Schweden
Das neue Abhörgesetz sorgt weiter für Unruhe. Kritiker sprechen von »Lex Orwell«
Nach der Abstimmung über das Lauschangriff-Gesetz am 18. Juni geht in Schweden der Streit um die staatlichen Abhörmaßnahmen weiter: Neben der Opposition laufen auch Medien und Verbände gegen die Neuregelung Sturm. Selten hat ein Thema die Schweden derart aufgeregt wie die Debatte über das auch international fast beispiellos weitgehende Abhörgesetz. "Wir sprechen hier nicht von Jemen, Nordkorea oder der früheren DDR, sondern von Schweden", hatte "Dagens Nyheter" vor der Abstimmung geschrieben und die 349 Abgeordneten aufgefordert: "Stimmt Nein!"
Das nahmen sich auch etliche Abgeordnete aus dem Regierungslager so zu Herzen, dass Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt plötzlich keine Mehrheit mehr hinter sich hatte. Flugs ließ er den hier zuständigen Verteidigungsminister Sten Tolgfors einige zusätzliche Kontrollinstanzen vorschlagen, um mit "mehr Persönlichkeitsschutz" doch noch vor der Sommersonnenwende grünes Licht im Parlament zu bekommen. Am Ende stimmten 142 Abgeordnete für das Gesetz, 138 votierten dagegen. Bis zuletzt hatten vor dem Reichstag Abhör-Kritiker protestiert. "Man serviert hier jedem künftigen Regime ein System, mit dem man ein ganzes Volk per Knopfdruck so leicht kontrollieren kann, als knipse man den Fernseher an", sagte der Internet-Spezialist Oscar Schwartz.
Schwedens Regierung will der militärischen Behörde mit dem etwas altmodischen Namen "Radioanstalt" (FRA) das Recht verschaffen, den kompletten elektronischen Datenverkehr zwischen Schweden und dem Ausland und wieder zurück zu überwachen. Jede Mail, jede SMS, jedes Telefonat, jede angeklickte Internetadresse - sofern die jeweiligen Adressaten außerhalb des Landes angesiedelt sind.
Man wolle auf diese Art Gefahren von außen, vor allem durch Terroristen, schneller erkennen können, begründet die Regierung ihr Vorhaben. Betroffen sind unter anderem Medienredaktionen, die mit im Ausland platzierten Servern arbeiten. Auch hier würde FRA nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes unbegrenzten Zugriff auf komplett alle auf diesen Servern gelagerten Inhalte bekommen.
Die Proteste dagegen wurden nicht ganz zufällig von schwedischen Internet-Bloggern ins Rollen gebracht. Am Ende klickten beunruhigte Bürgern deren Webseiten zum Thema häufiger an als die der großen Medien zur Fußball-EM.