Reform des GmbH-Rechts
Die Gründung einer Firma wird einfacher - nicht aber ihre »Entsorgung« nach einer Pleite
Die Masse der Mittelständler in Deutschland erhält eine neue Rechtsgrundlage. Der Bundestag hat am Donnerstag das Gesetz über die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) in wesentlichen Punkten geändert. Das ist dessen größte Reform seit seiner Verabschiedung im Jahr 1892 durch den Reichstag im Kaiserreich. Rund eine Million Firmeninhaber müssen sich damit auf geänderte Vorschriften einstellen - und ihre Geschäftspartner ebenfalls. Der größte Einschnitt: Künftig kann eine GmbH ohne jedes Startkapital auf die Beine gestellt werden.
Ganz freiwillig haben sich die Rechts- und Wirtschaftspolitiker nicht zu der Generalüberholung entschlossen. Nicht zuletzt die Angst stand Pate, als Anfang 2005 der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) das Projekt in einer Regierungserklärung ankündigte. Die Furcht nämlich vor der Flucht von immer mehr deutschen Unternehmen in die britische Rechtsform der "Limited" (Ltd.), die damals eingesetzt hatte. Daraufhin heckte Schröder gemeinsam mit der damaligen Oppositionschefin Angela Merkel (CDU) auf dem "Job-Gipfel" das Reformprojekt aus.
Eine Auflage zum Schutz der Geschäftspartner hat das Parlament allerdings gemacht. Wird beim Start ins Wirtschaftsleben die bisherige 25.000 Euro-Hürde unterschritten, muss die Firma den Namenszusatz "Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)" führen. Abgekürzt werden darf dieser sperrige Titel auch als "UG (haftungsbeschränkt)". Umgangssprachlich wird aber wohl bald von einer "GmbH-light" oder "Ein-Euro-GmbH" die Rede sein. Falls die Umsätze gut laufen, muss ein Teil des Jahresüberschusses in eine Rücklage eingestellt und fortlaufend aufgestockt werden. Damit vielleicht irgendwann doch eine "richtige" GmbH aus dem Friseurladen oder der PC-Werkstatt wird.
Weil der CDU-Rechtsexperte Jürgen Gehb diese von ihm vorgeschlagene GmbH-Variante im Laufe der Beratungen durchsetzen konnte, hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im letzten Moment auf das von ihrer Partei bevorzugte Modell verzichtet. Die SPD wollte ursprünglich die Schwelle für das Mindestkapital auf 10.000 Euro herabsetzen, um die Attraktivität des deutschen GmbH-Rechtskleids für Entrepreneure zu steigern. Die Idee dahinter war dieselbe: Wer ein Dienstleistungsgewerbe eröffnet, kommt heutzutage oft schon mit einem Schreibtisch und einem Computer als Handwerkszeug aus. Großer Investitionen in Produktionsmittel bedarf es gerade in einem kleinen Ein- oder Zwei-Personen-Betrieb nicht. "Verbilligen, beschleunigen, entschlacken", nennt Gehb daher als Ziel der Gesetzesnovelle.
Der Hintergrund all dieser Bemühungen: Der Europäische Gerichtshof hat die Ländergrenzen auch für den Verkehr von Rechtsformen geöffnet. Durch eine Serie von spektakulären Entscheidungen zwangen die Luxemburger Europarichter die deutschen Zivilgerichte bis hin zum Bundesgerichtshof dazu, ihre bisherige Rechtsprechung zu kippen. Seither muss die Justiz in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union Unternehmen in der juristischen Gestalt akzeptieren, in der sie irgendwo zwischen Kopenhagen und Valletta, zwischen Madrid und Bukarest gegründet worden sind. Das gilt selbst dann, wenn es sich um eine reine "Briefkastenfirma" handelt, also der wirkliche Geschäftssitz von Anfang an im Ausland liegt. Juristen sprechen dann etwas feinsinniger von "Scheinauslandsgesellschaften".
Prompt schossen in Deutschland vor allem die Start-ups im Mantel der britischen "private limited company by shares" wie Pilze aus dem Boden. Kommerzielle Händler mit Firmenmänteln warben systematisch für die Nutzung dieses Importschlagers. Denn für Betriebsgründer wirkt eine solche "Ltd." mit kleinem Budget auf den ersten Blick attraktiv: Praktisch kein Pflichtkapital ist erforderlich, um die persönliche Haftung des Inhabers auszuschließen.
Wulf Goette, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, hat freilich im Zuge der Gesetzesberatungen vor einer massiven Herabsetzung der "Seriositätsschwelle" in Deutschland gewarnt: "Die Säuglings- und Kindersterblichkeit der Ltd. ist erschreckend hoch." Windige Schlüsseldienste und kapitalklamme Webdesigner wittern hier allzu oft eine Chance, auch wenn ihnen die nötige Geschäftsbasis fehlt. Genauso sorgt Goette sich um ein "drastisch reduziertes Schutzniveau" für Gläubiger der neuen "Unternehmergesellschaft". Auch manche Wirtschaftsanwälte wie der Frankfurter Rechtsanwalt Wilhelm Niemeier von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG wandten sich vergeblich dagegen, in der Bundesrepublik den bisherigen Zwang zu einem Stammkapital aufzugeben.
Die Modernisierung des GmbH-Rechts hat aber noch weitere Ursachen und Aktionsfelder. So rufen die Justizminister der Bundesländer schon lange nach Schritten gegen die Branche der "Firmenbestatter". Dahinter steckt eine - oft sogar strafbare - Methode, Geschäftsleuten eine kriselnde GmbH gegen ein Honorar abzunehmen, um sie nach der anschließenden Pleite zu "entsorgen". Meist im Ausland und unter Vernichtung aller vorgeschriebenen Buchhaltungsunterlagen.
Illegal und (zumindest) halb-kriminell werden dadurch die Gläubiger um ihre berechtigten Ansprüche gebracht. Doch für Insolvenzverwalter oder Gerichtsvollzieher ist selten noch etwas zu holen. Und weil das Beweismaterial von den zwielichtigen Bestattern professionell beiseite geschafft wurde, behalten die gescheiterten Firmenbetreiber vor der Strafjustiz ihre "weiße Weste". Und können gleich - vermeintlich unbescholten - wieder ihr nächstes Geschäft aufmachen. Dem Anliegen, diesem Treiben einen Riegel vorzuschieben, verdankt das Reformwerk übrigens seinen vollen Namen: "Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen" (MoMiG) lautet der Titel des Paragrafenbündels.
Um diese systematische Umgehung des Gläubigerschutzes zu bekämpfen, muss in Zukunft eine inländische Geschäftsanschrift ins Handelsregister eingetragen werden. Wenn sich unter dieser ein Forderungsschreiben nicht wirksam an den Mann oder die Frau bringen lässt, kann leichter eine "öffentliche Zustellung" eingefädelt werden. "Eine ganz erhebliche Deregulierung" nennt das Ressortchefin Zypries. Stärker in die Pflicht genommen werden überdies die Gesellschafter: Falls ihr Geschäftsführer das Handtuch wirft oder gar untertaucht, müssen sie an dessen Stelle bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag stellen.
Abstriche hat die Große Koalition bei dem von Zypries einst angekündigten "Gründungsset" gemacht, das Einsteigern ins Wirtschaftsleben durch eine Mustersatzung der Gang zum Notar ersparen sollte. "Schade, dass sich diese im parlamentarischen Verfahren nicht durchsetzen konnte", bedauert Annika Böhm vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). "Für einfache Gründungen wäre das optimal gewesen." Nun wird den angehenden Geschäftsleuten zwar ein "Musterprotokoll" an die Hand gegeben, das für Standardfälle passen soll. Doch auf den Zwang zur Beurkundung wird doch nicht verzichtet.
Auch sonst tut sich Einiges, damit Einsteiger schneller loslegen können. Die Registergerichte sollen unverzüglich über die Eintragung einer neuen GmbH entscheiden; die Daten müssen ihnen elektronisch übermittelt werden. Wenn die spezielle Genehmigung einer Verwaltungsbehörde erforderlich ist (etwa eine gewerberechtliche Erlaubnis für Restaurantbetreiber oder Handwerksmeister), muss diese nicht mehr gleich bei der Eintragung vorgelegt werden. Ein-Personen-GmbHs müssen zudem keine besonderen Sicherheiten mehr stellen, und die Kontrolle von Einlagen durch die Gerichte wird eingeschränkt.
Und noch ein weiterer Umbau steht bevor: Der Bundesgerichtshof hat ein immer stärker verschachteltes System von Regeln zum Erhalt des Eigenkapitals entwickelt. Diese konnten zwar nicht verhindern, dass ungeschickte Firmenlenker ihr Startkapital im laufenden Betrieb ohne Erfolg "verbrennen". Doch sollten ihre Geschäftspartner wenigstens davor geschützt werden, dass die Inhaber sich die vorgeschriebene Haftungssumme heimlich selbst wieder auszahlen.
Selbst für die Rückzahlung von Krediten an die Gesellschafter und für den Geldkreislauf innerhalb eines Konzerns hat sich somit ein Sammelsurium von Bestimmungen entwickelt, das selbst Wirtschaftsanwälte kaum noch überblicken konnten. Der Bundestag hat deshalb den Regelungswust bereinigt - auch wenn ein Teil davon ins Insolvenzrecht verlagert wird. Ein Streitpunkt beim MoMiG hat sich in Luft aufgelöst: Zur "Flucht aus der Mitbestimmung" könne das Gesetz nicht genutzt werden, stellten Union und SPD im Rechtsausschuss einhellig fest. Ins Ausland gehen könnten Unternehmen schließlich schon jetzt.
Damit ist die Generalreform des GmbH-Rechts, das weitgehend unverändert aus dem 19. Jahrhundert stammt, praktisch besiegelt. "Positiv" daran findet Rechtsreferentin Böhm vom DIHK, "dass nun der erleichterte Einstieg in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung kommt". Unternehmen müssten bei geringem Startkapital nicht mehr nach Rechtsformen aus dem Ausland Ausschau halten. Gut gefällt dem Spitzenverband auch, dass die neue "Unternehmergesellschaft" durch ihre Zusatzbezeichnung öffentlich von der hergebrachten GmbH abgegrenzt werde. "Dadurch entsteht nicht die Gefahr der Irreführung." Ablehnung kommt dagegen von der FDP-Fraktion. "Durch die Einführung der neuen Mini-GmbH wird die Reputation der GmbH, die weltweit hohes Ansehen genießt, Schaden nehmen", sagt deren justizpolitische Sprecherin Mechthild Dyckmans voraus.
Ob der Markt der "UG (haftungsbeschränkt)" Vertrauen entgegen bringen wird, bleibt abzuwarten. Außerdem bastelt die EU bereits an einer Alternative: Sie treibt die Einführung einer "Europäischen Privatgesellschaft" voran. Für diese könnten sich Firmeninhaber dann freiwillig anstelle einer der zahlreichen nationalen Rechtsformen entscheiden. Der Vorteil: Die Regeln einer solchen "Europa-GmbH" wären europaweit einheitlich - einigermaßen jedenfalls.