Der Herr wird's schon richten, sagte Großmutter immer -
in Anlehnung an Hiobs gläubiges "Der Herr hat's gegeben, der
Herr hat's genommen, gelobet sei der Herr immerdar". Der Herr
hieß diesmal Kyrill (griech. cyrillos "der Herr", bzw. der
"Herrliche") und war Namenspatron des Sturms, der am 18. Januar
über Europa hinwegfegte. Seit der meteorologischen
Gleichstellung 1998 tragen nämlich Sturmtiefs in ungraden
Jahren männliche Namen. Vorher hatten alle Tiefs Frauennamen,
während die Schönwetter-Hochs Detlef, Dieter oder Rudi
hießen.
Kyrill, Namensvetter eines slawischen Heiligen und weiterer
orthodoxer Kirchenoberen kam mit einer Durchnittsgeschwindigkeit
von über 100 km/h und Spitzen von mehr als 180 km/h aus dem
Westen, kostete 39 Menschen das Leben und richtete dennoch weniger
Schaden an, als befürchtet. Aber Kyrill deckte auch einen
Sachverhalt auf, der den Glauben an deutsche Gründlichkeit
behördlicher Kontrolle und Sicherheit im Bauwesen bundesweit
nachhaltig erschütterte.
Denn obwohl sogar die Errichtung einer größeren
Hundehütte auf eigenem Grund der Aufmerksamkeit des
örtlichen Bauamts unterliegt, konnte dem neuen Berliner
Hauptbahnhof, dem Vorzeigestück der Deutschen Bahn für
Europa, der eine Milliarde Euro teuren "Kathedrale des Reisens"
eine Deko-Zacke aus der Krone fallen. Ein
Zwei-Tonnen-Stahlträger. Ein "horizontales Fassadenelement
ohne konstruktive Aufgaben", eines von vielen, lediglich an Zapfen
der vertikalen Säulen aufgehängt, wie die Bretter im
heimischen Billy-Regal. Und nur weil wegen des Sturms keiner v o r
dem Bahnhof stand, kam niemand zu Schaden. Jetzt wird repariert,
nach Ursachen und Schuldigen gesucht: denn die Bahn muss sicher
sein. Auch bei Abfahrt und Ankunft. Nach dem Sturm ist vor dem
Sturm, heißt es. Der Herr, der das richten muss, heißt
Hartmut Mehdorn.