In großen Wellen rauscht Empörung
über die Republik hinweg. Wenn die NPD in einen Landtag
einzieht oder wieder besonders derb provoziert, ist ihr
Aufmerksamkeit sicher. Exemplarisch war die öffentliche
Resonanz auf die Parolen, die der NPD-Abgeordnete Jürgen
Gansel im Januar 2005 im Sächsischen Landtag von sich gab.
Gansel wertete den alliierten Luftangriff auf Dresden im Februar
1945 als „Bombenholocaust”. Die Erregung war immens,
zumal sich die NPD-Fraktion einer Schweigeminute für die Opfer
des NS-Regimes und des Zweiten Weltkrieges verweigerte. Mehr
Aufmerksamkeit nach dem Prinzip „any publicity is good
publicity” hätte sich die NPD kaum wünschen
können — so sehr die Entrüstung, vor allem in
Medien und demokratischen Parteien, gerechtfertigt war. Aber der
Vorfall passte exakt in die Strategie, die rechtsextremistische
Parteien in der Regel in den Parlamenten verfolgen.
Das Medienecho, obwohl fast immer negativ, ist ein wesentlicher
Faktor für die Rückkopplung rechtsextremistischer
Politiker zur Basis der Stamm- und Protestwähler. Die
Stammwähler werden durch den medial verstärkten
„Krawall” in ihren festgefügten Ansichten
bestätigt, die ideologisch diffusen und unberechenbaren
Protestwähler bekommen signalisiert: Euren Frust hauen
wir„denen da oben” um die Ohren, dass es kracht. Haltet
uns die Treue und werdet Stammwähler, lautet die
Botschaft.
Dieser radikalpopulistische Mechanismus ist bei vielen
extremistischen Parteien zu erkennen, auch linken. Die NPD, aber
auch der Front National in Frankreich sind dabei, ihn zu
perfektionieren. Die im Januar erfolgte Gründung einer
rechtsextremen Fraktion im Europaparlament, dominiert vom Front
National und der belgischen Partei Vlaams Belang, ist vor allem als
Propagandaaktion von Bedeutung. Von einer zusätzlichen,
internationalen Bühne aus werden die Wähler in der Heimat
agitiert. Um reale Politik geht es weniger. Das erscheint auch
logisch, weil weder die Rechtsextremisten im Europaparlament noch
NPD und DVU in deutschen Landesparlamenten in der Lage sind,
Gesetzgebung mitzugestalten. Die Demokraten halten sie, soweit sie
sich nicht selbst verweigern, von substanzieller Teilhabe
fern.
Aus gutem Grund. Selbst wenn Rechtsextremisten in den Parlamenten
„normal” klingende Anträge stellen, sind sie nur
als Propagandacoup gedacht. Dass vereinzelt demokratische
Abgeordnete mit NPD und DVU stimmen, wie es in den Landtagen von
Sachsen und Brandenburg passiert ist, wird prompt ausgeschlachtet.
Die Rechtsextremisten können dann behaupten, die
Attraktivität ihrer Ideologie reiche doch weit über die
eigenen Parteigrenzen hinaus. Um diesem Anspruch gerecht zu werden,
bemüht sich vor allem die NPD, ihre parlamentarische
Präsenz für die Werbung um bislang eher
unzugängliche Milieus zu nutzen. Gezielt werden
Mittelständler angesprochen — und von Sachsen aus nimmt
ein kleiner, aber einflussreicher Parteizirkel Anlauf zu einer
Akademisierung, über die Landtagsfraktion sowie über das
NPD-Organ Deutsche Stimme, das in Riesa produziert wird. Vor allem
der schon erwähnte Abgeordnete Jürgen Gansel, auch
Mitglied der Redaktion der Deutschen Stimme, propagiert eine
„Dresdner Schule”, als krasse Absage an die
gesellschaftskritische „Frankfurter Schule”. Der
stellvertretende Chefredakteur der Deutschen Stimme, der ehemalige
Waldorf-Lehrer Andreas Molau, hat 2005 den Vorsitz der
rechtsextremen Gesellschaft für freie Publizistik (GfP)
übernommen. Der damals angestaubte, 1960 gegründete
Verein soll offenbar zu einem bräunlichen Think Tank
reifen.
Dennoch bröckelt in Sachsen die NPD-Fraktion, Austritte und
Affären machen ihr zu schaffen. Die Abgeordneten in
Mecklenburg-Vorpommern haben sich bislang kaum profiliert, auch
nicht als Demagogen. Die DVU im Brandenburger Landtag ist blass.
Trotzdem scheint es den beiden, miteinander verbündeten
Parteien zu gelingen, in Ostdeutschland ihre Stammwählerschaft
auf ein Potenzial zwischen drei und fünf Prozent auszubauen.
Entscheidend ist weit verbreiteter sozialer Unmut, ergänzt und
verstärkt durch grassierende Ressentiments gegen Migranten.
Vor allem die NPD versucht, diesen Nährboden zu düngen
— mit ölkisch-sozialistischem Vokabular. Der Versuch,
sich den „kleinen Leuten” als Partei anzudienen, die
sich kümmert, ist langfristig gefährlicher als Krawall im
Parlament. Die Demokraten sollten stärker als bisher
beobachten, was in den Kommunen passiert, auch in Westdeutschland.
Eine Ausgrenzung rechtsextremer Abgeordneter in Landtagen reicht
nicht, um die Gefahr nachhaltig einzudämmen.
Bilder: Picture-Alliance,
Tagesspiegel
Erschienen am 22. März 2007
Frank Jansen, Jahrgang 1959, ist Reporter beim Berliner Tagesspiegel. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und der Carl-von-Ossietzky-Medaille sowie mehrerer Medienpreise. Seine Schwerpunktthemen sind Rechtsextremismus und Terrorismus.