Ab diesem Wintersemester sollen auch hessische Studenten Studiengebühren zahlen. Nettoeinnahmen von rund 135 Millionen Euro erhofft sich die hessische Landesregierung von der geplanten Abgabe, die laut Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU) die Qualität von Studium und Lehre verbessern und den Wettbewerb in der Hochschullandschaft weiter ankurbeln soll. Doch nicht nur SPD und Grüne halten den Gesetzentwurf, der am 14. September in die zweite Lesung gehen soll, für nicht sozialverträglich und verfassungskonform. Auch eine neunstündige Expertenanhörung ergab in der vergangenen Woche weitreichenden Veränderungsbedarf.
"Das Studiengebührengesetz für Hessen ist vollständig durchgefallen", interpretieren die Hochschulexperten von SPD und Grünen, Michael Siebel und Sarah Sorge, die Stellungnahmen der Fachleute. 500 Euro soll künftig jeder Studierende während der Regelstudienzeit einkommensunabhängig pro Semester zahlen. Danach sollen Langzeitstudiengebühren von bis zu 900 Euro pro Semester anfallen. Bis zu 1.500 Euro können die Hochschulen nach dem jetzigen Entwurf von Studierenden, die nicht aus EU-Staaten kommen, und für gestufte Masterstudiengänge verlangen. Wer nicht in der Lage ist, die Gebühren direkt zu zahlen, soll ein Darlehen aufnehmen können, das zu 7,5 Prozent pro Jahr verzinst wird. Dies gilt nicht für Studierende, die das 35. Lebensjahr vollendet haben. Spätestens zwei Jahre nach Studienende muss mit der Rückzahlung begonnen werden - bei einem Einkommen von 1.060 Euro, rechnet der Hamburger Rechtswissenschaftler Arndt Schmehl vor, müsste ein lediger Darlehensnehmer mindestens 50 Euro im Monat zurückzahlen.
Während die Gebühren für das Erststudium in den Etat der einzelnen Universitäten fließen sollen, will das Land wie bisher die Langzeitstudiengebühren selbst einnehmen. Zudem sollen die Hochschulen zehn Prozent der eingenommenen Studiengebühren in einen Studienfonds einzahlen, der Rück-zahlungsausfälle ausgleichen soll. Studierende mit Kindern sollen von den Studiengebühren befreit werden. Die Hochschulen können außerdem fünf Prozent der Studierenden, deren Leistungen überdurchschnittlich sind sowie Behinderte und Menschen, die einen nahen Angehörigen pflegen, von der Abgabe befreien.
Nach Überzeugung zahlreicher Experten - auch derjenigen, die Studiengebühren nicht prinzipiell ablehnen - weist der Gesetzentwurf nicht nur Mängel auf, sondern widerspricht zudem der Hessischen Verfassung, die in Artikel 59 die Unentgeltlichkeit des Unterrichts "an allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen" festschreibt. Sie gestattet lediglich ein angemessenes Schulgeld, wenn es die wirtschaftliche Lage der Familie erlaubt. Dies gilt nach Auffassung von Joachim Wieland, Professor für öffentliches Recht in Frankfurt, prinzipiell und unabhängig davon, ob die Gebühren sofort bezahlt oder zurückgezahlt werden. Aus diesem Grunde beseitige auch der Weg über ein Darlehen den Widerspruch zum Wortlaut des in der Landesverfassung verankerten Grundrechts nicht. Dieses Grundrecht, so Wieland, solle die Freistellung von Kosten des Hochschulstudium gewährleisten, nicht aber ihre Finanzierbarkeit. "Wer in Hessen allgemeine Studiengebühren einführen will, muss zuvor die Verfassung ändern", betont der Wissenschaftler.
So weit geht Christian Pestalozza zwar nicht. Aber auch der von der Landesregierung beauftragte Berliner Experte meldet rechtliche Bedenken an. Die Studiengebühren könnten von nicht Leistungsfähigen entweder nur später erhoben werden, "wenn die wirtschaftliche Kraft es gestattet", oder aber über ein "nebenkostenfreies" - das heißt unverzinstes - Darlehen. Darüber hinaus sollten die Langzeitstudiengebühren nicht gestaffelt werden und den Hochschulen selbst zukommen. Den geplanten Studienfonds hält Pestalozza ebenfalls für rechtlich bedenklich, weil nach seiner Auffassung unklar bleibt, aus welchen Hochschulmitteln er finanziert werden soll. Mit dieser rechtlichen Wertung, erklärt der Grünen-Abgeordnete Sorge, falle der Landesregierung ihr eigener Kronzeuge in den Rücken.
Neben den verfassungsrechtlichen Problemen ging es in der Anhörung auch um die Sozialverträglichkeit des Gesetzes. Studiengebühren in der geplanten Form benachteiligten nicht nur Ausländer, sondern auch sozial Schwache, kinderreiche Familien und Frauen, so die Fachleute. Sie seien zwar nicht "per se unmoralisch oder pauschal abzulehnen", erklärt Bernhard Nagel vom wissenschaftlichen Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung in Kassel, hätten jedoch abschreckende Wirkung. "In Wirklichkeit treffen Studiengebühren die Armen und die Mittelschichten", sagt Nagel. Dies habe auch Folgen für die duale Berufsausbildung, in die zunehmend überqualifizierte Bewerber zu drängen drohen, die sich ein Studium nicht mehr leisten könnten.
Ungeachtet der Kritik will die CDU-Landeregierung den Gesetzentwurf zunächst ungeändert in die zweite Lesung bringen. Die Hochschulexpertin der Union, Eva Kühne-Hörmann, sieht die Linie der Landesregierung durch die Anhörung "mehrheitlich bestätigt", kündigt jedoch Änderungen im Entwurf bis zur dritten Lesung im Oktober an. Während die Liberalen für einen eigenen Gesetzentwurf streiten, der unter anderem zusätzliche Befreiungsmöglichkeiten und Ausnahmen zulassen, die Rückzahlungen auf 15.000 Euro beschränken und die Gebühreneinnahmen vollständig den Hochschulen zukommen lassen soll, wollen SPD und Grüne vor dem Staatsgerichtshof klagen, "sollte das Gesetz so oder ähnlich verabschiedet werden".