GEDENKSTÄTTENKONZEPT
An Neumanns Vorschlägen gab es nur vereinzelte Kritik
Sie waren etwa 21.000 Menschen und wohnten in provisorischen Zelten, selbstgebauten Laubhütten oder Erdhöhlen. Die Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, die von Juli bis November 1941 in das niedersächsische Lager Bergen-Belsen transportiert wurden, erkrankten schnell an Ruhr oder Fleckfieber. Bis zum Frühjahr des Folgejahres starben 13.500 von ihnen, sei es an Krankheiten, an Kälte oder an Hunger. Ab 1943 wurden hier auch Juden eingesperrt. Anfang Dezember 1944 befanden sich 15.257 Häftlinge im Lager. Ein Mädchen unter ihnen wurde wegen ihres Tagebuches weltberühmt - Anne Frank. Sie starb hier einige Monate später, im März 1945, an Typhus.
Bergen-Belsen ist eines von vier ehemaligen Konzentrationslagern, die neu in die anteilige institutionelle Förderung des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann (CDU), aufgenommen werden sollen. Am 25. Juni stellte Neumann sein Konzept zur Gedenkstättenförderung im Ausschuss für Kultur und Medien vor. Darin enthalten sind die Projekte und Institutionen, die zusätzlich zu Zuschüssen der Bundesländer auch Bundesgeld erhalten werden. Neben Bergen-Belsen werden auch die KZ-Gedenkstätten Dachau, Neuengamme und Flossenbürg aufgenommen. Bisher erhielten die Einrichtungen für wissenschaftliche Aktualisierung und teilweise Erweiterung Bundesgelder für einzelne Projekte. Jetzt können sie dauerhaft bis zu 50 Prozent ihrer Gelder vom Bund erhalten.
Die Neuaufnahme der vier Gedenkstätten macht den Schwerpunkt der Förderung des Bundes deutlich. Im kommenden Jahr sollen 35 Millionen Euro zur Verfügung stehen, 12 Millionen mehr als heute. Zwei Drittel der Gelder sollen in das Gedenken an den nationalsozialistischen Terror investiert werden, ein Drittel in die Erinnerung an die SED-Diktatur. Schon im ersten Satz der Einleitung des Konzeptes heißt es, es sei "unverzichtbar, den Unterschieden zwischen NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tragen". Diese Klarstellung war nötig, denn nach der Vorstellung des ersten Entwurfs war Neumann vorgeworfen worden, er wolle die Schrecken beider Diktaturen gleichsetzen.
Die Mitglieder des Auschusses für Kultur und Medien des Bundestages zeigten sich überwiegend zufrieden mit dem Konzept. Die Unionsfraktion schloss sich der Interpretation Neumanns an und nannte es gar einen "Meilenstein". "Die Aufarbeitung von zwei Diktaturen geht weiter, wir stellen uns unserer Vergangenheit", so Wolfgang Börnsen. Die Gedenkstätten und Erinnerungsorte seien wichtig, auch um die Besucher für ihre gesellschaftliche Verantwortung sensibel zu machen. Deutschland sei für viele anderen Länder ein Vorbild im Umgang mit der eigenen Geschichte. Börnsen kündigte einen Entschließungsantrag zum Gedenkstättenkonzept an, den die Koalition in den Bundestag einbringen werde. Alle Fraktionen sprachen sich dafür aus, das Konzept in einer Plenardebatte zu behandeln.
Die Fraktionen der Grünen und der Linkspartei lobten die deutliche Unterscheidung von NS- und SED-Diktatur. "Endlich wird die Aufarbeitung der Geschichte in unserem Land ernst genommen", meinte Lukrezia Jochimsen. Auch die Grünen zeigten sich "ausdrücklich froh, dass die Unterscheidung zwischen NS- und SED-Zeit deutlich gemacht wird. Das wurde ja im Vorfeld zu Recht kritisiert". Beide Fraktionen wünschten sich jedoch eine deutlichere Einbeziehung der Bürger in die Gedenkkultur. "Die Balance zwischen Staat und Zivilgesellschaft, von der Herr Neummann spricht, findet sich im Konzept nicht wieder", sagte Jochimsen. Dort sei nur von einem einzigen jährlichen Treffen von Opfern und Ehrenamtlichen die Rede, dabei hätte man bürgerschaftlichem Engagement eine größere Rolle zuweisen können. Katrin Göring-Eckardt (Grüne) schloss sich der Kritik an (siehe Interview).
Die FDP-Fraktion lobte das Konzept ebenfalls. Sie sehe es als positiv an, dass die Behörde der Beauftragten für Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, die sogenannte Birthler-Behörde, keine neuen Aufgaben erhalten soll. "Die Auswertung der Akten nimmt viel Zeit in Anspruch." Die FDP sah es allerdings als Widerspruch zu dieser Aussage, dass die Behörde die Konzeption einer Ausstellung im Haus Normannenstraße 1 in Berlin, dem ehemaligen Dienstsitz Erich Mielkes, übernehmen soll. Wolfgang Thierse (SPD) sich dem Lob der Union für Kulturstaatsminister Neumann an und widersprachen den Bedenken von Linksfraktion und Grünen. Das Konzept lasse Raum für bürgerschaftliches Engagement und ersticke es keineswegs. "Wie soll denn der Staat der Zivilgesellschaft ein Gedenkkonzept vorschreiben?", so Thierse.
Trotz des eindeutigen Schwerpunktes auf der Förderung von NS-Gedenkstätten soll auch die Erforschung der DDR-Geschichte gestärkt werden. Im Rahmen eines Geschichtsverbunds soll die Zusammenarbeit aller Einrichtungen zur Geschichte der Sowjetbesatzung und der DDR gestärkt werden. Neu hinzukommen soll unter anderem eine Dauerausstellung des Hauses der Geschichte im Berliner Tränenpalast. Die Zukunft der Birthler-Behörde soll in der nächsten Legislaturperiode durch eine Arbeitsgruppe diskutiert werden.