KLIMAWANDEL
Die Reisebranche sucht nach neuer Orientierung. Keine leichte Aufgabe.
Buchungen sind zwecklos, die Flüge fallen aus: Die Malediven gibt es nicht mehr, bis auf einen Rest ist alles dem stetig steigenden Meer zum Opfer gefallen und untergegangen. Regen, Stürme und Überschwemmungen vertreiben Urlauber aus Thailand. Nur noch Geschichte ist der legendäre Feldberger Bürgermeister Stefan Wirbser, der als glühender Verfechter des Kunstschnees mit diesem von Umweltgruppen wütend bekämpften Trick in der Anfangszeit des 21. Jahrhunderts das Skifahren im Hochschwarzwald noch eine Weile am Laufen zu halten wusste: Jetzt ist es winters sogar zu warm für Schneekanonen, manche Hotels und Pensionen schließen. In zahlreichen Alpenregionen schrecken Matschwiesen und Schlammwege Skitouristen ab, viele Schneehänge sind verschwunden, die superteuren Gletscher- gebiete hoch oben kann sich nur noch der reiche Jetset leisten.
Auf Mallorca ist es die meiste Zeit des Jahres derart heiß, dass Deutsche und Schweden ihre geliebten Ferienfincas meiden und verkaufen wollen, Immobilienpreise stürzen in den Keller. An der deutschen und polnischen Ostseeküste machen Bürgerinitiativen gegen die Zubetonierung der Landschaft mit Hochhäusern, Hotels und Ferienclubs mobil: Hedge-Fonds investieren kräftig, weil wegen der unerträglichen Hitze am Mittelmeer Spanier, Italiener, Griechen oder auch gut verdienende Ägypter und Algerier zum Urlaub in den milderen Norden strömen und Profit versprechen.
Solche Szenarien entspringen keineswegs überbordenden Phantasien: In zehn, 15, 30, 50 Jahren könnten solche Visionen zusehends Realität werden. Steigende Temperaturen, Dürreperioden, Wassermangel, Überschwemmungen, Sturmkatastrophen, Pol- und Gletscherschmelze wie Meeresspiegelanstieg werden um den Tourismus keinen Bogen machen. "Der Klimawandel wird den Fremdenverkehr in zahlreichen Zielgebieten gefährden", konstatiert ein Bericht der UN-Welttourismusorganisation: "Man darf niemals vergessen, dass der Fremdenverkehr, insbesondere Badeorte und Wintersportzentren, hochgradig von günstigen Wetterbedingungen abhängen."
Noch weiß niemand genau, wie sich der Klimawandel in der Branche konkret niederschlagen wird. Dirk Dunkelberg warnt deshalb davor, "in Hysterie zu verfallen". Aber der Vize-Geschäftsführer des Deutschen Tourismusverbands betont, "dass es Änderungen geben wird". Stefan Ott, beim Bund für Umwelt und Naturschutz für Fremdenverkehr zuständig: "Es ist unklar, wie intensiv sich die Verwerfungen in welchen Zeiträumen und Intervallen auswirken werden." Der Temperaturanstieg finde nicht linear statt, "vielmehr werden die Witterungsbedingungen extremer".
Die Ungewissheiten haben noch einen anderen Grund: "Die Forschung im Bereich Klimawandel und Tourismus steht noch am Anfang", bilanziert Edgar Kreilkamp, Professor an der Universität Lüneburg. Nähere Erkenntnisse über Deutschland erhofft sich Dunkelberg vom Forschungsprojekt "Kuntikum", das unter der Ägide des Wissenschaftsministeriums am Beispiel des Hochschwarzwalds und der Nordsee die Konsequenzen des Klimawandels erstmals genauer untersuchen soll.
Gleichwohl skizzieren Analysen, Studien und Prognosen erste Puzzles. Einen Haupttrend beschreibt David Viner, Professor an der Universität im britischen Norwich, so: "Die Touristenströme werden sich umkehren, vom Süden in den Norden." Das hat mit dem Verschwinden des Schnees in mittleren Höhen sowie mit der tendenziell immer schlimmeren Hitze am Mittelmeer und noch weiter südlich zu tun. Stefan Ott sieht auch den Osten verstärkt ins Spiel kommen: Russen mit dem nötigen Kleingeld, "die heute oft in den Alpen Ski fahren, könnten künftig die schneereicheren und touristisch noch wenig erschlossenen Berge am Kaukasus und Ural bevorzugen". Für Mitteleuropäer dürfte dies ebenfalls eine Variante sein.
Als ausgemacht gilt unter Fachleuten der Rückgang des Winterurlaubs in den deutschen Skizonen - Schwarzwald, Harz, Thüringer Wald und Sauerland. Ott: "Die Abnahme der durchschnittlichen Zahl an Frosttagen ist schon jetzt bemerkbar." Bei einem Kongress in Wien teilte die französische Forscherin Carmen de Jong mit, dass in den Alpen bereits heute jährlich 24.000 Hektar Skipisten mit 95 Millionen Kubikmetern Wasser künstlich beschneit werden. Kosten: 3 Milliarden Euro. Diese Strategie stößt nicht nur finanziell an Grenzen: Laut de Jong drohen wegen des immensen Verbrauchs an Wasser, Flüsse und Seen zusehends auszutrocknen, in den französischen Alpen etwa führten betroffene Flüsse im Winter 75 Prozent weniger Wasser als vor Einführung der Schneekanonen.
Hierzulande könnten "die Küstenregionen zu den Gewinnern des Klimawandels gehören", meint Dunkelberg: "Bei 40 Grad am Mittelmeer will man seinen Urlaub vielleicht lieber bei 30 Grad an Nord- und Ostsee verbringen." Besonders die Frühjahrs- und Herbstsaison dürfte einen Aufschwung erleben. Viner sieht auch englische Seebäder vor einer Renaissance. Die europäischen Binnenseen werden den nördlichen Küsten wohl kaum Konkurrenz machen. Kreilkamp weist auf wahrscheinlich sinkende Wasserspiegel etwa wegen vermehrter Verdunstung hin. Schon heute hat der Bodensee über längere Phasen extrem wenig Wasser, auch weil Zuflüsse ausbleiben. Ott will indes den Optimismus an den Küsten etwas dämpfen: "Als Bewohner würde ich mir Sorgen machen, weil verstärkt Sturmfluten zu erwarten sind."
Im Moment herrscht aber eher Goldgräberstimmung. In Mecklenburg-Vorpommern wird tüchtig in neue Hotels investiert. Von Bernd Fischer, Chef des nordostdeutschen Tourismusverbands, wollten italienische Journalisten schon wissen, was man denn ihren Landsleuten an der Ostsee so offerieren könne.
International dürfte das Mittelmeer zu den Verlierern gehören. In Andalusien wirft die Wasserversorgung bereits große Probleme auf, wobei die vielen Golfplätze gigantische Mengen an Nass verschlucken. Kreilkamp lenkt den Blick auch auf Ost- und Südafrika: Dürren, Überschwemmungen und Bodenerosion werden Safaris häufig verhindern, heftige Regenfälle große Schäden anrichten. In Brasilien, so der Lüneburger Wissenschaftler, droht die Zerstörung von Regenwäldern wegen geringer Niederschläge und stärkerer Hitze.
Noch sind das Einzelbeispiele, noch fehlt ein wissenschaftlich fundiertes Gesamtszenario. Doch die Richtung ist klar. Der Fremdenverkehr kommt jedenfalls nicht darum herum, sich umzuorientieren. "Die Tourismusbranche hat sich noch wenig auf den Klimawandel eingestellt", konstatiert Kreilkamp. "Die Debatte läuft jetzt an", meint Dunkelberg. In den hiesigen Mittelgebirgen setze man bereits vermehrt auf Wellness, Wandern oder Radfahren als Alternative zum Wintersport. Für das zweite Halbjahr plant der Verband eine Fachtagung über den Klimawandel.
Auch zwecks Reduzierung der Flugreisen erhofft sich Stefan Ott mehr attraktive und preisgünstige Urlaubsofferten in Deutschland. Selbst von Öko-Gruppen einst befehdete große Ferienzentren könnten akzeptiert werden, wenn sie an umweltverträglichen Standorten errichtet und energetisch optimiert würden.
Kultursommer, Beachpartys, Sport, die Inszenierung fremder Länder in Freizeitparks wie dem "Europa-Park" am Oberrhein: Ulrich Reinhardt vom Hamburger BAT Freizeit-Forschungszentrum rechnet vor dem Hintergrund des Klimawandels dem Inlandtourismus gute Chancen aus. Er skizziert auch eine überraschende Perspektive: "Vor allem die junge Generation der Snowboarder und Skifahrer trifft sich auf den Indoor-Abfahrten und genießt zudem die verlängerten Pistenzeiten bis nach Mitternacht und das Après-Ski-Angebot rund um die Uhr." Das scheint jedoch eine wackelige Prognose zu sein: Nach einer Erhebung des Online-Reisebüros Travelchannel lehnen über vier Fünftel der Befragten künstliche Urlaubswelten ab.