KULTURTOURISMUS
Eventtrips statt elitärer Bildungsreisen
Lange Schlangen vor Museen, Gedränge in Galerien: Was bisher in Deutschland noch die Ausnahme ist, könnte schon bald zum Alltag gehören, prophezeit Jörn Brunotte. "Deutschland wird zum Land der Bereisten", sagt der Mann, der in Berlin eine Museumsberatung betreibt. "Wir werden uns noch danach sehnen, die Bilder der Nationalgalerie in Ruhe anschauen zu können."
Die Tourismusbranche indes reibt sich die Hände. Denn Kultur boomt - und lockt immer mehr ausländische Touristen nach Deutschland. Laut World Travel Monitor 2006 war Deutschland als Kulturdestination im vergangenen Jahr bei den Europäern sogar populärer als Italien, nur Frankreich war noch beliebter. Und die internationalen Potenziale sind riesig - Milliardenvölker wie die Chinesen oder Inder haben den Auslandstourismus gerade erst entdeckt.
Doch auch die reisefreudigen Deutschen selbst interessieren sich immer mehr für ihr Land: "Kultur- und Städtereisen gehören heute zum guten Ton", sagt Kai Geiger, Gründer der Kulturinitiative Art Cities in Europe. "Das ist wie ein Kurzkick vom täglichen Leben." Mit elitärem Hochkulturgenuss einiger weniger Besserverdienender hat das allerdings nichts mehr zu tun. "Die Sucht nach Entertainment ist gestiegen", sagt Geiger. Kultur allein reicht da nicht mehr aus. Das Umfeld muss stimmen; Gastronomie, Wellness und Shopping sind für die Besucher mindestens genauso wichtig.
Reiseveranstalter haben den Trend erkannt und mit maßgeschneiderten Angeboten reagiert. So bietet der Münchner Reiseveranstalter Studiosus seit einiger Zeit neben klassischen Studienreisen auch kulturelle Kurztrips weltweit an: "Eventreisen" mal zum Leipziger Bachfest, mal zum Opernfestival ins englische Glyndebourne. "Die werden uns geradezu aus den Händen gerissen", sagt Studiosus-Sprecher Klaus Dietsch. "Die Region hat ein Event, und wir organisieren die Reise."
Auch Art Cities-Gründer Geiger vermittelt seinen Kunden Eintrittskarten und Kulturreisen in ganz Europa. "Wir wollen nicht nur die Mega-Seller, sondern auch die alternativen Angebote", sagt er. Das geht immer besser, denn mittlerweile haben auch viele Kultureinrichtungen den Stellenwert der auswärtigen Besucher für die eigene Arbeit erkannt und arbeiten deshalb mit den Tourismusagenturen eng zusammen. Dabei waren es manchmal ganz profane Gründe, wenn selbst bei hochrangigen Veranstaltungen die Kulturreisenden ausblieben: So versäumten es manche Einrichtungen schlichtweg, ihr kulturelles Highlight rechtzeitig anzukündigen - deshalb schafften sie es nicht in die Kataloge der Reiseveranstalter.
Trotzdem ist der Kulturtourismus auch heute in vielen Regionen mitnichten ein Selbstläufer. "Kulturtourismus wird immer mit Kunstmuseum und Stadt verbunden", sagt Museums-Berater Brunotte. "Aber der viel größere Teil sind die Kulturangebote in der Provinz." Die zahllosen Museen in Deutschland sieht er als "Schatzhäuser, deren Schätze erst noch gehoben werden müssen". Denn selbst die schönste Sammlung nutzt wenig, wenn sie niemand kennt.
"Man muss den Besucher in den Mittelpunkt rücken", fordert Brunotte deshalb. Unter dem Label "culture to go" zeigt er, wie diese Publikumsnähe funktionieren könnte: zum Beispiel mit einem digitalen Informationssystems für Kultureinrichtungen, das Brunotte mit entwickelt hat. So ist seit dem vergangenem Jahr der Halberstädter Domschatz in Sachsen-Anhalt per handlichem Pocket-PC zu besichtigen, vormals verborgene Reliquien werden nun auf dem Bildschirm gezeigt. Der Pocket-PC als Privatführer passt gut zum neuen Profil der Kulturtouristen: Denn die sind nicht nur anspruchsvoll, sondern meist auch Individualisten.