Lebensmittelpreise
Konzepte gegen weltweite Hungerkrise gesucht - Anhörung im Agrarausschuss
Gleich zum Auftakt der Anhörung des Agrarausschusses spielt sich ein Lehrstück in Sachen Interessenpolitik ab. "Nahrungsmittel sind nicht zu teuer", proklamiert Willi Kampmann vom Deutschen Bauernverband. Die Preise seien lange Zeit "zu niedrig" und es sei "höchste Zeit" für Erhöhungen gewesen. Hierzulande könnten Verbraucher immer noch günstig einkaufen. Solche Worte sitzen in einem Moment, wo die Bürger im Supermarkt den Angriff auf ihr Portemonnaie ganz handfest spüren und wo die durch drastische Preissteigerungen bei Energie wie Lebensmitteln befeuerte Inflation das Wirtschaftswachstum auszubremsen droht. Doch die Teuerung im Inland ist nicht das Thema dieses Bundestags-Hearings am 23. Juni, das sich mit der weltweiten Bekämpfung des Hungers im Zusammenhang mit der Preishausse bei Reis, Weizen, Mais, Milch, Zucker, Speiseöl und anderen Nahrungsmitteln befasst. Kritik vorausahnend, geht Kampmann bei der heiklen Frage der sozialen Auswirkungen gleich in die Offensive: Auch im Weltmaßstab sei das Preisniveau zu gering gewesen, weswegen sich für Bauern in der Dritten Welt die Produktion nicht gelohnt habe. Jetzt wachse jedoch die Motivation.
Contra gibt Thomas Speck. Hohe Preise seien natürlich gut für die Landwirtschaft, in Entwicklungsländern aber bedrohlich für jene, "die 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen", betont der Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt (Gepa). OECD-Handelsdirektor Stefan Tangermann: "Die hohen Preise haben dramatische Folgen für arme Staaten."
Die Anhörung findet in einer spannenden Phase statt: Vom 7. bis 9. Juli tagt in Japan der G8-Gipfel, bei dem Kanzlerin Angela Merkel mit einem Konzept zur Bewältigung der Nahrungsmittelkrise punkten will. Im Juni hat bereits die FAO im Rom einen "Welternährungsgipfel" mit 5.000 Delegierten sowie 40 Staats- und Regierungschefs veranstaltet, der freilich über die Ankündigung von FAO- und Weltbank-Hilfen für die Ärmsten der Armen unter 900 Millionen Unterernährten hinaus keine konkreten Ergebnisse zeitigte. Wie die seitherige internationale Diskussion lässt sich auch die Debatte beim Hearing als Fingerzeig deuten, dass beim G8-Meeting eine Einigung auf immerhin zwei Punkte möglich sein könnte: bessere humanitäre Hilfe in Notsituationen und eine verstärkte Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in der Dritten Welt. Große Streitpunkte wie etwa die Rolle der Gentechnik, der Bioenergie oder des Welthandels dürften in Japan wohl nicht gelöst werden.
Tangermann prognostiziert vor den Parlamentariern, dass sich die "explosionsartige Preisentwicklung" wieder abflachen werde, die Preise aber auf lange Sicht je nach Produkt zwischen zehn und 50 Prozent über dem früheren Niveau verharren werden. Kern der Gemengelage: Mit der global wachsenden Nachfrage hält das Angebot nicht Schritt. Jedes Jahr klettert die Zahl der Erdenbürger um 80 Millionen.
In Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien erhöht sich die Kaufkraft. Dürre und andere Wetterkapriolen führten etwa im Mittelmeerraum oder in Australien zu Missernten. In Südostasien und Südamerika wird Ackerland durch den Anbau von Pflanzen verdrängt, aus denen Biosprit gewonnen wird. Die hohen Energiekosten verteuern die landwirtschaftliche Erzeugung. Zusätzlich angefacht wird der Preispoker durch Spekulanten. Viele Jahre subventionierte die EU den Verkauf von Agrarprodukten auf dem Weltmarkt, was etwa in Afrika Schweine- und Geflügelfarmer ruiniert hat. Umstritten ist indes, welcher Faktor wie viel zur Preisrallye beisteuert. Tangermann unterstreicht bei der Anhörung, dass ein Großteil des wachsenden Bedarfs an Agrarrohstoffen auf die Bioenergie zurückzuführen sei. Er werde "ungeduldig", wenn er immer wieder höre, Biosprit spiele keine große Rolle. Namen nennt der OECD-Experte nicht, doch richtet sich diese Kritik auch gegen Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD): Die Minister sehen im Biotreibstoff keine Hauptursache der Preishausse, da weltweit Energiepflanzen nur auf zwei Prozent der Agrarflächen angebaut würden. Konfliktstoff für den G8-Gipfel.
Spannung verspricht auch die Debatte über die umstrittene Gentechnik. Lässt sich die von UN-Generalsekretär Ban Ki -moon geforderte Ausweitung der Agrarproduktion um 50 Prozent bis 2030 ohne diese Pflanzentechnologie erreichen? Gepa-Sprecher Speck sagt bei dem Hearing, in der Landwirtschaft steckten noch genügend Potenziale zur Ertragssteigerung. Doch Michael Schmitz, Professor für Agrarpolitik an der Uni Gießen, kritisiert bei dem Hearing Defizite bei der Nutzung gentechnischer Potenziale. Ohne den wissenschaftlich-technischen Fortschritt, wozu auch chemischer Pflanzenschutz und der Bildungsexport in die Dritte Welt gehörten, ließen sich keine Erfolge erzielen.
Vor dem Meeting in Japan hat Deutschland indes schon mal ein positives Signal gesetzt: Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) will 500 Millionen Euro für die Landwirtschaft in der Dritten Welt mobilisieren. Eine Trendumkehr: Über viele Jahre haben die Industriestaaten ihre Hilfe für ländliche Zonen drastisch zurückgefahren. Gepa-Experte Speck hebt bei der Anhörung hervor, dass 90 Prozent der Kleinbauern mit weniger als zwei Hektar Ackerland in Entwicklungsländern leben. "Wir müssen das Rad ja nicht neu erfinden", sagt OECD-Direktor Tangermann. Entscheidend sei die Förderung der Landwirtschaft. Doch dieses Engagement für die Dritte Welt dürfe nicht "hektisch und kurzfristig", sondern müsse auf lange Sicht angelegt sein, so Tangermann.