Geheimdienste
Zwei Journalisten sehen in der CIA seit Jahrzehnten Dilettanten und Folterknechte am Werk
Als unabhängiger und professioneller Diener der Regierung präsentiert sich Amerikas Auslandsnachrichtendienst auf seiner Homepage. Als friedfertiger Hort, an dem Tausende von Mitarbeitern Tag und Nacht streng geheime Informationen für ihren Präsidenten sammeln und auswerten. Über ihre wenig glanzvolle Geschichte und ihre noch viel weniger ruhmreiche Gegenwart verliert der mehr als 60 Jahre alte Spionagedienst kein einziges Wort. Das besorgen für die verschwiegenen Staatsbeamten in regelmäßigen Abständen und in großer Anzahl investigative Journalisten. Zwei von ihnen wollen in ihren neuesten Büchern erneut die letzten Legenden und Lügen der CIA aufdecken.
Pulitzer-Preisträger Tim Weiner von der "New York Times" nimmt sich gleich "Die ganze Geschichte" der CIA vor. Der fast ebenso hoch dekorierte Journalist Egmont R. Koch hingegen "begnügt" sich mit dem dunkelsten Kapitel des Spionagedienstes: der "Folter im Namen der Demokratie".
Beide Titel wecken hohe Erwartungen. Dank fundierter Recherchen, neuer Quellenfunde und pointierter Analysen werden sie diesen auch fast immer gerecht. Der Amerikaner und der Deutsche nähern sich dem Thema jedoch mit unterschiedlichen Prämissen. Obwohl Weiner in seinem historischen Rückblick die kriminellen Methoden der CIA in Grund und Boden kritisiert, möchte er als Patriot doch gerne an eine moralische Reinigung dieses Schutzschildes glauben. Als deutscher "Pazifist" urteilt Koch über den Charakter der Geheimniskrämer wesentlich harscher und traut dem Geheimdienst keine Läuterung zu.
Letztlich weiß jedoch niemand, wohin die von Präsident George W. Bush immer stärker gegängelte Institution zukünftig hinsteuert. Der in den letzten Jahrzehnten zurückgelegte Weg lässt für die Zukunft des Nachrichtendienstes und der USA allerdings nichts Gutes erwarten. In Weiners schonungsloser Rückschau stellen sich die CIA-Aktionen bis auf den heutigen Tag als eine einzige Serie von Pleiten, Pech und Pannen dar. Die Misserfolge und Skandale haben die Vereinigten Staaten nicht nur Milliarden von Dollar und Millionen Menschen das Leben gekostet, sondern vor allem die scheinbar so saubere Weste des Weltpolizisten nachhaltig beschmutzt. Wer Demokratie und Menschenrechte für sich gepachtet zu haben meint, darf sie nicht mit autoritären, gewaltsamen und illegalen Mitteln in die Welt tragen. Weiner weist auf dieses Dilemma jeglicher Spionagetätigkeit immer wieder hin, zeigt aber gelegentlich auch ein gewisses Maß an Verständnis für den ein oder anderen Akteur und so manche Zwangslage.
Lieber konzentriert er sich auf das komplexe Innenleben der Agency, auf ihr ambivalentes Verhalten gegenüber der Regierungspolitik und auf die sezierende Analyse gescheiterter Spionageeinsätze. Für das häufige Scheitern macht er neben Fehlbe- setzungen an der Geheimdienstspitze unklare Zielvorstellungen und klare Kompetenzüberschreitungen verantwortlich. Vor allem beklagt er, dass die Spione weder die Sprache und Kultur noch die Sitten und Geschichte ihrer Gegner je studiert haben. Genau deswegen setzten sie im Kalten Krieg auch lieber auf paramilitärische Aktionen und die finanzielle, organisatorische und ideelle Unterstützung antikommunistischer Kräfte als auf die nachrichtendienstliche Arbeit. Kostspielige wie riskante Methoden, die sich für die nationale Sicherheit der USA nur selten ausgezahlt haben. Weder in Korea, auf Kuba noch im Kongo vermochten sie mit ihrer "politischen Kriegsführung" zu landen. Und dort, wo sie wie etwa im Iran oder in Afghanistan einen Staatstreich "erfolgreich" unterstützten, haben sie sich zugleich ihre zukünftigen Feinde herangezüchtet.
Auch an den rein nachrichtendienstlichen Leistungen der CIA lässt Weiner kein gutes Haar. Weder den Aufstand in Ungarn noch den Bau der Mauer oder den Zusammenbruch der Sowjetunion und die islamistische Terrorgefahr hätten die ahnungslosen Beamten rechtzeitig erkannt. Mitunter haben ihre militärischen und politischen Fehlkalkulationen Konflikte wie im Irak oder Vietnam erst ausgelöst oder wie in Südamerika oder Südostasien noch verschärft.
Weiner beruft sich bei seinen zielgenauen Angriffen auf zumeist erst kürzlich freigegebene Geheimdienstdokumente, aber auch auf inoffizielle Quellen und auf zahlreiche Interviews mit ehemals hochrangigen CIA-Beamten. Dass die ihren einstigen Laden oftmals als ein Haufen blutiger Dilettanten und blinder Draufgänger bezeichnen, muss aber nicht unbedingt ein Zeichen für späte Einsicht oder reine Wahrheitsliebe sein. Viele der von ihrem Präsidenten gescholtenen oder geknebelten CIA-Direktoren haben mit ihrem früheren Arbeitgeber durchaus noch eine Rechnung offen und nutzen vermutlich die Gelegenheit, um ihrem Ärger Luft zu verschaffen. Insofern hätte Weiner ihre Aussagen durchau kritischer beleuchten sollen, statt sie als durch und durch glaubwürdige Gewährsmänner für die Misserfolge der CIA zu zitieren.
Seine mit bewundernswerter Akribie zusammengetragen Informationen untermauern und bestätigen jedoch, was zumindest in groben Zügen und aus vielen Studien schon bekannt war. Über die Ermordung Kennedys, über Watergate oder die Iran-Contra-Äffäre sind wir dank Weiners gründlichen Recherchen zwar bestens informiert. Skandalöse Neuigkeiten oder fundamentale Neubewertungen dürfen wir nicht erwarten. Durch seinen spannend geschriebenen Hintergrundbericht wird zwar nicht die ganze Geschichte der CIA, aber das ganze Ausmaß ihrer Unkenntnis, Unfähigkeit und Unflexibilität deutlich. So sehr er aber auch diese Missstände anprangert, so sehr bedauert er sie auch und bemüht sich am Ende doch noch um einen versöhnlichen Erklärungsversuch: "Wir Amerikaner verstehen noch immer nicht die Menschen und Mächte, die wir in Schach zu halten und zu kontrollieren bemüht sind. Die CIA muss erst noch zu dem werden, was sich ihre Gründer von ihr erträumten."
Mit einem weniger wohlwollenden Fazit leitet Koch seine Anklageschrift ein. George W. Bush ("Diese Regierung foltert nicht") wirft er vor, "unbeirrbar an dem eingeschlagenen Kurs" festgehalten zu haben. Der war seit dem 11. September 2001 davon geprägt, Terrorverdächtige mithilfe der CIA durch stundenlanges Strammstehen, Scheinertränkungen oder Schlafentzug zum Reden zu bringen. Ihm geht es aber nicht allein darum, die Bush-Administration und die CIA ihrer längst öffentlich gewordenen Doppelmoral zu überführen, indem er die grausamen Bilder und Berichte aus den Foltergefängnissen in Abu Ghraib oder aus dem Gefangenenlager Guantanamo noch einmal abspult.
Der auf Skandale aller Art ("Seveso ist überall", "Atomwaffen für Al Qaida") spezialisierte Enthüllungsjournalist möchte etwas zwanghaft eine Verbindung zwischen den Verhör- und Foltermethoden der CIA und denen der Nationalsozialisten und des KGB herstellen. In der Tat weisen viele Indizien darauf hin, dass der amerikanische Geheimdienst das Folterarsenal der SS-Schergen, KZ-Ärzte und KGB-Agenten genauestens studiert hat, um in den 1950er-Jahren eine eigenständige "Folterforschung" zu betreiben. Doch diese ging hinsichtlich ihrer Systematik weit über ihre Vorbilder hinaus. Stand anfangs die nicht selten tödliche Erprobung von Verhördrogen im Vordergrund wurden die Gehirnwäsche-Programme bald schon um Elektroschocks und neurochirurgische Eingriffe erweitert. All diese von der CIA heimlich finanzierten und von der US-Regierung stillschweigend gebilligten Menschenexperimente lieferten bis Mitte der 1960er-Jahre jene Erkenntnisse, die nach "Nine Eleven" in den CIA-Gefängnissen teilweise Praxis wurden.
Dass Koch die Foltermethoden der beiden Diktaturen mit denen der CIA immer wieder miteinander in Beziehung ist zwar aus historischer Sicht interessant und von Belang. Doch im Grunde braucht es solch rekonstruierter Traditionslinien nicht, um eine moralische Anklage gegen die CIA und Bush zu erheben. Die vielfach dokumentierten Rechtsbrüche, die abgedruckten Folterfotos zeugen ganz unmittelbar und unmissverständlich von der Missachtung jeglicher Menschenwürde. Der Blick zurück kann lediglich als Mahnung für die Zukunft dienen. Und genau als eine solche sind beide Bücher zu lesen.
So eint denn beide auch das Plädoyer für "saubere" und subtilere Geheimdienstaktivitäten, die nicht nur dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit Amerikas, sondern auch der Sicherheit besser dienen würden. Doch man darf weiterhin skeptisch sein, wie reformwillig die Agency und der zukünftige Präsident sein werden. Von den Einsichten und Absichten des neuen Regierungschefs wird es abhängen, ob die CIA weiterhin ein Hort von Dilettanten und Folterknechten bleibt.
CIA. Die ganze Geschichte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2008; 864 S., 22 ¤
Die CIA-Lüge. Folter im Namen der Demokratie.
Aufbau Verlag, Berlin 2008; 224 S., 19,95 ¤