PESTIZIDE
EP will bedenkliche Stoffe aus dem Verkehr ziehen
Die Idee war listig, der Zeitpunkt sorgfältig ausgesucht. Im Juli 2007 machten sich Verbraucherschützer auf zum Supermarkt des EU-Parlaments in Brüssel. Sie kauften leckere Erdbeeren, knackige Weintrauben, frische Aprikosen. Das Obst wurde fest verpackt und mitgenommen: nicht zum Picknick, sondern ins Labor. Das Ergebnis bekamen die EU-Parlamentarier Mitte Oktober präsentiert. Einen veritablen Giftcocktail hatte die Organisation "Friends of the Earth" im Obst entdeckt - nicht weniger als 28 verschiedene Pestizid-Rückstände. "In drei Obstproben wurden die gesetzlichen Grenzwerte weit überschritten", berichteten die Verbraucherschützer.
Derart aufgescheucht gingen die EU-Abgeordneten am 23. Oktober in die Plenarabstimmung zum neuen Pestizid-Paket der EU. Das Ergebnis ist ein Gesetzentwurf, der deutlich schärfer ist als der Vorschlag der EU-Kommission. "Eine Sternstunde für den Gesundheits- und Verbraucherschutz", frohlockte die Grünen-Abgeordnete Hiltrud Breyer, die die Vorlage vorbereitet hatte.
Etliche gesundheitlich bedenkliche Pflanzenschutz-Wirkstoffe sollen danach schon bald verboten werden. Ebenso wie die Kommission haben die Abgeordneten Wirkstoffe im Visier, die nachweislich Krebs erregen, das Erbgut oder die Fortpflanzungsfähigkeit schädigen können. Darüber hinaus wollen die Parlamentarier auch Substanzen verbannen, die das Gehirn oder das Immunsystem beeinträchtigen können. Befürchtet werden etwa Krankheiten wie Parkinson. Weitere bedenkliche Pestizide sollen innerhalb einer Frist von fünf Jahren vom Markt verschwinden, wenn harmlosere Alternativen verfügbar sind.
Auf diese Weise sollen die 15 Jahre alten EU-Vorschriften über Zulassung und Einsatz von Pestiziden modernisiert werden. Die Abgeordneten reagierten nicht nur auf wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch auf wachsende Ängste der Verbraucher: Denn Pestiziden in Obst und Gemüse ist mit Wasser nur teilweise beizukommen; laut Kontrolleuren gelangen sie häufig in und unter die Schale.
Die EU-Pläne sind ein saurer Apfel für die Pflanzenschutz-Industrie, die in Europa über sechs Milliarden Euro jährlich um-setzt. "Mehr als zwei Drittel der insgesamt am häufigsten verwendeten Mittel werden vom Markt verschwinden", prognostizierte Volker Koch-Achelpöhler, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Agrar (IVA) nach der Abstimmung. Zum Verband gehören unter anderem Großkonzerne wie BASF, Bayer und Syngenta.
Nach Meinung konservativer und liberaler EU-Abgeordneter ist das Problem weit kom-plexer als es sich zunächst darstellt. Die Verkleinerung der Pestizid-Palette, so etwa der FDP-Parlamentarier Holger Krahmer, könnte aus ökologischer und gesundheitlicher Sicht durchaus einen Schuss nach hinten bedeuten.
Denn im Kampf gegen Unkräuter und Käfer arbeiten Landwirte derzeit nach einem fein ausgeklügelten "Baukasten"-Prinzip, um die Bildung von Resistenzen zu vermeiden. "Stehen weniger Mittel zur Verfügung, führt das zur Resistenzbildung und zu einem höheren Verbrauch der verbleibenden Produkte", erklärte der europäische Pflanzenschutz-Verband ECPA.
"Pragmatismus statt Ideologie" hätte daher
die ers
te Lesung bestimmen müssen, schimpfte Krahmer nach dem
Votum:"Der Verdacht, ein Stoff könnte gefährlich sein,
reicht künf-tig aus, um ihn vom Markt zu verbannen." Die
CSU-Parlamentarierin Anja Weisgerber warnte unterdessen davor, dass
neben den Preisen auch die Importe aus Ländern steigen
könnten, in denen die Verwendung von giftigen Chemikalien kaum
kontrolliert werde.
Die Parlamentsmehrheit allerdings wollte sich an die rigorose Linie halten, die der Umweltausschuss vorgezeichnet hatte. Die Wettbewerbsfähigkeit Europas werde gestärkt, argumentierte die Berichterstatterin Breyer. Schließlich würden Anreize für die Entwicklung innovativer Produkte geschaffen, argumentiert sie.
Mit einer wichtigen Forderung jedoch konnten sich die Umwelt-Hardliner im Parlament nicht durchsetzen. Der Umweltausschuss hatte pauschale Reduktionsziele angepeilt: Innerhalb von zehn Jahren sollte die in der EU ausgebrachte Pestizidmenge von derzeit über 200.000 Tonnen auf die Hälfte verringert werden. Die Vorgabe wurde gekippt, sehr zur Erleichterung der Industrie- und Bauernverbände. Reduziert werden sollen jetzt nur Risikosubstanzen.
Zufrieden ist die Chemieindustrie auch darüber, dass Flughäfen und Bahngleise von den Plänen nicht betroffen sind. "Unkraut im Gleisbett setzt die Sicherheit und Pünktlichkeit der Züge aufs Spiel", sagte IVA-Geschäftsführer Koch-Achelpöhler. Auf Flughäfen sei der Gifteinsatz gegen Nagetiere lebenswichtig, weil sonst große Jagdvögel angelockt würden, die mit Flugzeugen kollidieren könnten. Die Landwirte und die Pestizid-Produzenten hoffen nun, dass die EU-Regierungen den Entwurf noch weiter entschärfen. Mitte Dezember könnte der Ministerrat sich auf eine gemeinsame Position einigen. Kommt die Vorlage zügig durch die zweite Lesung, könnten die Gesetze Ende 2008 verabschie-det werden.