Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit verbundenen Ende der bipolaren Welt versucht die EU sich als ernst zu nehmender und verlässlicher Partner der Weltpolitik zu etablieren. Um diese Rolle als Global Player aber auch wirklich wahrnehmen zu können, müsste die Gemeinschaft gesamteuropäische Interessen artikulieren und über ein eigenständiges militärisches Potential verfügen können. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) kommt jedoch viel schleppender als erhofft voran. Die Ursachen hierfür liegen weniger an dem oft ins Feld geführten Hindernis der Neutralität einiger EU-Staaten, als vielmehr an der unterschiedlichen politischen Ausrichtung der Mitgliedstaaten. Dies zeigte sich beim letzten Irak-Krieg nur allzu deutlich. Hinzu kommt das von Großbritannien durchgesetzte Primat der Erweiterung der Union vor einer integrationspolitischen Vertiefung. Durch das Scheitern der EU-Verfassung bei den Volksabstimmungen im Mai 2005 in den Niederlanden und Frankreich ist das Amt des EU-Außenministers vorerst vom Tisch.
In der weltweiten Wahrnehmung ändert sich nur langsam etwas an der Feststellung von der EU als wirtschaftlichem Riesen und politischem Zwerg. Mit 25 und bald 27 Mitgliedstaaten, 462 Millionen Einwohnern und rund einem Viertel des Welt-Brutto-Inlandprodukts sollte und möchte die Union auch in der Lage sein, Verantwortung für die weltweite Sicherheit zu übernehmen. Zur Rolle eines globalen Akteurs hat sie sich auch in ihrer 2003 verabschiedeten "Europäischen Sicherheitsstrategie" bekannt. Doch viel weiter gekommen ist man in Brüssel seither nicht.
Auf diplomatischer Ebene ist die EU dank ihres außenpolitischen Beauftragten Javier Solana durchaus in der Welt präsent. Aber anzubieten hat er wenig. Denn bei dem auf dem Gipfel in Helsinki beschlossenen Aufbau einer gemeinsamen europäischen schnellen Eingreiftruppe tritt die Gemeinschaft auf der Stelle. Angesichts der etwa zwei Millionen Soldaten über die die 25 Mitgliedstaaten verfügen, hätte es eigentlich möglich seien sollen, das Ziel, bis 2005 aus nationalen Kontingenten eine Interventionstruppe von 50.000 bis 60.000 Soldaten zusammenzustellen, zu erreichen. Doch weder sind die politischen Rechtsgrundlagen und die Führungsstruktur für schnelles, eigenständiges Handeln eindeutig definiert, noch ist eine den militärischen Anforderungen für derartige Krisenoperationen entsprechende Ausrüstung vorhanden.
Völlig unverständlich ist trotzdem, wie unbeholfen sich die EU selbst gegenüber den Ersuchen der Regierungen von Spanien, Italien und Malta zeigt, sie bei der Abwehr der illegalen Immigranten auf dem Seeweg zu unterstützen. Längst registrieren die Medien dies Problem nur noch, wenn die Zahl der umgekommenen Flüchtlinge mindestens im zweistelligen Bereich an einem Tag liegt. Erst unter diesem Druck entwickelte die EU-Kommission das Konzept, eine speziell für solche Aufgaben einsetzbare Truppe mit 250-300 Angehörigen der nationalen Grenzschutzkorps auszubilden.
Diese soll auf Anforderung von jedem Schengen-Mitgliedsland über die EU-Grenzschutz-Agentur Frontex angefordert werden können und spätestens nach zehn Tagen einsatzbereit sein. Voraussetzung für einen Erfolg aber ist, dass die EU mit den Herkunfts- und Transitländern Abkommen und Vereinbarungen erreicht, damit ihre Patrouillenboote die Schiffe in ihre vermutlichen Abfahrtshäfen zurück begleiten können. Bisher können die unter EU-Flagge operierenden Schiffe allenfalls Flüchtlinge retten.
Zur regelrechten Zerreißprobe gestalteten sich die Beratungen über eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Libanon-Krieg. Nicht einmal auf die vom finnischen Ratsvorsitz vorgeschlagene Forderung nach einem Waffenstillstand konnten sich die 25 Außenminister anfangs einigen. Berlin, London, Prag und Warschau mochten nur einem Appell zur Einstellung der Kampfhandlungen zustimmen, ohne allerdings den Unterschied zu erklären. Zwar unterstützt die Union den Einsatz einer internationalen Schutztruppe mit UN-Mandat. Sie selbst wird aber allenfalls koordinierend beim Einsatz der nationalen Kontingente aktiv werden.
Jede konkrete Krisensituation beweist somit aufs Neue, wie schwer sich die Partner schon mit der Erarbeitung gemeinsamer politischer Standpunkte tun. Wie viel schwerer ist es da, sich auf gemeinsame Aktionen und Strategien zu einigen, die langfristig doch nichts anderes bewirken sollen, als durch Verhütung von Konflikten und Beilegung von Krisen die Prosperität und Stabilität in Europa selbst zu sichern. Zur Verwirklichung dieses Ziels gehört aber auch der Wille, die notwenigen militärischen Fähigkeiten zu schaffen. Doch die Modernisierung der Streitkräfte und ihre Ausrichtung auf Auslandseinsätze kommt in den meisten Mitgliedstaaten nur sehr schleppend voran. Als derzeitige Ersatzlösung - leider mit dem Potenzial versehen, eine Dauereinrichtung zu werden - wurde das so genannte "Battle Groups-Konzept" beschlossen, dass vorerst nur eine schnell verfügbare Einheit von 1.500 Soldaten auch für Kampfeinsätze vorsieht. Mit ihr ließen sich beispielsweise EU-Bürger aus gefährdeten Regionen evakuieren. Auch wer die EU von ihrem Selbstverständnis her als Friedensmacht sieht, wird sich bei der Weiterentwicklung der Außen- und Sicherheitspolitik damit beschäftigen müssen, wie die Union mit der Frage nuklearer Kernwaffen umgehen soll. Wie Nordkorea und der Iran zeigen, ist die von den bisherigen Atomwaffenmächten verfolgte Nichtverbreitungsstrategie gescheitert. In naher Zukunft werden wohl neun Staaten über Atomwaffen verfügen können. Tendenz steigend. Noch größer ist mit rund 30 Staaten die Zahl derer, die über andere Massenvernichtungswaffen verfügen. Zunehmend wird deshalb unter den Militärs hinter vorgehaltener Hand die Möglichkeit von Mini-Nuklearkriegen erörtert. Sie sollen das Ziel haben, bei begrenzter Schadenswirkung sehr schnell Entscheidungen herbeizuführen. Wie weit diese Debatte auf der nationalen Ebene einzelner Staaten bereits fortgeschritten ist, zeigt, dass selbst aus dem österreichischen Verteidigungsministerium vehement die Forderung erhoben wird, "Strategien gegenüber neuen Nuklearmächten oder Staaten, die andere Massenvernichtungswaffen einsetzen können", zu entwickeln. Offen ist auch weiterhin die Frage, ob und wie die nationalen Nuklearwaffen von Frankreich und Großbritannien in die Gemeinsame Verteidigungspolitik eingebracht werden sollen.
Auch wenn diese Fragen wohl erst am Ende der Ausgestaltung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beantwortet werden können, ist jetzt mit dem verkündeten Ende der Denkpause über die Zukunft der Europäischen Verfassung der Zeitpunkt gekommen, sich verstärkt Gedanken über die Finalität dieses Politikbereiches zu machen. In der Verfassung waren mit der Einsetzung eines Europäischen Außenministers wichtige Weichen für eine außenpolitische Stärkung der Gemeinschaft gestellt worden. Da die Bundesregierung die Verfassung zu einem Schwerpunktthema ihrer EU-Präsidentschaft erklärt hat, sollte am Anfang des Überlegungsprozesses eine Definition der gemeinsamen EU-Politik stehen. Da diese weder die Summe der nationalen Interessen sein kann und noch weniger die des kleinsten gemeinsamen Nenners sein darf, muss Klarheit über diese übergeordnete Ebene geschaffen und den Bürgern vermittelt werden. Eine Definition, die im Einzelfall zum Wohle Europas durchaus nationalen Wünschen oder Traditionen entgegenstehen kann.