Joachim Fest ist tot. Das ist keine neue
Nachricht, aber für das Bürgertum noch immer bedauerlich.
Sein Ableben scheint das letzte Fanal für den
Ausklang einer mal einflussreichen Lebenswelt gewesen zu sein. Der
Versuch, dieses Milieu vor einem dreiviertel Jahr im "Neuen
Bürgertum" zu revitalisieren, ist grandios gescheitert.
Soziologen prophezeien ja schon lange die Auflösung von tradierten Werten und Normen. Konservativ ist out. Die Ereignisse der letzten Tage unterstreichen diese Entwicklung. Auf dem evangelischen Kirchentag in Köln gibt es viel Leipziger Allerlei, spirituelle Selbsterfahrung und selbstgerechte Beweihräucherung in Form von Globalisierungskritik als Massenspektakel. Bürger sind hier nicht zu finden - außer versteckt im Essen.
In Heiligendamm werfen die einen Steine, die anderen blockieren mit Sitzstreiks erfolgreich die Zufahrtstraßen zum Tagungsort der G8-Regierungschefs. Kein bürgerliches Verhalten weit und breit. Der deutschen Wirtschaft schadet es zudem, wenn unsere Logistikunternehmen ihrer Arbeit nicht nachgehen können.
Die dritte Gruppe, die illustren Gäste aus fast aller Herren Länder - Fehlanzeige, kein Bürgertum. Bush gilt als Cowboy, Sarkozy als Abbild Napoleons. Russland hat das Bürgertum in sieben Jahrzehnten Sowjetherrschaft erfolgreich erledigt. Angela Merkel ist so sehr Bürgerin, wie die meisten Deutschen ihre Doktorarbeit in Physik verstehen. Tony Blair mag einem Bürger am nächsten kommen. Er tritt bald ab. Quod erat demonstrandum - was zu beweisen war.
Und das Schöngeistige? Udo di Fabios Buch "Die Kultur der Freiheit", das Manifest des Neuen Bürgertums, wird jetzt von seinem Kollegen T. Walter demontiert. Im "Zeit Leben Magazin" wird von einer "bürgerlichen Revolution" im privaten Fernsehprogramm geschrieben. Na dann, Gute Nacht, Bürgertum!
N.-C. Bormann