VERKEHR
Superschnellzüge machen dem Flugzeug Konkurrenz - Streit am Oberrhein um Gütertransporte
Manche Revolutionen kommen leise daher. Der Streit beim G8-Gipfel über klimapolitische Formelkompromisse garantiert Schlagzeilen. Kaum Notiz genommen wird hingegen von einem konkreten Fortschritt: "Wir reduzieren die Zahl der täglichen Flüge von Straßburg nach Paris von zwölf auf acht", vermeldet Gilbert Lalanne, Air-France-Direktor im Elsass.
Immerhin stoßen Flugzeuge viele Klimagase aus. Der von Air France erwartete Rückgang an Passagieren um 500.000 pro Jahr hat mit den Hochgeschwindigkeitszügen zu tun, die seit dem 10. Juni zwischen Stuttgart, Straßburg und Paris sowie zwischen Frankfurt und der Seine fahren und die Reisezeit drastisch verkürzen. Marie-Pierre Meynard, Regionalchefin der Staatsbahn SNCF: "Wir erwarten auf der Strecke Straßburg-Paris drei Millionen Passagiere im Jahr" - eine Verdoppelung der heutigen Auslastung auf diesem Teilabschnitt mit besonders viel Zugverkehr.
Manche Revolutionen verheddern sich im politischen Kleinklein. Der Streit ums liebe Geld, vor allem aber der Widerstand in der Bevölkerung gegen ein drittes und viertes Gleis zwischen Karlsruhe und Basel verzögern ein zentrales verkehrs- und umweltpolitisches Projekt in Westeuropa um Jahre: den Ausbau der Güterzugtrasse Rotterdam-Mailand, von dem eine spürbare Verlagerung von Warentransporten auf die Schiene erhofft wird. Willi Stächele, Staatsminister in Stuttgart, spricht von einer "europapolitischen Herausforderung". Eigentlich hat sich die Bundesrepublik gegenüber der Schweiz vertraglich verpflichtet, die Kapazitäten der Rheintalbahn bis 2016 massiv zu erweitern, um eine bessere Schienenanknüpfung an den neuen Gotthard-Tunnel zu gewährleisten, dessen Fertigstellung für 2015 avisiert ist. Aber was will man machen, wenn der Protest von Gemeinderäten, Bürgermeistern und Bürgerinitiativen gegen befürchtete Lärmbelastungen die Planungen immer wieder in Frage stellt? Der Start der Superzüge zwischen Paris, Frankfurt und Stuttgart sowie der Ausbau der Rheintaltrasse markieren eine Zäsur im Bahnverkehr.
Zu der europäischen Dimension dieser Umbrüche will der regionalpolitische Zoff in Baden indes nicht so recht passen. Gewerkelt wird derzeit nur kurz vor Basel am neuen Katzenbergtunnel, der 500 Millionen Euro kostet. Ansonsten aber herrscht weithin Stillstand. Natürlich sind Rathauschefs, Landräte und Kommunalparlamentarier wie auch die 17.000 in Bürgerinitiativen organisierten Badener für die ökologisch gebotene Verfrachtung von Güterverkehr auf die Schiene. Gleichwohl aber macht man mit Demos, Versammlungen und Petitionen seit Jahren wegen der Eingriffe in die Landschaft und des heraufbeschworenen Lärmterrors gegen das Vorhaben der Bahn mobil: So nicht! Beim Freiburger Regierungspräsidium wurden 20.000 Einwendungen gegen das dritte und vierte Gleis eingereicht. Gefordert werden bessere Lärmschutzwände, mehr Tunnels, Trassen in Tieflage und leisere Züge. All diese Verbesserungen würden Mehrkosten in Milliardenhöhe provozieren. Minister Stächele mahnt denn auch die Bundesregierung und den Bundestag als Finanziers, die bislang für den Schienenausbau im Rheintal vorgesehenen 3,3 Milliarden Euro auf 4,3 Milliarden aufzustocken: "Wir erwarten von Berlin, dass genügend Geld bereitgestellt wird".
Der Dauerclinch hat zur Folge, dass auch bei der Bahn inzwischen von 2020 als Fertigstellungstermin die Rede ist, Skeptiker rechnen sogar eher mit 2025. Diese Verschiebung unterminiert freilich den Vertrag mit der Schweiz. Die Eidgenossen bohren derzeit einen neuen Eisenbahntunnel durch den Gotthard, der mit 57 Kilometern der längste der Welt sein wird. 250 Güter- und Personenzüge sollen täglich durch diese Alpenröhre rollen und die Schweizer Straßen entlasten. Das funktioniert aber nur, wenn der internationale Gütertransit über das Nadelöhr Oberrhein bereits über die Schiene herangeführt wird. Und da geraten die Deutschen zusehends in Verzug.
Im Vergleich zum badischen Schienenkrieg muten die Probleme, mit denen die deutsch-französischen Schnellzugverbindungen zu kämpfen hatten, harmlos an. Kernstück ist die neue Trasse zwischen Paris und Baudrecourt bei Metz, wo sich die Linie Richtung Saarbrücken/Frankfurt und Straßburg/Stuttgart gabelt: Auf dieser 300-Kilometer-Strecke rasen die Züge 320 Stundenkilometer. 340 Brücken und Viadukte mussten zeitraubend gebaut werden, und die milliardenteure Finanzierung war nur schwer zu stemmen.
Von Stuttgart nach Paris braucht der französische TGV knapp vier statt bislang sechs Stunden. Zwischen Frankfurt und Paris benötigt der deutsche ICE statt über sechs Stunden ebenfalls nicht einmal mehr vier Stunden, von Saarbrücken an die Seine sind es nur 110 Minuten. Wenn die Trassen zwischen Baudrecourt und Straßburg sowie dem Saarland ebenfalls aufgerüstet sind, geht alles noch schneller. Dann könnten Reisende auch zwischen Paris und Frankfurt sowie Stuttgart den TGV und ICE dem Flugzeug vorziehen. Dass zwei nationale Bahnunternehmen eine Hochgeschwindigkeitsstrecke gemeinsam betreiben, ist europaweit eine Premiere. Auch das darf als kleine Revolution gelten.