Die Macht der Bilder
Wie die Junta Birma und seine Menschen zu isolieren versucht. Ein Reisebericht.
Das Händeklatschen der Massen dringt zunächst in Wellen an unsere Ohren, wird lauter und ebbt wieder ab, immer wieder. Wir haben eine Vermutung, aber noch sehen wir nicht, woher der Lärm kommt. Als wir einige Minuten später an der Sule-Pagode im Zentrum Ranguns ankommen, umringt von tausenden Demonstranten, sind wir plötzlich Teil des Geschehens: Passanten schieben uns vom Bürgersteig auf die Straße, direkt vor die demonstrierenden Mönche, damit wir einen besseren Blick haben. "Picture, picture", ruft ein junger Mann und bedeutet uns, Fotos von der dunkelroten Karawane vor uns zu machen. Stolz schwingt in seinen Gesten mit. Ich fotografiere hektisch, wissend, dass es in Birma auch Leute gibt, die es nicht gern sehen. Alle kennen die Macht der Bilder.
Zwei Tage später werden die buddhistischen Mönche und Nonnen und ihre zivilen Anhänger tatsächlich die Topmeldung im weltweiten Nachrichtenstrom, wenn auch anders, als es sich der junge Mann vorgestellt hatte. Denn es ist nicht die friedliche Botschaft für Demokratie in Birma, sondern es sind die Schüsse auf Mönche in einer zutiefst buddhistisch geprägten Gesellschaft, die dazu führen. Der Konflikt war eskaliert, so wie 1988. Damals hatte die Armee einen Aufstand blutig niedergeschlagen, 3.000 Menschen wurden ermordet - fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit. Aber die Hoffnung auf ein Ende der Militärdiktatur, die das rohstoffreiche, aber verarmte Land in Südostasien seit fast einem halben Jahrhundert beherrscht, blieb. Und 20 Jahre später, dank Internet und Handy, finden die Bilder des Protests auch ihren Weg nach draußen.
Aber wir waren nicht dort "draußen" - und das war ein gewaltiger Unterschied. Wir saßen am 26. September, dem Tag der Eskalation, im Zug Richtung Norden. 31 Stunden dauerte die Fahrt - hinein ins Innere des Landes, hinein in einen fast informationslosen Raum. Denn die Bilder der Toten, die "um die Welt gingen" waren nicht für uns und die dörfliche Idylle am Inle-See bestimmt. Am Ufer dieses Sees, der mit seinen schwimmenden Bootsmärkten eines der wichtigsten Touristenziele des Landes ist, schien der Alltag nur durch die abendlichen Stromausfälle gestört, ja selbst das nicht wirklich, denn routiniert warfen die Einheimischen sofort ihre privaten Generatoren an.
Uns konnten keine Bilder schockieren, denn die zensierten Zeitungen und Nachrichtensendungen zeigten sie nicht. Wir verstanden auch fast nichts von dem, was die BBC uns zwischen Rauschen und Knacken über unseren Weltempfänger mitteilte. Unser Hotelbesitzer wusste vage etwas von Toten in Rangun. Es waren mehr Gerüchte, denn richtige Informationen. Als die Regierung dann das Internet landesweit sperrte, wurde uns die Abgeschiedenheit, die wir eigentlich suchten, unheimlich. Die Informationen "gingen um die Welt", aber das hieß für uns, "um uns herum": Willkommen im Paralleluniversum.
So wanderten wir also los, durch eine mit Kakteen und Aloe Vera-Pflanzen durchzogene Hügellandschaft. Dörfer aus Bambushütten zogen an uns vorbei, und hätten wir ihnen ihre Armut nicht schon von außen angesehen, hätten wir auch das romantisch finden können. Drinnen fanden wir oft nicht mehr als eine Matte auf dem Boden und einen Kessel auf einer Feuerstelle. Aber wir fanden auch eine überwältigende Freundlichkeit. Das Lächeln der Birmanen begleitete uns in Gedanken bis nach Berlin zurück. Auch die Erinnerung an ihr Staunen; einige hatten noch nie in ihrem Leben "Weiße" gesehen und schon gar nicht solch immenses Schuhwerk, wie es ein auf eine Wandertour natürlich perfekt vorbereiteter westlicher Tourist an den Füßen trägt. Darüber konnten die Bauern, die ihre Gemüsekiepen in Flipflops kilometerweit zum nächsten Markt schleppen, nur lachen.
Von einer auf die andere Sekunde wich jedoch die Milde aus den Gesichtern der Bauernfamilie, bei der wir die zweite Nacht verbrachten. Zunächst hatten wir nur unsere touristische Pflicht erfüllt und von jedem Mitglied ein Foto gemacht. Doch das Display auf meiner Digitalkamera zeigte ihnen auch die Bilder der Demonstration aus Rangun. Wir verstanden ihre Sprache zwar kaum, aber wir konnten in ihren plötzlich nervösen Gesichtern die Sorge erkennen. "Hier in der Natur gibt es keine schlechten Nachrichten, hier gibt es nur die Ruhe", sagte die 84-jährige Großmutter des Drei-Generationen-Haushalts. Wir erkannten, dass sie noch weniger wussten als wir, dass sie erst recht keine Bilder von den Ereignissen gesehen hatten und dass zumindest die Jüngeren gern noch mehr gesehen hätten. Sie waren aufgewühlt, und plötzlich wurde uns die Macht der Bilder wieder bewusst.
Die Digitalkamera machte uns, die wir selbst fast nichts wussten, zu einer begehrten Informationsquelle. Und ihr Display machte aus lächelnden Birmanen plötzlich angstvoll blickende, aber eben auch wissende Menschen. Immer wieder erlebten wir diese Gemütsverwandlung.
Die Macht der Bilder beförderte Birma für Wochen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Plötzlich waren unsere Familien und Freunde bestens informiert über die Brutalität des Militärregimes, darüber, dass es dank des florierenden Schmuggels über die chinesische Grenze in Birma bald keine Teakholzwälder mehr geben wird und dass man sich auch im Westen gern mit birmanischen Edelsteinen schmückt.
Und nun? Die Isolierung der Menschen bröckelt, aber die Masse der Birmanen, wir haben es erlebt, ist noch immer von wichtigen Informationen ausgeschlossen. Sie suchen danach, und sei es auf einer Digitalkamera von Touristen, von denen sie mehr als nur Geld erhoffen.