In einer Regierungserklärung vor dem Bayerischen Landtag am 31. März hat Ministerpräsident Edmund Stoiber eindringlich dazu aufgerufen, die großen Chancen der Föderalismusreform nach dem in Berlin vorliegenden Kompromissvorschlag zu nutzen und mehr Dynamik für Deutschland zu schaffen. Den Kritikern speziell auf Bundesebene, die den Verlust einzelner Kompetenzen beklagten oder in einem dissonanten Chor die Reform mit dem Schlagwort von der Kleinstaaterei attackierten, warf er vor, den Föderalismus insgesamt in Frage zu stellen: Sie wollten Zentralismus und Gleichmacherei auf Durchschnittsniveau in allem und für alle. Zentralismus wäre nach Stoibers Überzeugung das sichere Rezept für einen weiteren Abstieg Deutschlands im internationalen Wettbewerb. In einer lebhaften Aussprache wagte die Opposition den Spagat zwischen einer grundsätzlichen Befürwortung der Reform und der Forderung, sie im Detail noch zu beraten und teilweise zu verändern.
Nachdrücklich bekannte sich Stoiber als Mitinitiator der Reform zur föderalen Solidarität. Allein im vergangenen Jahr habe Bayern 2,2 Milliarden Euro in den Finanzausgleich einbezahlt und damit ein Drittel des gesamten Ausgleichs zwischen den Ländern finanziert. Bayern habe seine Leistungsstärke und die Kraft zur Solidarität vor allem gewonnen, weil es mit eigenen Kompetenzen auch eigene Wege habe gehen können. Deshalb müsse in der Föderalismusreform der Grundsatz gelten: nicht weitere Nivellierung, sondern mehr Freiheit zur Entfaltung der Kräfte eines jeden Landes. Das nutze durch den Finanzausgleich allen.
Der Regierungschef beklagte, dass eben dieser Freiraum der Länder in den vergangenen 45 Jahren durch erweiterte Bundeskompetenzen und Mischfinanzierungen immer mehr geschrumpft sei. Unklare Zuständigkeiten hätten Gesetzgebung, Verwaltung und Finanzen zum Bermudadreieck politischer Verantwortung gemacht. Die vorgesehene tief greifende Entflechtung von Kompetenzen zwischen Bund und Ländern mache den Bund durch weniger zustimmungsfähige Gesetze (nur noch 35 bis 40 statt bisher 60 Prozent) entscheidungsfähiger. Stoiber betonte, dass die Landesregierungen dabei freiwillig auf sehr viel Macht verzichten würden. Zur Machtbalance müssten andererseits nennenswerte Kompetenzen vom Bund in die Landesparlamente verlagert werden, die damit mehr Gestaltungsfreiheit bekämen.
Den vorliegenden, außerordentlich schwer errungenen Gesamtkompromiss zur Föderalismusreform nannte der Ministerpräsident ausgewogen und gerecht, weshalb 15 Ministerpräsidenten in großer Geschlossenheit dahinter stünden und keine Änderungen wollten. Deutschland werde effizienter. Der Bundestag gewinne neue Kompetenzen und Unabhängigkeiten von den Ländern, gleichzeitig gewönnen alle Landtage im Gegenzug neue, eigenständige Kompetenzen.
Stoiber erinnerte daran, dass in der Föderalismuskommission alle 16 Länder und repräsentativ ausgewählte Vertreter des Bundestags über 15 Monate hinweg intensiv diskutiert hätten. Unzählige Reformmöglichkeiten seien ausführlich erörtert und abgewogen worden. Jeder Interessierte könne den dokumentierten Diskussionsprozess auf mehr als 1.000 Seiten nachlesen.
Klar bekannte sich Stoiber zu der durch die Reform möglich werdenden Vielfalt und zum Wettbewerb bei Verwaltungsleistungen, der inneren Sicherheit sowie den Leistungen von Schulen und Hochschulen. Für Bayern kündigte er unter anderem an, im Hochschulbereich eigene Konzepte zu verwirklichen und den Universitäten noch mehr Freiheit zur Profilierung zu geben. Der Freistaat wolle Spitzenleistungen fördern und mehr Wettbewerb zwischen und innerhalb der Hochschulen ermöglichen, damit alle noch besser werden.
Im Zuge eines neuen Dienstrechts für die 300.000 Beschäftigten des Freistaats sollen individuelle Leistung und nicht nur Dienstjahre belohnt werden. Ziel sei es, durchgängig und für alle Laufbahnen leistungsbezogene Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen. Der Ministerpräsident versprach, bei der Dienstrechtsreform das intensive Gespräch mit den Vertretern des öffentlichen Diensts zu suchen und sich mit den Konzepten des Beamtenbundes konstruktiv auseinanderzusetzen. Eigene Regelungen will Stoiber außerdem bei der Wohnraumförderung sowie bei Behördenorganisation und Verwaltungsverfahren durchsetzen. Er zeigte sich davon überzeugt, dass Staatsregierung und Bayerischer Landtag mit den neu gewonnenen Kompetenzen verantwortungsbewusst umgingen.
SPD-Fraktionschef Franz Maget sah einerseits eine große Chance, den Föderalismus über die Reform neu zu beleben. Andererseits hielt er es für wirklichkeitsfremd und demokratischen Gepflogenheiten widersprechend, diese Mutter der Reformen mit rund 40 Verfassungsänderungen nicht dem abschließenden Meinungs- und Willensbildungsprozess in den Parlamenten zu unterziehen. Der eingebrachte Kompromiss sei eben nur das Ergebnis einer Kommission. Dem Oppositionspolitiker zu Folge komme der Vorwurf der drohenden Kleinstaaterei oft vom kleinen Mann auf der Straße, der sich vermehrt bundeseinheitliche Regelungen wünsche. Föderalismus funktioniere nur bei einer Kooperation zwischen den Ländern und einem Mindestmaß an Harmonisierung. Zu den noch offenen Fragen zählte Maget unter anderem den Strafvollzug: Würde das die Reform zu Fall bringen, wenn wir nichts änderten?
Vor einer Rechtszerklüftung und einem Dumpingwettlauf in Deutschland infolge unterschiedlicher Standards warnte der Grünen-Abgeordnete Martin Runge, der beispielsweise Notariats- und Heimrecht, Besoldungs- und Laufbahnrecht wie auch das Versammlungsrecht weiter beim Bund sehen möchte. Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause wie auch Maget forderten Stoiber auf, das förderale Prinzip, bei dem es um Selbstverwaltung und Subsidiarität gehe, innerhalb des Freistaats zu verwirklichen. Wo es um Stoibers eigene Macht gehe, sei der doch der größte Zentralist, meinte Bause.