Leidvolle Geschichte
Orientalische Christen in der Welt des Islams
Der Titel des Buches suggeriert etwas sehr Anspruchsvolles, ja Umfassendes. Dass dieser Anspruch in dieser Kürze nicht zur vollsten Zufriedenheit eingelöst werden kann, darauf weist der Autor gleich zu Beginn hin. Dieses Projekt sollte erst, wenn überhaupt, in einigen Jahren realisiert werden. Nur auf Drängen zahlreicher christlicher und muslimischer Freunde, wurde es bereits jetzt fertig gestellt.
Dieses Buch wurde nicht geschrieben als "bewusste Anklage oder gar als Rechtfertigung für bestimmte Sichtweisen schwieriger Entwicklungen in der Geschichte". Martin Tamcke, Direktor des Instituts für Ökumenische Theologie und Orientalische Kirchengeschichte an der Universität Göttingen sowie Vorsitzender der Gesellschaft zum Studium des christlichen Ostens, will durch die Texte und Beispiele etwas über eine Minderheit vermitteln, die sich sonst kaum Gehör verschaffen kann. Das Buch hätte sein Ziel erreicht, wenn die Sensibilisierung für den Umgang der Muslime mit der einzigen noch quantitativ bedeutenden anderen Weltreligion in der islamischen Welt gelänge.
Der Autor beschreibt die Geschichte der orientalischen Christen, deren kulturelle Leistungen und Lebensbedingungen unter islamischer Herrschaft. In fünf Kapitel lässt er eine Welt entstehen, die den westlichen Christen fremd, ja unverständlich geworden ist, trotz Islam- und Orientboom der letzten Jahre. Die neokolonialistischen Übergriffe des Westens haben sowohl auf eine Schicksalsgemeinschaft der orientalischen Christen mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung als auch auf ihre gefährliche Lage aufmerksam gemacht.
Tamcke hofft, das sein Buch deutlich macht, warum die Gegenüberstellung "Christentum versus Islam" sich angesichts der Realitäten des Orients als falsch erweist. Erhellend sei, dass christlich-orientalische und muslimische Bewohner in der Auseinandersetzung mit dem Westen ähnliche Bilder vom Westen entwerfen. Wer die islamische Welt so betrachte, als sei der Terrorismus der Normalfall, oder einen Mogul wie Akbar und die friedliebenden und mythischen Traditionen zum Zentrum des Islam erkläre, verzerre von vornherein das Bild.
Tamcke ist weit davon entfernt den Islam und seine sprichwörtliche Toleranz zu idealisieren. Im Gegenteil: Er beschreibt eindrucksvoll die leidvolle Geschichte der orientalischen Christen unter der Herrschaft des Islam. Ihre Stellung wurde weiter durch deren Zersplitterung und die gegenseitigen Animositäten und Konkurrenzkämpfe, die ihre Minderheitenstellung zusätzlich beeinträchtigte, geschwächt. Der Völkermord an den Armeniern und die Dezimierung der assyrischen Christen unter den Augen ihrer westlichen Glaubensbrüder gehört zu den unrühmlichen Kapiteln westlicher Aufklärung.
Obgleich der Islam den Christen und Juden einen Schutzstatus zubilligt, wurden sie immer als Bürger zweiter Klasse behandelt und waren zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt. Einst stellten die Juden im Vorderen Orient und im arabischen Raum eine bedeutende Minderheit, aufgrund des politischen Drucks haben die meisten diese Länder verlassen. Nur noch im Iran gibt es eine in die Zehntausende gehende jüdische Gemeinde. Zu den am stärksten unterdrückten Minderheiten gehören die Bahai.
Im Kapitel über die "gegenwärtige Lage der Christen im Orient" vertritt der Autor die These, dass in allen vorderorientalischen Gesellschaften die Idee des Nationalismus zum Niedergang der Christen geführt habe, obgleich führende arabische Nationalisten Christen waren. Gerade im Zuge der Islamisierung nehme die Entrechtung der Christen zu - wie in Pakistan, Afghanistan, Irak und Saudi Arabien zu beobachten sei.
Martin Tamckes Buch bietet eine ausgezeichnete Einführung in das orientalische Christentum unter islamischer Herrschaft.
Christen in der islamischen Welt. Von Mohammed bis zur Gegenwart.
Verlag C. H. Beck, München 2008, 204 S., 12,95 ¤