Detailversessen ziehen sich im Untersuchungsausschuss die Beratungen stundenlang hin. Ein Ex-Botschafter in Mazedonien und ein Personalchef des Auswärtigen Amts sollen eine Frage erhellen, die im Fall des fälschlicherweise unter Terrorverdacht geratenen und Anfang 2004 durch die CIA von dem Balkanstaat aus nach Afghanistan verschleppten Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri von Bedeutung ist: Was ist dran an den Angaben des seinerzeit in Mazedonien tätigen Telekom-Managers Wolf-Dietrich Mengel, er habe schon im Januar 2004 die diplomatische Vertretung in Skopje telefonisch über die Festnahme eines Deutschen ohne Wissen um dessen Namen El-Masri informiert und sei mit dem Hinweis abgewimmelt worden, die Verhaftung sei bereits bekannt? Nun, zweifelsfrei Klarheit schaffen diese Zeugen nicht. Doch plötzlich treten deren Aussagen in den Hintergrund: Die Sitzung endet vorzeitig, weil das Gremium mehrere zur Vernehmung geladene hohe Beamte des Innenministeriums und des Kanzleramts wegen eines Streits um deren Geheimhaltungspflicht nach Hause schickt.
Ob Eklat oder Unterbrechung dieser Zeugenbefragung, wie es seitens der Abgeordneten formell heißt: Der seit längerem schwelende Konflikt zwischen Ausschuss und Regierung wegen der Geheimhaltung von Akten und der restriktiven Aussagegenehmigungen für Beamte und Geheimdienstler eskaliert. Mit Spannung war etwa dieses Mal erwartet worden, was Mitarbeiter von Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) über dessen Gespräch mit US-Botschafter Daniel Coats Ende Mai 2004 erzählen würden: Laut offizieller Darstellung hatte bei diesem Treffen erstmals ein Regierungsmitglied vom Kidnapping El-Masris erfahren, wobei Schily wegen des Wunsches von Coats nach Vertraulichkeit dieses Wissen für sich behielt. Diese Begegnung bleibt nun vorerst weiter mysteriös. Das Parlamentsgremium geht in der ersten Phase seiner Recherchen der Frage nach, wie frühzeitig deutsche Stellen über die Verschleppung El-Masris unterrichtet und ob sie in diese rechtswidrige Aktion involviert waren.
Der FDP-Abgeordnete Max Stadler und Wolfgang Nescovic von der Linkspartei starten nach dem demonstrativen Abbruch der Zeugenvernehmungen Attacken auf die Regierung. Die werde jetzt "gezwungen, ihre restriktive Informationspolitik zu überdenken", so der Liberale: "Wir wollen so viel Öffentlichkeit wie möglich." Nescovic kritisiert, "dass mit der Geheimhaltung Schindluder getrieben wird". Es sei ein Erfolg der Opposition, dass die Regierung unter Druck gesetzt werde. Dies unterstützt auch der Grüne Hans-Christian Ströbele, der aber gleichwohl anders als die Mehrheit gegen die Vertagung der Zeugenbefragung stimmt: Dies sei ein "verlorener Nachmittag", man hätte die Zeugen unabhängig vom Gespräch zwischen Schily und Coats zu anderen Themen hören können. "Schade um diesen Tag", meint auch SPD-Obmann Thomas Oppermann: Nescovic hätte seinen Antrag auf eine Lockerung der Geheimhaltungspflicht doch schon vor zwei Wochen stellen können. Die Wogen zu glätten versucht CDU-Obmann Hermann Gröhe: Von einem Erfolg der Opposition könne man nicht sprechen, Innenminister Wolfgang Schäuble habe ohnehin Entgegenkommen signalisiert. Die Vertagung ermögliche eine "sinnvolle zusammenhängende Zeugenvernehmung".
Zur Machtprobe zwischen Ausschuss und Regierung gehört ein Vorspiel. In einem Schreiben an Schäuble hatte Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), kritisiert, die aufwendige Bearbeitung der umfangreichen Aktenanforderung durch den Ausschuss beeinträchtige die Kapazitäten des BKA bei der Terrorbekämpfung. Jüngst hatte Kanzleramtsminis-ter Thomas de Maizière diesen Brief an das Parlamentsgremium weitergeleitet und dabei die Position Zierckes unterstützt. Beide Seiten lassen die Muskeln spielen.
Die durch den Zoff um die Geheimhaltung überlagerte Sachaufklärung des Falls El-Masri gestaltet sich weiterhin schwierig, wie die Beratungen am 7. September zeigten. Für den von 1999 bis 2002 in Skopje amtierenden Botschafter Werner Burkart ist der damalige Telekom-Sicherheitsbeauftragte Mengel, mit dem er seither freundschaftliche Beziehungen unterhalte, als "vernünftig und glaubwürdig" einzuschätzen. Im Frühjahr 2006 hatte Mengel dem Diplomaten vom Telefonat mit der Botschaft zu Beginn 2004 berichtet. Die daraufhin vom Außenministerium eingeleiteten Untersuchungen hätten jedoch zu keinem Ergebnis geführt, so Friedo Sielemann. Der Vizechef des Referats für Personalangelegenheiten im Auswärtigen Amt sagt, er habe keine Hinweise auf einen Anruf Mengels ermitteln können. Es sei auch nicht vorstellbar, dass die Botschaft eine Information über die Verhaftung eines Deutschen abwimmele, in einem solchen Fall hätte man sicher reagiert. Bei ihm seien Zweifel an der Darstellung Mengels aufgetaucht, meint Sielemann. Allerdings habe er auch keine Anhaltspunkte, dass der Telekom-Manager sein Gespräch erfunden haben könnte. Diese Variante erwähnt etwa SPD-Obmann Oppermann.
Die Oppositionsabgeordneten wollen sich mit den Auskünften des Außenministeriums nicht zufrieden geben, dessen Nachforschungen seien unzulänglich. So sei nicht auszuschließen, dass Mengel bei seinem Telefonat mit dem BND-Residenten in Skopje verbunden worden sei, und der sei nicht befragt worden. Sielemann habe auch nicht sämtliche Botschaftsmitarbeiter gehört.
Der Fall El-Masri ist Teil der internationalen Affäre um illegale CIA-Lufttransporte von gekidnappten Terrorverdächtigen zu Geheimgefängnissen des US-Geheimdienstes in mehreren Ländern. Schwung in die mühselige Aufklärung dieser Machenschaften bringt nun ausgerechnet George W. Bush. Zufällig, aber pünktlich zur Sitzung des Berliner Ausschusses, hat der US-Präsident eingeräumt, dass diese bislang nur aufgrund von Indizienketten zu vermutenden Geheimknäste tatsächlich existieren.
Europarat und EU-Parlament fordern nun von Bush und den Regierungen der betreffenden Länder, auch die Standorte dieser Einrichtungen zu benennen. Bushs Eingeständnis sei "nur ein Teil der Wahrheit", betont Dick Marty (Schweiz), Sonderermittler des in Straßburg ansässigen Europarats: "Die USA müssen noch viel mehr aufdecken." René van der Linden (Holland), Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, sieht durch Bushs Offenbarung die Erkenntnisse Martys über die "schmutzige Natur dieses geheimen Kriegs" bestätigt. In einem Bericht hatte der Schweizer Ex-Staatsanwalt 14 europäischen Staaten und dabei auch der Bundesrepublik vorgehalten, die rechtswidrigen CIA-Praktiken geduldet oder gar unterstützt zu haben.
Mitglieder der Untersuchungskommission im EU-Parlament verlangen vor allem von Rumänien und Polen Klarheit über geheime CIA-Lager auf ihren Territorien. Einen solchen Verdacht äußern seit langem Europarat und EU-Volksvertretung. Marty und EU-Parlamentarier sollen auch im Berliner Ausschuss auftreten. Deren Anhörung verspricht Spannung. Einer Geheimhaltungspflicht unterliegen diese Politiker jedenfalls nicht.