RAF-Terror
Carolin Emcke will, dass die Täter Rede und Antwort stehen
Er ist laut Eigendarstellung das "Gütesiegel für Qualitätsjournalismus": der Theodor-Wolf-Preis. Am 10. September wird ihn Carolin Emcke entgegen nehmen. Sie erhält ihn für ihr Essay "Stumme Gewalt", das im September vergangenen Jahres im "Zeit"-Magazin "Leben" erschienen ist - und sie erhält ihn zu Recht.
Emcke hat ihr Essay verlängert und es in diesem Mai in Buchform vorgelegt. Damit hat die 40-jährige Journalistin sowohl in der Lang- als auch Kurzversion ihres "Nachdenken über die RAF" - so der Untertitel des Buches - qualitativ das Beste vorgelegt, das die Flut an RAF-Literatur zu bieten hat. Und das anspruchsvollste: Emcke schreibt über den Mord an Alfred Herrhausen, den sie, obwohl er es offiziell nicht ist, ihren Patenonkel nennt - und entspinnt dabei einen Dialog mit den Tätern.
In kurzen, teilweise abgehackten Sätzen entwirft sie Gespräche mit den Menschen, die ihr Leben gravierend verändert haben, und alles dreht sich um Emckes sehnlichsten Wunsch: Sie will wissen, wer Herrhausen getötet hat. Das Schweigen und die Sprachlosigkeit der Täter ist für sie "das Gewalttätigste an der Gewalt des Terrors": "Es schafft einen ganz eigenen Raum um sich herum, dieses Schweigen, in den werden wir eingeschlossen: Täter und Opfer zugleich. Die Stille verfestigt sich wie eine Eisschicht. Darin eingefroren, vergeht die Zeit ohne uns."
Emcke ist bereit, für die Beantwortung ihrer Fragen einen hohen Preis zu zahlen: Nichts weniger als Straffreiheit will sie für die Täter, wenn die sich zum Reden entschließen. "Sie sollen gehen dürfen. Frei sein. So frei, wie man sein kann, wenn man Schuld auf sich geladen hat." An einem "Ort jenseits des Strafrechts", einem Forum für Aufklärung sollen die bislang unbekannten Täter den Angehörigen der Opfer Rede und Antwort stehen und ihre Geschichte erzählen. "Nur so können wir hervorgehen aus der Ungewissheit und nur so können sie selbst hervorgehen aus der Stille." Für Emcke wären damit die Verbrechen nicht vergessen, die Taten nicht verharmlost, "aber wir könnten wieder zu atmen beginnen".
Vieles von dem, was Emcke in ihrem inneren Dialog ausführt, reizt zum Widerspruch. Warum sollten Menschen, die mit ihren Morden jedes Gebot der Menschlichkeit gebrochen haben, es als moralische Pflicht empfinden, sich einem Gespräch zu stellen, in dem "die Gründe auseinandergesetzt werden und in dem sich die Täter Einwänden und Kritik stellen"? Und was ist, wenn sie es tun - aber die Antworten schmerzlich sind. Christian Klar lehnt es bis heute ab, Reue für seine Taten zu bekunden, Inge Viett bedauert es, "dass wir damals nicht besser waren, keinen Durchbruch erreicht haben". Können diese Täter Emcke das geben, was sie letztlich von ihnen erwartet: Menschlichkeit?
All das sind Fragen, die sich bei der Lektüre von "Stumme Gewalt" stellen. Doch sie schmälern das eindrucksvolle Zeugnis nicht, das Emcke von ihrem Verlust und der Last, damit zu leben, ablegt.
Dennoch tut es dem emotionalen Text gut, dass er um zwei Aufsätze von Winfried Hassemer und Wolfgang Kraushaar ergänzt ist. Ihre Perspektive ist, natürlich, eine gänzlich andere als die Emckes - und so wird deren Gespräch mit den Tätern um einen nicht minder wichtigen Dialog mit zwei Außenstehenden erweitert.
Während der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Hassemer Emckes Trennung von Rechtsstaat und Bürgern widerspricht und dafür plädiert, dass bei aller wünschenswerten Aufklärung der Taten die "Grenzen der Rechtlichkeit" nicht verletzt werden dürfen, glaubt der Historiker Kraushaar nicht, dass die RAF-Täter zum Sprechen gebracht werden können. Die RAF sei für sie "in erste Linie ja kein politisches, sondern ein identitätspolitisches Projekt gewesen", eine regelrechte "Identitätskrücke", die sie nicht aufgegeben würden. Es ist Emcke zu wünschen, dass sie dennoch irgendwann wieder frei atmen kann.
Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF.
Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2008; 189 S., 16,90 ¤