Über die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft gibt es im Internet nur wenige Einträge. Wikipedia ist darunter, ein Text der Bundesbaudirektion zur Schlüsselübergabe nach der Sanierung im Jahr 1999, eine Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse aus dem Jahr 2001 zum 50-jährigen Jubiläum. Der Grund für die raren Treffer liegt im Wesen der 1.200 Mitglieder starken Parlamentarischen Gesellschaft: Der Präsident gibt kaum Interviews. Diskretion ist das höchste Gebot. "Alles, was hier gesagt wird, bleibt auch hier", sagt Heinz Riesenhuber. Er ist seit 2006 Präsident. Das Amt wird immer von der stärksten Fraktion besetzt.
Seit dem Regierungsumzug residiert der 1951 in Bonn gegründete Club mit 34 Angestellten direkt gegenüber dem Reichstagsgebäude im ehemaligen Reichstagspräsidentenpalais. "Schauen Sie", sagt Riesenhuber und deutet auf die changierenden, schweren Taftstores, den Bleikristalllüster und das Mozartgemälde des Raums "Schleswig-Holstein": "Die Parlamentarier begegnen sich hier auf gleicher Augenhöhe." Jeder Saal ist von einem anderen Bundesland ausgestattet. In den Sitzungswochen gehen Bundestagsabgeordnete und ehemalige MdBs dort zum Mittagessen, laden Firmen zu Empfängen ein. "Wir bemühen uns um die Pflege demokratischen Bewusstseins", sagt Heinz Riesenhuber. Im vergangenen Jahr kamen rund 38.000 Gäste.
Das Reichstagspräsidentenpalais, von dessen Urform vor allem die Kaisertreppe erhalten ist, wurde 1903 von Paul Wallot erbaut. In der Kaiserzeit konnten von dort die Reichstagspräsidenten durch einen unterirdischen Gang in den Reichstag gelangen. Erst in der Weimarer Zeit setzte sich die Idee durch, den Reichstag als demokratisches Forum politischer Debatten zu nutzen. Mit den Nazis herrschte schlagartig ein anderer Geist: Hermann Göring bezog das neoklassizistische Gebäude. Seine Schergen nutzten vermutlich den unterirdischen Gang, um den Reichstag 1933 anzuzünden. In der Ballade vom Reichstagsbrand schrieb Bertolt Brecht: "In dem Haus, wo die Verschwörung unbedingt hindurch gemusst, wohnte ein gewisser Göring, der von all dem nichts gewusst..."
Zu DDR-Zeiten war das Haus Sitz des Instituts für Marxismus-Leninismus, dann des Volkseigenen Betriebs Schallplatte. Später soll der Staatssicherheitsdienst von dort aus seine Abhörversuche über die Mauer gestartet haben. "Die deutsche Geschichte hat sich in diesen Ort eingeschrieben", sagt Riesenhuber und erzählt dann von den Koalitionsverhandlungen vor zwei Jahren. Das gleißende TV-Schweinwerferlicht erhellte Nacht für Nacht die Sandsteinfassade. Doch außer über an- und abfahrende Lieferanten konnten die Journalisten wenig berichten. Die Verschwiegenheit der Verhandlungspartner war Grundlage für den Einstieg in die Koalition: "Es ist ein großer Unterschied, ob man an der weiß gedeckten Tafel zusammen isst und Gemeinsamkeiten sucht, oder ob man hochgerüstet am kargen Verhandlungstisch Platz nimmt, mit dem Ziel, den anderen zu kippen", sagt der erfahrene Politiker. Für ihn waren es nicht die ersten Koalitionsverhandlungen. Von 1982 bis 1993 war er unter Bundeskanzler Helmut Kohl Bundesforschungsminister.
Mit seinem "Beruf", der Forschung, hat auch Riesenhubers Markenzeichen, seine Fliege etwas zu tun. Zu seiner Schulzeit war es auf dem Gymnasium üblich, eine Krawatte zu tragen. Eine hat er bei seinen Versuchen im Chemielabor über dem Bunsenbrenner angesengt, die andere in Säure verätzt. "Dann hat es mir gereicht, und ich habe mich auf die Schleifchen verlegt", erzählt er, wobei die Fliege in seinem bodenständigen Ortsverein im Frankfurter Westen manchmal auch auf Befremden stieß. Doch Riesenhuber hielt an seinem Look fest.
Auch den Begehrlichkeiten des Berliner Betriebs entzieht er sich regelmäßig. Jeden Abend geht er spazieren. Im Winter verbringt er eine Woche in einem Benediktinerkloster, betet dort in der Gemeinschaft der Mönche. Jeden Tag sieben Mal. "Ich brauche die Sammlung", sagt er. "Das Kloster ist der Ort des Schweigens. Die Parlamentarische Gesellschaft ist der Ort der Rede."