"Oft der letzte Anker für die Menschen"
Die Mitglieder des Petitionsausschusses nutzten die einstündige Beratung über den aktuellen Tätigkeitsbericht am Freitag, 3. Juli 2009, nicht nur, um eine Bilanz ihrer Arbeit zum Ende der Legislaturperiode zu ziehen. Sie nutzten die Debatte auch, wie Gero Storjohann (CDU/CSU) bekannte, um auf das Gremium und seine Bedeutung grundsätzlich hinzuweisen. Die auf mehr als 18.000 angewachsene Zahl der im vergangenen Jahr gestellten Petitionen belege, wie sehr die Unzufriedenheit der Menschen zugenommen habe, meinte Jens Ackermann (FDP). Gleichzeitig sei der Jahresbericht aber auch ein Dokument des Vertrauens in die Handlungsfähigkeit des Parlaments, sagte Josef Winkler (Bündnis 90/Die Grünen).
Die Ausschussvorsitzende Kersten Naumann (Die Linke)
resümierte als erste Rednerin der Debatte das vergangene Jahr
aus Sicht des Petitionsausschusses als „kein gutes“.
Die Zahl der Eingaben sei im Vergleich zum Vorjahr um 1.836 von
16.260 auf 18.096 gestiegen. "Ein Indiz dafür, dass es zu
viele Probleme gibt“, so Naumann."„Oft sind wir der
letzte Anker für die Menschen.“
Stolz auf Auszeichnung mit dem „Politik-Award“ für
Online-Petitionen
Ein Grund zum Freuen sei daher für den Ausschuss, dass es seit Oktober 2008 regulär möglich ist, beim Bundestag auch online Petitionen einzureichen ("ePetitionen"). "Dass wir dafür in diesem Jahr mit dem Politik-Award ausgezeichnet wurden, darauf sind wir natürlich stolz“, sagte die Abgeordnete der Linksfraktion.
Der "eigentliche Erfolg“ sei jedoch, wenn der Ausschuss es
geschafft habe, zu helfen. Auch wenn der "durchschlagende
Erfolg“ selten vorkomme, so gebe es doch immer wieder
Fortschritte. "Wir sind hartnäckig, wenn es um die Anliegen
der Menschen geht, die sich voller Vertrauen an uns
wenden.“
"Das Einzelschicksal interessiert uns auch"
Gero Storjohann (CDU/CSU) hob besonders die Bedeutung der neuen elektronischen Petition hervor: "Sie eröffnet neue Möglichkeiten, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen.“ Wie erfolgreich dieses Instrument schon jetzt sei, belege die enorme Steigerung der Eingaben"„Nach der Höhe der Klickzahlen sind wir vielleicht der berühmteste Ausschuss des Bundestages“, scherzte der Abgeordnete.
Dass gerade einzelne Online-Petitionen große mediale
Aufmerksamkeit erregt hätten, bedeute aber nicht, dass diese
vom Petitionsausschuss wichtiger genommen würden als Eingaben,
hinter denen vielleicht Einzelschicksale stünden, sagte
Storjohann. Ob "ein Unterstützer oder 50. 000“ –
jede Eingabe erfahre die gleiche Sorgfalt der Bearbeitung.
"Schließlich zählen die Argumente, nicht die mediale
Wucht.“
"Petitionen zeigen, wo der Schuh drückt"
Jens Ackermann (FDP) betonte, die Zahl von "genau 18.096“ Petitionen zeige, "wie sehr die "Unzufriedenheit der Menschen zugenommen hat“. Viele seien verärgert über die Gesundheitspolitik – oder etwa auch über die Reform der Erbschaftssteuer, sagte der Abgeordnete und nutzte diese Feststellung, um die Bundesregierung aufzufordern, mehr für kleine Betriebe und Familienbetriebe zu tun. Gerade die belaste die Erbschaftssteuerreform besonders, so Ackermann.
"Wo der Schuh drückt“, lasse sich gut an den Petitionen
ablesen. Es sei "gelebte Demokratie“, dass sich die Menschen
mit ihren Problemen an den Bundestag wendeten. "Aber“, so
warnte der Liberale, "wir dürfen sie nicht enttäuschen,
sonst wenden sie sich ab.“
"Wir haben auch die Aufgabe abzuwägen"
Lydia Westrich (SPD), seit 15 Jahren Mitglied im Petitionsausschuss, hob dagegen hervor, dass das Gremium – auch wenn es sein Selbstverständnis sei, "Auge, Ohr und Sensor für die Bedürfnisse der Menschen zu sein“ – wohl überlegen müsse, wann es in der ihm stärksten möglichen Form bei anderen Institutionen – wie etwa bei der Bundesregierung – interveniere.
"Wir müssen vieles beachten“, sagte die
Sozialdemokratin. „Präzendenzfälle, die folgenden
Kosten – aber auch, dass manches, was für den einen
ungerecht ist, anderen wiederum hilft. Wir müssen
abwägen.“
„Befugnisse des Petitionsausschusses
erweitern“
Karin Binder (Die Linke) betonte, Petitionen seien ein "geeignetes Mittel, dem Volk aufs Maul zu schauen und wichtige Erkenntnisse zu erlangen“. Allerdings dürfe es nicht nur darum gehen, "zuzuhören, sondern die gewonnenen Erkenntnisse auch in die parlamentarische Arbeit einzubeziehen“, mahnte die Politikerin.
Betrachte man die Arbeit des Petitionsausschusses im letzten Jahr
in dieser Hinsicht, so falle die Bilanz "ernüchternd“
aus. Nur in 43 Fällen seien in Eingaben geäußerten
Anliegen von der Politik aufgegriffen worden, kritisierte Binder
und verknüpfte damit die Forderung, die Befugnisse des
Petitionsausschusses zu erweitern. "Wir sollten dringend über
ein transparenteres Petitionsverfahren und einen einklagbaren
Anspruch auf Befassung nachdenken.“
"Dokument für das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des
Parlaments"
Die Kritik Binders wies ihr Ausschusskollege Paul Lehrieder (CDU/CSU) jedoch deutlich zurück: "Sie ignorieren die große Zahl der Petitionen, die sich etwa wegen neuer Gesetzgebung erledigt.“ Der Ausschuss sei "kein halbstumpfes Schwert“, wie Binders Worte suggerierten.
Auch Josef Winkler (Bündnis 90/Die Grünen) wollte sich
den Forderungen Binders nicht anschließen. Im Gegenteil, der
vorliegende Jahresbericht des Petitionsausschusses sei für ihn
ein "Dokument für das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit
des Parlaments“, so der Abgeordnete, "und zudem ein Ausweis
für seine Problemlösungskompetenz und Bereitschaft zum
Dialog“.
Dennoch warnte Winkler davor, sich auf den "Lorbeeren
auszuruhen“. Gerade die Bundesregierung solle "mal in den
„Rückspiegel des Berichts schauen“: "Da gibt es
einiges zu tun“, so der Grünen-Politiker. Konkret nannte
er das Problem "Generation Praktikum“ – hier habe sich
noch wenig für die betroffenen jungen Menschen
geändert.