihn Vertraute zuweilen ironisch nennen durften, schlüssig aufzuzeigen. An Visionen mangelte es dem jungen Springer nicht, doch zunächst war der Sohn eines mittelständischen Verlegers aus Hamburg im Dritten Reich ein "bürgerlicher Individualist", der wie seine Eltern mit den Nationalsozialisten und ihrer Ideologie so wenig wie möglich zu tun haben wollte, andererseits mit dem Widerstand gegen Hitler auch nichts am Hut hatte.
Der Ehrgeiz packte ihn dann schnell nach dem Krieg. Der Aufstieg war rasant: Gründung der Fernsehzeitschrift "Hör zu!" und des "Hamburger Abendblattes", Kauf der "Welt", Übernahme des Berliner Traditionsverlags Ullstein. Die "Bild"-Zeitung, später als Kampfblatt unter anderem gegen die Ostpolitik Willy Brandts positioniert, plante Springer zunächst als "unernste" Zeitung, die in der Politik nur eine marginale Rolle spielen sollte. Die Politisierung des Verlegers und seine Wandlung zur öffentlichen Person, und damit die Politisierung von "Bild", kam erst nach 1958.
Vieles in dieser Springer-Biografie war freilich schon bekannt, beispielsweise sein unbedingtes Eintreten für die Wiedervereinigung, seine Furcht vor einem Atomkrieg, sein Hang zur Astrologie und die Hinwendung zur Religion im Alter, seine Liebe zu Israel. Schwarz gelingt es jedoch, all diese Facetten noch einmal und besser als in vorangegangenen Darstellungen zum Klingen zu bringen. Neue Erkenntnisse, wie ein erst kurz vor dem Abschluss abgeblasener Verkauf der defizitären "Welt" an den Verlag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", fügen sich nahtlos in die flüssige Erzählung ein.
Neben dieser akribischen Aufarbeitung bemerkenswert ist ein weiterer Verdienst des Biografen: Schwarz gelingt es, Springer aus dem üblichen Schwarz-Weiß-Denken, das diesem Verleger noch heute entgegengebracht wird, zu befreien. Für die einen war er ein Visionär, der die Wiedervereinigung vorausgeahnt hatte und mit dem Bau eines Verlagshauses in Berlin ein deutlich sichtbares Zeichen gegen die kommunistische Diktatur setzte. Für die anderen war Springer der Verleger des Hetzblattes "Bild", das mit seinen Schlagzeilen die Studentenunruhen von 1968 zum Eskalieren brachte und der auch sonst grundlegenden Einfluss auf die politische Linie seiner Blätter nahm. Bei Schwarz vereinen sich beide Facetten zu einem stimmigen Gesamtbild, was beileibe keine Selbstverständlichkeit ist. So bekundet der Historiker seinen Respekt vor der Entschlossenheit des libertären Freigeistes Springers, kritisiert aber ebenso den "Verbalgrobianismus" von "Bild" zur Zeit der "Enteignet Springer!"-Kampagnen.
Ihren ironisch-distanzierten, dabei aber gleichzeitig auch anteilnehmenden Ton behält die Biografie bis zum Schluss bei. Der fällt schließlich versöhnlich aus: Schwarz nennt Axel Springer, der nie Interesse an Ideologien gehabt habe, mit dem britischen Historiker A.J.P. Taylor einen "Dissenter" - einen Mann, der stets über Kreuz mit der offiziellen Außenpolitik seines Landes lag und sich damit treu blieb. Dies, so Schwarz, sei "in einem Land erinnerungswürdig, wo die angepassten Leisetreter viel angesehener sind als die politischen Unruhestifter". Damit können die Nachfolger Springers ebensogut leben wie diejenigen Leser, die dieses Buch unvoreingenommen in die Hand genommen haben.
Axel Springer. Die Biografie.
Propyläen Verlag, Berlin 2008; 740 S., 24,90 ¤