Anti-Terror-Kampf und Renditions: Marty spricht von Nato-Geheimbeschluss
Berlin: (hib/KOS) Für den von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats mit der Aufklärung der "Renditions" beauftragten Schweizer Abgeordneten Dick Marty ist es "absolut unglaubhaft", dass die europäischen Regierungen bis 2005 nichts von diesen rechtswidrigen Praktiken der CIA gewusst haben wollen. Zur Begründung verwies der liberale Politiker am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss nicht nur auf bereits lange vor 2005 publizierte Medienberichte zu den Verschleppungen Terrorverdächtiger mit getarnten Flügen zu Geheimgefängnissen in diversen Ländern, wo die Betroffenen möglicherweise auch misshandelt oder gefoltert wurden. Marty erklärte zudem, angesichts eines Nato-Geheimbeschlusses vom Herbst 2001 zum Anti-Terror-Kampf seien seiner Meinung nach einzelne höchstrangige Regierungsmitglieder und Geheimdienstler in den Bündnisstaaten über die Renditions unterrichtet gewesen. Eingeweiht gewesen seien der Regierungschef, einzelne Minister oder die für Geheimdienste politisch Verantwortlichen. Das sei von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt worden. Auf die Frage des FDP-Abgeordneten Hellmut Königshaus, ob dies in Deutschland der ehemalige Innenminister Otto Schily gewesen sein könnte, sagte der Europarats-Beauftragte: "Das passt theoretisch ins Schema", konkret belegen könne er dies nicht. Von ihm als glaubwürdig bezeichnete "Quellen", die er aus Gründen der Vertraulichkeit nicht offenlegen wolle, hätten ihm die Existenz des Nato-Beschlusses bestätigt. Aus Sicht Martys liefert diese Vereinbarung eine Erklärung für das Verhalten europäischer Regierungen, die sich mit dem Verweis auf "Staatsgeheimnisse" einer vollständigen Aufklärung der Renditions verweigerten.
Der Ausschuss wollte von dem ehemaligen Staatsanwalt wissen, zu welchen Erkenntnissen er über eine Verwicklung der deutschen Regierung und hiesiger Stellen in die Renditions gelangt sei. Nach einem Bericht des von dem Gremium eingesetzten Sonderermittlers Joachim Jacob erfuhr Berlin mit mehrjähriger Verspätung nur von zweien solcher Flüge unter Einbeziehung des deutschen Luftraums. Marty sagte, er glaube nicht, dass Deutschland von diesen Praktiken "abgekapselt" gewesen sei. Der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder (CDU) insistierte gegenüber dem Zeugen, es gehe um "Fakten", nicht um "politische Einschätzungen." Konkrete Belege für eine Verstrickung der hiesigen Regierung in die "Renditions" habe er nicht, so der Europarats-Beauftragte. Es sei nicht davon auszugehen, dass eine der CIA-Verschleppungsaktionen von der Bundesrepublik ausgegangen sei, auch habe er keine Hinweise auf von den USA hierzulande genutzte Geheimgefängnisse. Marty verwies allerdings auf die Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri nach Afghanistan. Dessen dortige Befragung zu Details von Vorgängen in Deutschland sei nach seiner Überzeugung nur aufgrund hiesiger Informationen möglich gewesen. Aus seiner Sicht seien auch bei der Verhaftung El-Masris in Mazedonien wie bei dessen späterer Freilassung Informationen aus Deutschland im Spiel gewesen.
Der Europarats-Politiker erklärte, ihm sei eine als geheim klassifizierte Version des für das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags erstellten Regierungsberichts zu den Renditions angeboten worden, die über den veröffentlichten Text hinausgehe. Der Rechtsausschuss der Parlamentarischen Versammlung in Straßburg habe jedoch entschieden, darauf nicht einzugehen. Den Namen dessen, der den Geheimbericht offeriert hat, wollte der Zeuge nicht nennen. Auf Nachfrage sagte Marty indes, es handele sich nicht um einen Abgeordneten.
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