Bergbau
Die Saar treibt wegen
des drohenden Endes der
Kohleförderung auf eine
Wirtschaftskrise zu - Mehrere Tausend
Jobs sind in Gefahr
Vor dem Landtag stehen sich die verfeindeten Lager gegenüber, getrennt durch einen Korridor: Hier mehrere Tausend Bergleute, die gegen die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze demonstrieren - dort einige Hundert Saarländer aus der seit über zwei Jahren von Grubenbeben erschütterten Region Ensdorf, die das Aus für den Kohleabbau fordern. Unter die Kumpel, deren Stimmung gereizt ist, mischt sich Ex-Ministerpräsident Oskar Lafontaine von der Linkspartei und versichert ihnen seine Solidarität. Drinnen diskutierte das Parlament am 5. März in einer Sondersitzung über die Krise im Bergbau, der seit einem gewaltigen Beben Ende Februar stillsteht. Während der Debatte erklärt CDU-Ministerpräsident Peter Müller zur Freude der Bergbaugegner, die Regierung stelle sich auf ein Ende der Kohleförderung ein. Eine von Union, FDP und Grünen bei Enthaltung der SPD verabschiedete Resolution proklamiert: "Das Schicksal darf nicht wieder herausgefordert werden."
Die Saar durchlebt in einer Mischung aus Schock, Resignation, Aufregung und Wut eine historische Zäsur. Über Nacht droht eine komplette Industriebranche zu verschwinden - ein beispielloser Vorgang. Die Konfrontation der Demonstranten vor dem Landtag offenbart symbolisch die Zerrissenheit der Region. Die einen haben Angst um ihre Unversehrtheit und ihre Häuser, Tausende von Betroffenen kündigen bei einem Aufmarsch "Tumulte" für den Fall eines Wiederanfahrens der Flöze in der Primsmulde-Süd an. Andere erschauern angesichts der heraufziehenden schweren Wirtschaftskrise. Wer mit einem Bergmann ins Gespräch kommt, vernimmt schon mal, man fühle sich "wie der letzte Dreck". Einst sei man begehrt gewesen, nun werde man "gejagt".
Wenig spricht dafür, dass die Kohle noch eine Zukunft haben könnte. Zu stark war der große Knall, der die Leute im Raum Saarwellingen ins Mark getroffen hat. Eine Schule im Ort und nebenan in Nalbach das Rathaus können seither aus Sicherheitsgründen nicht mehr genutzt werden, in Dörfern stürzten Schornsteine ein, Risse in Häuserwänden und Zimmerböden: Mehr als 1.000 Schadensmeldungen gingen bei der RAG Deutsche Steinkohle, der Betreibergesellschaft, ein. Noch immer geistert durch Gespräche das Bild von einer Kirche samt herabgefallenen Gesteinsbrocken auf der Treppe: Zwei Stunden zuvor waren Jugendliche, die von einer Bibelstunde kamen, über die Stufen gelaufen.
Müller legt die Messlatte für eine Wiederaufnahme des Kohleabbaus derart hoch, dass sie von der RAG praktisch nicht übersprungen werden kann: Eine Gefährdung von Leib und Leben müsse "absolut" ausgeschlossen werden, betont er im Landtag. "Zweifelsfrei" sei dies aber nun mal nicht zu beweisen, kontert Hans-Jürgen Becker, es bleibe "immer ein gewisses Restrisiko". Der Betriebsratsvorsitzende des Bergwerks Saar fordert für die Kumpel eine "faire Chance". Er meint damit die Ankündigung von RAG-Chef Bernd Tönjes, das Unternehmen werde prüfen, ob eine spezielle Bohrtechnik in der Primsmulde unterirdische Sandsteinblöcke sprengen und so als Ursache der Beben ausschalten könne.
Dieses Verfahren braucht Zeit. Müller verlangt indes binnen weniger Wochen Klarheit. Im Parlament plädiert CDU-Fraktionschef Jürgen Schreier klipp und klar für ein Ende des Bergbaus. So konstatiert Becker: "Im Moment stehen wir ziemlich alleine d." Immerhin lehnen SPD und Linkspartei, für die natürlich von der Kohleförderung auch keine Bedrohung für Menschenleben mehr ausgehen darf, eine endgültige Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt ab. Erst müsse eine Gesamtlösung gefunden werden. Die RAG müsse einen gefahrlosen Abbau untersuchen können, mahnt Oppositionsführer Heiko Maas. Der SPD-Politiker hebt hervor, dass bis zu 10.000 Arbeitsplätze auf der Kippe stehen.
Die ökonomischen Folgen der Kohlekrise sind verheerend. Zwar sagt Müller, kein Bergmann dürfe "ins Bergfreie fallen". Doch niemand weiß, wo bei 40.000 Erwerbslosen mehrere Tausend neue Jobs herkommen sollen. Die RAG selbst zählt rund 5.000 Beschäftigte an der Saar, an der Zeche hängen zudem im Umfeld bis zu 5.000 Stellen in Kraftwerken, bei über 600 Zulieferern und Dienstleistern. Der Bergbau ist neben Stahl und Autobau der wichtigste Wirtschaftszweig. Die RAG vergibt jährlich für mehr als 100 Millionen Euro Aufträge in der Region.
Die Zeichen stehen auf Sturm. Mehr als 4.000 RAG-Leute beziehen bereits Kurzarbeitergeld, ebenso 250 Beschäftigte bei Zulieferern, bei Dienstleistern gab es erste Kündigungen. Unklar ist, ob es gelingt, die von der Ensdorfer Grube belieferten vier Kohlekraftwerke mit zusammen 2.400 Megawatt auf Importkohle umzustellen: Die Saar-Meiler sind technisch nur für die Verfeuerung heimischer Kohle mit ihrer chemischen Zusammensetzung ausgerüstet.
Helfen soll ein "Solidarpakt Bergbau", in dessen Rahmen Regierung, Wirtschaft, Gewerkschaften, Arbeitsverwaltung und RAG Jobs für Kumpel auftun wollen, praktisch soll dies eine neue Transferstelle managen. Müller warnt davor, die Lage zu "dramatisieren", er hofft auf die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarkts angesichts der guten Konjunkturlage. SPD-Chef Maas wirft Müller vor, mit solchen Äußerungen die Chancen auf Bundesgelder zur Bewältigung der Kohlekrise zu unterminieren. In der Forderung nach Hilfen aus Berlin sind sie sich einig. Das Bundeskabinett hat jedoch erst einmal abgewinkt.