"Baschir soll sich für seine Taten verantworten"
Der Chefankläger des Internationalstrafgerichtshofs in Den Haag, der Argentinier Luis Moreno-Ocampo, fordert die Staatengemeinschaft zur Geschlossenheit auf, um den internationalen Haftbefehl gegen den sudanesischen Staatspräsidenten Omar al-Baschir durchzusetzen. In einem Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" sagt er, nur wenn sich die Welt einig sei, könne der Völkermord in Darfur gestoppt werden. Baschir müsse jetzt international isoliert werden. Politische Stimmen in aller Welt müssten die sudanesische Regierung mit Nachdruck auffordern, Baschir auszuliefern. Er solle sich vor der Justiz für seine Taten verantworten.
Herr Moreno-Ocampo, Sie haben am 4. März einen internationalen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir erlassen. Seitdem hat Baschir 13 Hilfsorganisationen aus Darfur ausgewiesen, weitere sollen folgen. Halten Sie den Haftbefehl noch immer für die richtige Entscheidung?
Mein Mandat ist es, Gerechtigkeit durchzusetzen. Das ist der Auftrag, den ich vom UN-Sicherheitsrat bekommen habe. Baschir vernichtet seit über sechs Jahren ein ganzes Volk durch Hunger und Vergewaltigungen. 2,5 Millionen Menschen sterben in Darfur einen langsamen Tod. Baschir behindert die humanitären Helfer. Schon indem er internationalen Organisationen Visa verweigert oder Nahrungsmittelkonvois angreift, tötet er Menschen. Baschir wird diese Verbrechen weiterhin begehen. Davor die Augen zu verschließen, wird die Probleme nicht lösen. Meine Rolle ist es, die Augen offen zu halten.
Viele Staatschefs, etwa in Afrika oder der arabischen Welt,
befürchten, der Haftbefehl könnte den Friedensprozess im
Sudan gefährden. In den Medien war von einem "Dilettantismus
der guten Absichten" die Rede. Was entgegnen Sie
darauf?
Baschir erpresst die ganze Welt. Heißt das für uns, dass Verbrecher wie er Millionen von Menschen töten können, ohne dass etwas passiert? Oder heißt es nicht eher, dass wir eine Weltgemeinschaft aufbauen sollten, in der grundlegende Regeln zu respektieren sind? Das ist die Frage. Die internationale Gemeinschaft steht an einem Scheideweg. Wir fordern keine militärische Intervention, keine Invasion im Sudan. Wir fordern ein starkes Bekenntnis zum Recht als dem entscheidenden Instrument, Verbrechen zu stoppen. Wie der frühere serbische Präsident Slobodan Miloševic oder Liberias Ex-Präsident Charles Taylor soll sich auch Omar al-Baschir vor der Justiz für seine Taten verantworten.
Der Strafgerichtshof in Den Haag ist auf die Kooperation der
Staatengemeinschaft angewiesen. Der Sudan erkennt das Gericht nicht
an, und solange Baschir nicht in ein Land reist, das ihn ausliefern
würde, hat er nichts zu befürchten. Wie wollen Sie den
Haftbefehl durchsetzen?
Wir brauchen politische Stimmen überall in der Welt, die bei jedem Treffen mit der sudanesischen Regierung mit Nachdruck fordern: Ihr müsst Baschir ausliefern. Der Sudan muss begreifen, dass er sich in diesem Punkt ändern muss. Die diplomatischen Kontakte mit Baschir sollten außerdem auf das Nötigste reduziert werden. Er muss jetzt international isoliert werden. Seine Opfer können nicht warten. Jeden Monat sterben 5.000 Menschen in Darfur, weil Baschir entschieden hat, sie auszurotten.
Wie hoch sind die Aussichten, dass er tatsächlich bald in Den
Haag auf der Anklagebank sitzt?
Das kann sechs Monate, aber auch sechs Jahre dauern. Bis dahin muss die Staatengemeinschaft darauf drängen, dass die Verbrechen in Darfur ein Ende finden. Es geht hier nicht um mich, Luis Moreno-Ocampo gegen Omar al-Baschir. Es geht um die Welt gegen Baschir. Nur wenn sich die Welt einig ist, kann der Völkermord in Darfur gestoppt werden. An diese Verantwortung von Parlamentariern, politischen Führern und Diplomaten habe ich auch in Berlin appelliert.
Sie waren Gast auf einer gemeinsamen Konferenz des
Bundestags-Menschenrechtsausschusses und der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates, die sich mit der Überwindung von
Straflosigkeit beschäftigt hat. Welche Rolle spielen die
einzelnen Staaten in dieser Frage?
Es ist sehr wichtig, dass die nationalen Parlamentarier die Idee des Rom-Statuts, auf dessen vertraglicher Grundlage der Strafgerichtshof arbeitet, unterstützen und vorantreiben. Dann werden die Menschen auch verstehen, warum wir uns in Darfur so stark engagieren. Denn solche Verbrechen haben immer auch einen Einfluss auf uns alle, sie destabilisieren eine ganze Region, einen ganzen Kontinent. Ein instabiles Afrika bedeutet Migration in Europa, in Deutschland. Diesen Zusammenhang können die Parlamentarier den Menschen erklären.
Wenn es tatsächlich zu einem Prozess kommt: Haben Sie
genügend Beweise, um Baschir persönlich nachzuweisen,
dass er Völkermord in Darfur begeht?
Absolut. Ich hoffe, dass es zu einem Prozess kommen wird, denn das wäre ein Traum! Wir haben hier einen ganz großen Fall. Unsere Teams haben Opfer in 18 Staaten befragt, sie haben mehr als 600 Dokumente eingesehen. Wir haben alle Beweise, die wir brauchen.
Bis heute haben 108 Staaten das Rom-Statut zum Internationalen
Strafgerichtshof ratifiziert. Doch steht die Anerkennung von
Staaten wie den USA, Russland, China, Israel und Indien noch immer
aus. Wie soll eine internationale Rechtssprechung so überhaupt
funktionieren?
Sie funktioniert sehr gut. Es ist bemerkenswert, dass so viele Staaten das Rom-Statut unterzeichnet haben. Und auch die übrigen Staaten ändern sich. Als der Georgien-Konflikt begann, haben sowohl Georgien als auch Russland mit uns engen Kontakt gehalten. Russland als Nicht-Mitgliedstaat hat allein über 3.000 Meldungen an uns geschickt. Auch mit China und den USA führen wir ständig Gespräche.
Dennoch sehen viele Kritiker im Den Haager Gericht ein stumpfes
Schwert.
Wissen Sie, bevor ich 2003 den Ruf zum Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof bekam, arbeitete ich als Professor in Harvard. Ein Kollege sagte mir damals: Luis, es ist eine große Ehre für Dich, aber Du solltest das Angebot ablehnen. Ich fragte: Warum? Er erwiderte: Ohne die Unterstützung der USA wirst Du nicht ermitteln können. Es wird eine Blamage für Dich werden. Du wirst niemanden verhaften, stattdessen wirst Du neun Jahre in Den Haag sitzen und nichts tun können.
Wie sehen Sie das heute?
Wir haben in den vergangenen sechs Jahren gezeigt, dass wir in der Tat arbeiten können. Wir haben 13 Haftbefehle ausgesprochen. Vier Angeklagte sitzen in Haft, der erste Prozess gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga hat am 26. Januar dieses Jahres begonnen. Wir untersuchen heute weltweit schwere Verbrechen in Uganda, in der Demokratischen Republik Kongo, in Afghanistan, Kolumbien, Kenia und Georgien. Auch prüfen wir gerade eine Deklaration der Palästinensischen Autonomiebehörde, in der es darum geht, Verbrechen während des israelischen Angriffs auf den Gazastreifen zu untersuchen. Der Internationale Strafgerichtshof arbeitet und er ist handlungsfähig. Und je mehr wichtige Fälle wir bearbeiten, desto mehr Länder werden uns anerkennen und mit uns zusammenarbeiten. In 20 Jahren wird die ganze Welt dem Gericht angehören.
Sie scheinen ein Optimist zu sein.
Ich bin ein Realist. Wir leben in einer globalisierten Welt, alles ist vernetzt. Wir brauchen ein gemeinsames Recht, um ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten. Das Rom-Statut ist ein wichtiger Schritt, die Regierungen über ein unabhängiges Gericht zusammenzuführen. Es ist das Instrument der Zukunft. Schon jetzt hat die reine Existenz des Gerichts einen starken Einfluss in der Welt.
Inwiefern?
Die Botschaft ist: Selbst wenn Du ein Präsident und Staatenlenker bist, darfst Du keine Verbrechen begehen. Du kannst verfolgt werden für Deine Taten. Darüber hinaus passen mittlerweile Armeen in aller Welt ihre Standards an das Rom-Statut an. Das Gericht leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Vorbeugung von Verbrechen. Auch wenn wir noch immer am Anfang unserer Entwicklung stehen, unsere Wirkung ist bereits beträchtlich. Ich denke, der Strafgerichtshof wird in Zukunft dazu beitragen, dass solche schlimmen Verbrechen wie in Darfur, wo tausende Menschen getötet und Millionen vertrieben werden, nicht mehr passieren.