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Gültig ab: 14.06.2007 10:19
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Auf der Datenautobahn in den Präventivstaat?

Versuchter Kofferbombenanschlag von Köln: Fahndungsplakat.
Versuchter Kofferbombenanschlag von Köln: Fahndungsplakat.
© Picture-Alliance/dpa


Konsens in Sicherheitsfragen? Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU/CSU).
Konsens in Sicherheitsfragen? Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU/CSU).
© Picture-Alliance/dpa


Unverletzlichkeit der Wohnung berührt? Onlinedurchsuchung von Computern.
Unverletzlichkeit der Wohnung berührt? Onlinedurchsuchung von Computern.
© Picture-Alliance/dpa


Bundeswehrsoldat: Künftig Einsatz im Innern?
Bundeswehrsoldat: Künftig Einsatz im Innern?
© Picture-Alliance/dpa


Forum: Innere Sicherheit

Der neue biometrische Pass soll vor allem eines sein — fälschungssicher. Daher sind Passfoto und bei ab November 2007 neu ausgegebenen Pässen auch die Fingerabdrücke des rechten und linken Zeigefingers auf dem Reisepass digital gespeichert. Ein Datenbestand, den die Sicherheitsbehörden nur zu gern zur Terrorismusbekämpfung und Verbrechensaufklärung nutzen würden. Kein Wunder, dass Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) Fotos zu Fahndungszwecken nutzen will. Die Debatte ist hitzig, zusätzlich befeuert durch immer neue Vorschläge. Onlinedurchsuchung auf Computern, Neuregelung des großen Lauschangriffs, Rasterfahndung, die Wiederauflage der Kronzeugenregelung — Vokabeln aus der Wunschkiste der Sicherheitsbehörden prägen die Schlagzeilen.

Innenminister Schäuble forderte zunächst, dass neben den Passbildern auch die Daten der Fingerabdrücke vom Reisepass nicht nur auf dem Passchip, sondern auch bei den Meldeämtern gespeichert werden. Die Polizei, so Schäuble, solle zu Ermittlungszwecken online darauf zugreifen können. Die Kritik riss nicht ab. Er plane einen „Frontalangriff gegen das Grundgesetz”, musste sich Schäuble vom politischen Gegner anhören. Mittlerweile scheint die Idee, der Polizei Zugriff auf die Pass-Fingerabdrücke zu ermöglichen, vom Tisch zu sein, Schäuble hat seine Forderung nicht aufrechterhalten. Doch die Debatte um die innere Sicherheit geht weiter.

Wie weit darf der Staat in die Rechte seiner Bürger eingreifen, um Sicherheit vor terroristischen Anschlägen zu gewährleisten? Welche Regeln gelten bei der Abwehr von Anschlägen, also im präventiven Bereich? Was darf die Polizei bei der Aufklärung von Verbrechen, also bei der Strafverfolgung? Und grundsätzlicher: Droht die Freiheit, die die staatlichen Organe eigentlich verteidigen wollen, auf dem Weg zum Präventivstaat unterzugehen?

Die Mehrheit der Deutschen hat auf diese Fragen seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA eine klare Antwort. Es ist immer dieselbe. 24 Jahre, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil die Deutschen mit einem aus dem Grundgesetz abgeleiteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausgestattet hat, nehmen die Menschen heute die Einschränkung ihrer bürgerlichen Freiheiten widerstandslos hin, wenn es um die Sicherheit geht. Mögen Datenschützer auch klagen, geht es nach dem Willen der Deutschen, sollen die Ermittler die Kompetenzen kriegen, die sie brauchen. Auch jetzt unterstützen mehr als 70 Prozent der Bürger Schäubles Antiterrorpolitik, wie eine Umfrage von Infratest Dimap Ende April zeigt.

Stufen der Verschärfung

Hauptgrund dafür ist die Furcht vor terroristischen Anschlägen. Die Gefahr ist real genug, wie die Terrorwarnung der USA für ihre Staatsangehörigen in Deutschland vom Ende April erneut zeigte. Gut in Erinnerung ist auch der Fall der Kofferbomber von Ende Juli 2006, als Anschläge auf zwei Züge in Dortmund und Koblenz nur durch Zufall fehlschlugen.

In mehreren Schüben hat die Regierung die Sicherheitsgesetze seit den Anschlägen vom 11. September verschärft. Das nur wenige Tage nach den Attentaten beschlossene erste Aktionspaket sah eine verbesserte finanzielle Ausstattung der Geheimdienste, des Bundesgrenzschutzes, des Katastrophenschutzes und der Bundeswehr zur Wahrnehmung von Aufgaben auf dem Feld der Terrorabwehr vor. Das Religionsprivileg im Vereinsrecht wurde gestrichen, die Unterstützung ausländischer krimineller Vereinigungen unter Strafe gestellt. Gegen die Stimmen von FDP und der PDS nahm der Bundestag Mitte Dezember 2001 ein zweites Anti-Terror-Gesetzespaket an, mit neuen Befugnissen für Geheimdienste und Sicherheitsbehörden sowie schärferen Bestimmungen bei der Einreise von Ausländern und der Ausweisung von verdächtigen Personen.

Was ist der Anlass für die nun geführte Debatte um einen weiteren Ausbau von Sicherheitsmaßnahmen? Im Kern sind die meisten von Schäubles Vorstößen eine Folge der Föderalismusreform, also der grundlegenden Änderung des Beziehungsgeflechts zwischen Bund und Ländern, auf die sich die Große Koalition geeinigt hat. Das Bundeskriminalamt (BKA), die zentrale Behörde im Antiterrorkampf, hat durch diese Reform Befugnisse der Landeskriminalämter übertragen bekommen. Insbesondere kann die Behörde präventiv, also zur Gefahrenabwehr tätig werden.


Zugriff auf Passfotos und Fingerabdrücke (© DBT/Marc Mendelson).

Ein Großteil von Schäubles Vorschlägen dient der Ausstattung des BKA mit Befugnissen für diese Aufgabe. Derzeit liegt ein Arbeitsentwurf aus dem Innenministerium bei Justizministerin Brigitte Zypries (SPD). Schäuble will das Gesetz bis zur Sommerpause durch das Parlament bringen, Zypries bremst erst mal.

Schäubles Pläne

Was genau hat der Innenminister vor? Weitgehend unumstritten ist die Neuregelung der Rasterfahndung. Dabei handelt es sich um eine Fahndungsmethode, bei der Daten aus unterschiedlichsten Dateien miteinander verknüpft werden, um Straftäter oder potenzielle Täter zu identifizieren. Für die Gefahrenabwehr sind derzeit nur die Landespolizeien zuständig. Schäuble will, dass das BKA künftig selbst präventive Rasterfahndungen durchführen kann.

Schwieriger gestaltet sich die gesetzliche Regelung von Onlinedurchsuchungen auf Computern. Der Bundesgerichtshof hatte diese im Februar bis auf Weiteres verboten, weil eine gesetzliche Ermächtigung fehlt. Diese Rechtsgrundlage will die Koalition nun schaffen. Es ist streitig, ob das BKA präventiv Computer ausspähen können soll. Ob sich die Polizei auch zur Strafverfolgung auf fremde Computer einklinken darf, wird ebenfalls diskutiert. Probleme bereitet zum einen die technische Umsetzung. Des Weiteren ist umstritten, ob eine Änderung des Grundgesetzes nötig ist. Hier überlegt Schäuble, Artikel 13 zu ändern, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert. Die Onlinedurchsuchung, so das Argument, ähnele dem „großen Lauschangriff”, also dem Abhören des in der Wohnung gesprochenen Worts mittels Wanzen und Richtmikrofonen.

Der „große Lauschangriff” ist derzeit zur Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr zulässig. Neben den Landespolizeien soll künftig auch das BKA Wanzen installieren dürfen. Auch in der Durchführung soll sich einiges ändern. In einem Urteil von 2004 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der „Kernbereich privater Lebensgestaltung”, also etwa das in der eigenen Wohnung geführte Gespräch mit der Familie, vor dem Mithören geschützt ist. Rot-Grün hat das Urteil 2005 so umgesetzt, dass die Überwachung unterbrochen werden muss, sobald über private Dinge gesprochen wird.

Die Polizei hält das für unpraktikabel. 2005 gab es deshalb nur noch sechs Lauschangriffe. Die Union will, dass die Überwachung auch dann weiterläuft, wenn über Privates gesprochen wird. Später soll ein Richter das Band abhören und entscheiden, welche Passagen für die Polizei relevant sind. Justizministerin Zypries hat dies bisher abgelehnt. Der entscheidende Grundrechtseingriff liege bereits im Aufnehmen des Gesprächs und nicht erst beim nachträglichen Abhören.

Leitlinien angekündigt

Auch Schäubles Vorstoß, die Daten der Lastwagenmaut auch für die Terrorfahndung heranzuziehen, sorgt für Streit. Obwohl der Bundestag bei der Verabschiedung des Mautgesetzes dies ausdrücklich untersagt hat, will Schäuble die Daten, die Aufschluss über Fahrtrouten geben, zur Aufklärung schwerer Straftaten und zur Gefahrenabwehr nutzen. Diese Forderung ist nicht neu. Seit 2005 ein LKW-Fahrer einen Parkplatzwächter überrollte, fordern Politiker, die Daten auch für Fahndungszwecke zu nutzen. Justizministerin Zypries sieht darin wenig Sinn. „Wenn ein mit Sprengstoff beladener LKW in Deutschland zu einem Anschlag unterwegs ist, sollte man die Polizei losschicken und nicht in Mautdaten wühlen”, sagt sie.

Schließlich soll auch die Kronzeugenregelung, bei der es für die Mithilfe bei der Aufklärung einer Tat „Strafrabatt” gibt, wieder belebt werden. Sie war für Terroristen 1989 eingeführt und 1994 auf die organisierte Kriminalität erweitert worden. 1999 lief die befristete Regelung aus. Seitdem plant die Regierung eine dauerhafte Regelung für alle Deliktsbereiche. Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD sieht dies ausdrücklich vor. Kritiker sagen, dass die Kronzeugenregelung im Milieu islamistischer Terroristen nutzlos sei. Eine entsprechende Kronzeugenregelung wurde vom Kabinett am 16. Mai 2007 verabschiedet.

Eine lange Liste also, auch wenn der Innenminister sich dagegen wehrt, von einem „Schäuble-Katalog” zu sprechen. Dabei treiben ihn längst neue Pläne um. Für den Herbst plant er, „Leitlinien zur inneren Sicherheit” vorzustellen. Damit will Schäuble das Weißbuch der Bundeswehr ergänzen, das Grundlagendokument zur deutschen Sicherheitspolitik, das im vergangenen Herbst veröffentlicht wurde. Auch wenn noch unklar ist, wie genau der Inhalt dieses Papiers aussehen wird, erregen erste Ankündigungen schon mal die Gemüter: Er wolle die „völlig überkommene Trennung von innerer und äußerer Sicherheit” aufheben, sagte Schäuble gegenüber der Presse und plädierte damit erneut für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren.

Für Aufregung und grundsätzliche Kontroversen in der Debatte um die innere Sicherheit ist also weiter gesorgt. Fortsetzung folgt.

Text: Peter Müller
Erschienen am 30. Juni 2008


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