Positive Utopie
Jacques Attali wagt einen Blick in die Zukunft
Angesichts immer neuer, schlechter Nachrichten über den Stand des Klimas, die Entwicklung der Weltbevölkerung und die wachsende Rohstoffknappheit sind positive Utopien rar. Jacques Attali wagt sich dennoch an eine - zumindest beinahe.
Der 1943 in Algier geborene Wirtschaftswissenschaftler und Romancier Attali war zwischen 1981 und 1990 enger Berater von François Mitterand. Heute leitet er die Non-Profit-Organisation PlaNet Finance. Mit seinem neuen Buch "Die Welt von morgen" greift er auf ein Thema zurück, das ihn seit langem beschäftigt: die Zukunft.
Vor dem Blick nach vorne schreibt der Autor jedoch zunächst Geschichte: Er beginnt vor der Steinzeit, streift Pharaonen und Römer, stellt Imperien vor, lässt sie untergehen und ihnen neue folgen. Jeder Epoche ordnet er ein vitales Zentrum ("Herz") zu. In den Text eingestreut sind thesenartige, mitunter eher banale "Lektionen", die aus der Geschichte zu ziehen seien.
Am Ende seines Parforce-Ritts durch die Weltgeschichte resümiert Attali: "Die Kenntnis der Geschichte unserer Vergangenheit wird uns helfen, die Umrisse dieser Zukunft zu zeichnen und deren Gefahren zu erkennen, um sie bannen zu können."
Es folgen detaillierte Zukunftsvisionen: Bis 2025 prognostiziert er den Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte in Asien und Südamerika. Das Leben der Menschen werde mobiler, hektischer und individualistischer - Sesshaftigkeit werde eine Domäne der Alten, Kranken und Kinder. Immer öfter werden die Menschen in eine bessere Ersatzwelt fliehen und so die Unterhaltungsindustrie zum Boomsektor schlechthin machen. Haushaltsroboter bespitzeln die Vereinsamten, denn permanente Kontrolle werde im Interesse der allmächtigen Versicherungen liegen, die ihre Risiken gering halten wollen. Die Zukunft - nach Attali - liegt irgendwo zwischen Orwells "Big Brother" und Huxleys "schöner neuer Welt".
Nach dieser Übergangsphase werde sich das "Hyperimperium" durchsetzen, in dem der Markt die Demokratie besiege. Öffentliche Dienstleistungen werden global zu Produkten geworden sein, der Konformitätsdruck werde weiter wachsen, die Kontrollen weiter zunehmen. Nur wenige Menschen ("Hypernomaden") werden von der neuen Ordnung profitieren. Sie können beliebig viele Klone von sich machen lassen und werden dadurch allerdings selbst zum Produkt.
Diese Phase werde wiederum teilweise überlagert von einem "Hyperkonflikt" - extrem gewalttätigen Kriegen und Bürgerkriegen weltweit: Moderne Piraten werden gegen Söldnerheere kämpfen, Staaten gegen einander und gegen Armeen von Verzweifelten. Die Entstehung von Diktaturen und Theokratien sei um 2040 überall wahrscheinlich. Die wenigen Demokratien werden sich auf den Schutz des eigenen Terrains beschränken. In diesem Krieg "aller gegen alle" werde die polyzentrische Welt untergehen und auf ihren Trümmern eine neue Zivilisation entstehen: die "Hyperdemokratie".
Deren Wegbereiter seien die "Transhumanen", "Hypernomaden", die sich von jeder Profitorientierung frei gemacht hätten. Frauen seien dank ihrer biologischen Rolle als Mütter dazu berufen, eine neue, geldlose Ökonomie einzuführen. Die Institutionen dieser Weltdemokratie existieren ansatzweise bereits heute: Nicht-Regierungs-Organisationen, der Internationale Gerichtshof und die EU. Klima und natürliche Ressourcen werden zu einem Weltkulturerbe. Grundgüter wie Zeit, Luft, Wasser und Wissen seien für alle frei verfügbar.
In großen Teilen wirkt Attalis Buch atemlos, als wolle er so ausdrücken, wie Zeit immer knapper werde. Oder ist dies dem Umstand geschuldet, dass er die Weltgeschichte auf weniger als 100 Seiten abhandelt? Bemerkenswert ist zudem, dass er seine Horrorszenarien liebevoller ausgestaltet als seine positive Utopie. Sein hastig gezeichnetes, schemenhaft bleibendes "Ende der Geschichte" wirkt ein wenig, als könne er es selbst nicht glauben.
Die Welt von Morgen. Eine kleine Geschichte der Zukunft.
Parthas-Verlag, Berlin 2008; 200 S., 19,80 ¤