Bundeshaushalt
Kaum ist das aktuelle Budget beschlossen, beginnen die Arbeiten am neuen Entwurf
Im November, wenn es früh dunkel wird in Berlin, brennt im Saal 2.400 des Paul-Löbe-Hauses und den umliegenden Büros das Licht oft bis in die Nacht. Der Haushaltsausschuss, mit 41 Mitgliedern der größte Ausschuss des Bundestages, legt letzte Hand an den Haushalt, der dann wenig später in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet werden wird.
Das Haushaltsgesetz ist das umfangreichste und vermutlich wichtigste Gesetz in jedem Jahr. Hier findet sich in Zahlen festgehalten, welche Politik die Bundesrepublik Deutschland auf Bundesebene macht. Wenn der Bundestag will, kann er hier seine ganze Macht gegenüber der Regierung ausspielen - auch wenn das erfahrungsgemäß eher im Kleinen geschieht als im großen Maßstab. Die Haushälter im Bundestag haben jedenfalls wie die dafür Zuständigen in der Regierung ein besonderes Selbstbewusstsein. "Der Ausschuss genießt im Vergleich zu allen anderen eine besondere Stellung", sagt sein Vorsitzender Otto Fricke (FDP).
Bis zu den entscheidenden Tagen der so genannten Bereinigungssitzung im November ist es ein langer Weg. Die Arbeit am nächsten Haushalt fängt im Grunde schon kurz nach dem Inkrafttreten des aktuellen Etats an. Ist der Haushalt rechtzeitig fertig, was außerhalb von den Jahren nach einer Bundestagswahl fast immer der Fall ist, tritt er zum 1. Januar in Kraft. Jedes Ministerium kann nachlesen, was es wofür ausgeben darf. Jede andere Verwendung des Geldes ist illegal, Überschreitungen müssen erst der Finanzminister und dann der Haushaltsausschuss genehmigen, das sind die über- und außerplanmäßigen Ausgaben.
Bereits im Februar verschickt der jeweilige Finanzminister das "Aufstellungsschreiben". Darin werden die Ministerien aufgefordert, ihre Vorschläge für den nächsten Etat zu machen. Damit nicht jedes Haus aufschreibt, was ihm gerade so einfällt, werden auch politische Vorgaben gemacht. Dazu gehört etwa der Hinweis auf die Finanzplanung, die Ausgabensteigerungen nur in begrenztem Rahmen zulässt oder sogar Einsparungen verlangt.
Jedes Ressort hat seine eigenen Haushaltsreferate, die die Ausgaben steuern und auch die Zahlen für den nächsten Etat zusammenschreiben. Von März bis Juni finden die Vorverhandlungen statt. Die Haushaltsexperten der Ministerien verhandeln mit den entsprechenden zuständigen Referenten im Finanzministerium (BMF). Nach und nach wird über strittige Punkte diskutiert, vieles wird abgeräumt, anderes an die nächste Ebene gegeben.
Der Haushaltsstaatssekretär, aktuell Werner Gatzer, verhandelt zuletzt mit seinen Kollegen in den Ministerien. Ganz am Ende stehen, wo es nötig ist, die so genannten Chefgespräche zwischen dem Finanz- minister und seinen Kolleginnen und Kollegen.
Natürlich gibt es Vorgaben von Koalition und Kabinett. Wenn etwa das Elterngeld eingeführt wird, stehen die erwarteten Kosten bereits im Elterngeldgesetz und die Familienministerin muss darüber keinen Streit anfangen. Bei vielen kleinen Akzentsetzungen oder beim Wunsch nach mehr Personal wäre ein Minister aber schlecht beraten, bei der Kanzlerin Hilfe zu suchen: In aller Regel müssen die Kabinettsmitglieder mögliche Streitpunkte direkt mit dem Finanzminister ausfechten.
Dass das mit etwas weniger Druck geschieht, wenn wie derzeit jede Steuerschätzung Mehreinnahmen voraussagt, ist klar. Aber zumindest die zuständigen Beamten haben alle auch schon andere Zeiten erlebt, in denen während der Aufstellung des Haushalts ständig neue Sparbeiträge gesucht werden mussten. Anders als in den vergangenen Jahren gab es früher auch spektakuläre Streitigkeiten im Kabinett über den Haushalt, etwa Anfang der 70er-Jahre, als die Mitglieder des Kabinetts Willy Brandt viele Milliarden mehr ausgeben wollten als Finanzminister Alex Möller (SPD) für richtig hielt - schließlich trat Möller zurück.
Irgendwann im Juni nimmt das Werk Gestalt an, die rund 200 Beamten und Angestellten in der Haushaltsabteilung des BMF tragen die Einzelpunkte zusammen. Im Haushaltsentwurf für 2008, der gerade beraten wird, sind es 194 Kapitel, 368 Titelgruppen und 6681 Ein- und Ausgabetitel. Die größten Brocken werden oft erst am Schluss geklärt.
Nach der Mai-Steuerschätzung, die die zu erwartenden Einnahmen mehrere Jahre im Voraus zu erfassen versucht, steht die zu erwartende Haushaltslücke fest, also der Unterschied zwischen Steuer- und Zolleinnahmen auf der einen und den geplanten Ausgaben auf der anderen Seite. Die Lücke kann durch Sondereinnahmen etwa in Form von Verkäufen staatlichen Eigentums oder durch Neuverschuldung gedeckt werden, wie das seit Jahrzehnten in unterschiedlicher Größenordnung praktiziert wird. Peer Steinbrück könnte, wenn die Konjunktur weiter so gut läuft, das Glück haben, der erste Finanzminister seit den 60er-Jahren zu sein, der einen Überschuss in einen Haushaltsentwurf schreiben darf.
Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause wird der Haushaltsentwurf im Kabinett beschlossen. An der Sitzung nimmt traditionell auch der Bundesbankpräsident teil, schließlich geht es stets auch um das wirtschaftliche Umfeld. Ein Bundeshaushalt mit 280 Milliarden Euro Volumen beeinflusst die Gesamtwirtschaft erheblich, er kann belebend oder eher restriktiv auf die Gesamtwirtschaft wirken. Letzteres war in den vergangenen Jahren oft der Fall, weil die Ausgaben des Staates langsamer wuchsen als die von Wirtschaft und Privathaushalten.
Per Mail und als Drucksache werden die Entwürfe dann an die Abgeordneten verschickt. Die aktuelle Druckfassung des Haushaltes fürdas Jahr 2008 wiegt 5,7 Kilogramm und ist 2.940 Seiten stark. Dafür steht auch wirklich jede Einzelheit drin. Ein Beispiel aus dem Haushalt des Bundesverkehrsministeriums, dem Einzelplan 12, für 2007: Dem Präsidenten des Bundesamtes für Güterverkehr stehen im ganzen Jahr genau 500 Euro für "außergewöhnlichen Aufwand aus dienstlicher Veranlassung in besonderen Fällen" zu - etwa Erfrischungsgetränke bei Besprechungen aus besonderem Anlass. 7.000 Euro Zuschuss gibt der Bund für die Seefahrtsstatistik bei der See-Berufsgenossenschaft. Jeder Autobahnausbau wird einzeln erfasst. Bei den anderen Ministerien sind die Vorgaben genauso detailliert.
Nach der parlamentarischen Sommerpause findet traditionell die erste Beratung des Haushalts im Bundestag statt. In der Sommerzeit müssen die Mitglieder des Haushaltsausschusses zumindest Teile des Zahlen-werkes durchlesen. Für jeden der 22 Einzelpläne gibt es "Berichterstatter" der Fraktionen, weil keiner alle Ministerien überblicken kann. Mit dieser langen Pause zwischen Kabinettsbeschluss und erster Lesung sind nicht mehr alle Fraktionen glücklich.
Die Grünen etwa fordern, dass der Bundestag vor dem Sommer schon den Ausgaberahmen für die Ministerien beschließen soll und später die Einzelheiten. "Unser Problem ist, dass wir oft intensiv über Posten von 5 oder 10 Millionen Euro diskutieren und dann plötzlich die Milliarden-Stellschrauben verändert werden", sagt Anna Lührmann von den Grünen, das jüngste Mitglied des Ausschusses.
Tatsächlich hat die Regierung in diesem Jahr noch vor der ersten Beratungsrunde im Bundestag bei ihrer Klausur in Meseberg Festlegungen getroffen, die zumindest die Finanzplanung ab 2009 beeinflussen. Schlüsseldaten des Haushaltes wie etwa die Neuverschuldung können sich bis zur zweiten Steuerschätzung des Jahres Anfang November immer wieder ändern. Der Haushaltsausschuss kann zwar einzelne Vorhaben stutzen oder aufstocken, durch Stellenstreichung oder -schaffung Karrieren erschweren oder fördern, er ist aber auch bis zu einem gewissen Grad abhängig von den politischen Vorgaben der jeweiligen Koalition und von den Experten im Milliardenverschieben im Ministerium.
Hochmut gegenüber dem Ausschuss hat sich allerdings noch für keinen Minister ausgezahlt. Wer den Ausschuss verärgert, wird eben öfter zitiert. In den späten 90er-Jahren, als der Finanzminister noch Theo Waigel (CSU) hieß, mussten die Minister manchmal reihenweise in den Ausschussetagen im Bonner Abgeordnetenhochhaus "Langer Eugen" hoch über dem Rhein antreten. "Ministerballett" nannten das spöttisch die Haushälter.
Die Mitglieder des Ausschusses eint fraktionsübergreifend das Bewusstsein einer besonderen Macht. Ohne Geld in den entsprechenden Haushaltstiteln kann kein Minister arbeiten, gibt es keine neuen Dienstwagen und keine Broschüren, die die Arbeit des jeweiligen Ressortchefs loben. Im Haushaltsausschuss verkörpert sich die Macht des Parlaments, das Haushaltsrecht ist eines der konstitutiven Elemente der Gewaltenteilung in modernen Demokratien. Oft ist vom "Königsrecht" des Parlaments die Rede. Die Kontrollfunktion gegenüber der Regierung drückt sich auch darin aus, dass der Vorsitzende stets aus der Opposition kommt. Der Haushaltsausschuss kann auch der erste Schritt für die weitere politische Karriere sein, so hat etwa SPD-Fraktionschef Peter Struck als Haushälter begonnen.
Nach der ersten Lesung beginnt die Hauptarbeit des Ausschusses. Punkt für Punkt wird diskutiert, Koalition wie Opposition bringen zahlreiche Änderungsvorschläge ein. Meist sind diese mit Deckungsvorschlägen verbunden, also für eine vorgeschlagene Zusatzausgabe gibt es auch einen Sparvorschlag an anderer Stelle. Die Grünen etwa wollen für 2008 mehr Geld für das geplante Klimaschutzprogramm locker machen, im vergangenen Jahr wurden fraktionsübergreifend zusätzliche Millionen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus eingestellt. Auch wenn der Haushalt jedes Jahr neu beschlossen werden muss, viele Ausgaben lassen sich nicht einfach so verändern. Der größte Einzelbrocken, der Zuschuss an die Rentenkassen in Höhe von 76 Milliarden Euro in 2008, garantiert die gesetzlich festgelegten Rentenzahlungen. Neben solchen "Leistungsgesetzen" gibt es auch Investitionsausgaben, die schon vorher feststehen. Bahnstrecken, Bürogebäude, Kasernen und das neue Transportflugzeug für die Bundeswehr werden bestellt und dann über Jahre gebaut oder geliefert. Jeder Haushalt erfüllt in den Vorjahren eingegangene Verpflichtungen und in jedem Etat stehen neue Festlegungen für die nächsten Jahre. Das sind die so genannten Verpflichtungsermächtigungen. Die Verwaltung wird ermächtigt, Verträge für kommende Jahre zu schließen und hat die Zusage des Parlaments, das das Geld dafür auch vorhanden sein wird. Der Haushaltsausschuss kann sich vorbehalten, Teilausgaben einzelnen zu genehmigen, etwa um Kostensteigerungen früh entgegenwirken zu können.
Ebenso lange vorher stehen große Teile der Personalausgaben fest, denn die meisten Beschäftigten des Bundes sind Beamte oder Angestellte. Veränderungen gehen langsam voran: Um jeweils 1,5 Prozent wurde in den vergangenen Jahren die Stellenzahl beim Bund reduziert. Für 2008 wird die Reduktion nach dem Vorschlag der Regierung auf 0,75 Prozent halbiert und dann beendet, weil es nach Ansicht vieler Minister keinen größeren Personalüberschuss mehr gibt. Die genaue Vorgabe zeigt, dass die Ministerien nicht einfach Geld für das Personal bekommen: Es wird ein Stellenplan beschlossen, in dem steht, wie viele Stellen von der höchsten Besoldungsgruppe B 11 (Staatssekretär) bis zu niedrigsten A 2 (Hauptamtsgehilfe) in jeder Dienststelle besetzt werden dürfen - der Verteidigungsminister etwa darf 2008 laut Entwurf 203 Generale verschiedener Gehaltsstufen beschäftigen.
Die Arbeit am Haushaltsplan endet an einem Donnerstagabend im November - traditionell bei einem Glas Wein, bevor die Ergebnisse am nächsten Tag in der Bundespressekonferenz vorgestellt und etwa zwei Wochen später im Bundestagsplenum abschließend beraten werden.
Die wenigsten Bundesbürger werden im Haushalt das "Schicksalsbuch der Nation" sehen oder sich die Mühe machen, Teile des Haushaltsplans zu lesen. Dennoch hat jeder Bürger jedes Jahr mit den Auswirkungen des Bundeshaushalts zu tun. Und jeder Bürger finanziert den Haushalt mit seinen Steuern. Wenn andere Politiker die Haushälter als "Pfennigfuchser" bezeichnen, können die stets auf ihre Verantwortung gegenüber den Steuerzahlern verweisen.