Stichwahl in Guatemala
Kriminalität ist Hauptthema im Rennen um das Präsidentenamt
Überfall im fahrenden Linienbus. Mit gezückter Waffe sammeln die drei tätowierten Jugendlichen Bargeld und Mobiltelefone ein. Einer der Fahrgäste, ebenfalls bewaffnet, wehrt sich. Es folgt ein Feuergefecht. Zwei Menschen sterben, eine Kurznotiz in den Zeitungen des nächsten Tages. Es ist Alltag in einem unvorstellbar gewalttätigen Land. Die Alltagsgewalt ist das alleinige Wahlkampfthema im laufenden Rennen um die Präsidentschaft Guatemalas.
Zwei extrem unterschiedliche Kandidaten stehen sich in der Stichwahl am 4. November gegenüber: der Sozialdemokrat Álvaro Colom, 56, und der gleichaltrige Ex-General Otto Pérez Molina. Alle Umfragen deuten auf ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Kandidaten hin.
Der linksgerichtete Colom gilt als guter Stratege, ist aber ein unerträglich miserabler Redner, wie selbst Anhänger zugeben. Er plädiert für die "solidarische Hand" und sieht in der Armut die Ursache der Gewalt. Bereits zwei Mal ist Colom im Rennen um das höchste Staatsamt gescheitert. Doch diesmal stehen seine Chancen so gut wie noch nie. In der ersten Wahlrunde am 9. September kam er mit 28 Prozent der Stimmen auf den ersten Platz. Besonders viele Wähler fand er in den ländlichen Gebieten, wo die meist verarmten Indios wohnen, die Nachfahren der Maya.
Der rechtsgerichtete Pérez Molina hingegen blickt stets entschlossen drein und redet gerne mit gereckter Faust. Er spricht von der "harten Hand" und plädiert für Todesstrafe und Notstandsrecht. Im ersten Wahlgang kam er mit 24 Prozent der Stimmen auf den zweiten Platz. Besonders gute Ergebnisse erzielte Pérez Molina im Hauptstadtdistrikt - dort, wo die Gewalt am höchsten ist.
Sechzehn Morde werden täglich in Guatemala verübt. Aufgeklärt werden nur zwei Prozent. "Guatemala ist so etwas wie ein Narco-Staat", erklärt Manfredo Marroquín, Direktor der Wahlbeobachtergruppe "Bürgeraktion" in Guatemala Stadt. Das mittelamerikanische Land ist die Drehscheibe für den Kokaintransport zwischen Kolumbien und den USA. Die Drogenmafia hat damit das Land im Griff. Viele Bürgermeister, Abgeordnete, Polizeioffiziere und Beamte stehen im Verdacht, mit den Drogenkartellen zusammenzuarbeiten. Genaues weiß man nicht. Die Justiz ist längst kollabiert.
"Pérez Molina hat die Unsicherheit und Verzweiflung der Menschen sehr gut ausgenutzt", sagt Marroquín. Da spielt selbst die Vergangenheit des Kandidaten keine Rolle. Im Bürgerkrieg der 80er-Jahre, als die Armee zahlreiche Massaker an den Indios verübte, war Molina militärischer Geheimdienstchef. Das muss im autoritätsgläubigen Guatemala kein Nachteil sein. Der Ex-General verkauft sich geschickt als einer, der zupackt, und sammelt damit Punkte gegen den intellektuell wirkenden Colom.
Colom hingegen "ist sehr begabt darin, Allianzen zu schmieden", analysiert Marroquín. Und darum habe der Sozialdemokrat die besseren Chancen, die Wahlempfehlungen derjenigen Kandidaten zu bekommen, die den Einzug in die Stichwahl verpasst haben. Keine große Rolle spielt dabei die Empfehlung derjenigen Kandidatin, die noch vor wenigen Monaten im Ausland als Hoffnung Guatemalas gehandelt wurde, der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú. Die erste indigene Präsidentschaftsanwärterin Guatemalas kam in der ersten Wahlrunde auf drei Prozent. Menchú selbst führte ihr schlechtes Abschneiden auf den tief sitzenden "Rassismus" gegenüber den Indios zurück. Marroquín hingegen sagt: "Die Leute zollen ihr Respekt für den Friedensnobelpreis. Sie sehen sie aber nicht als Politikerin."