Erinnerungen
Sari Nusseibeh über sein Leben und den israelisch-palästinensischen Konflikt
Das Bild der Palästinenser in Europa ist alles andere als differenziert. Mal begegnen sie uns als hasserfüllte Terroristen, wenn sie sich als Selbstmordattentäter zusammen mit einem Schulbus israelischer Schulkinder in die Luft sprengen. Dann wieder als Opfer einer rigiden Besatzungspolitik, wenn Jugendliche mit Steinen nach israelischen Kampfpanzern werfen. Uniformierte Kämpfer, die mit ihren Kalaschnikows vor den Kameras posieren, weinende Mütter, die nach einem Luftangriff um ihre Kinder trauern - diese Bilder sind vertraut.
Einen Platz für andere Gestalten zwischen all den Kämpfern, Terroristen, Steine werfenden Jugendlichen und weinenden Mütter scheint es kaum zu geben. Wo bleiben Ärzte, Wissenschaftler oder Intellektuelle? Sari Nusseibeh, Rektor der arabischen Al-Quds-Universität in Jerusalem, gehört ohne Zweifel zur intellektuellen Elite seines Volkes. Das beweist auch sein kürzlich erschienenes Buch "Es war einmal ein Land", in dem der 1949 geborene Nusseibeh seine persönlichen Lebenserinnerungen mit der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konfliktes verbindet.
Sein Buch ist ein Plädoyer für den Frieden, für den Ausgleich mit den Israelis. Es ist aber auch ein Plädoyer gegen die israelische Besatzung und für einen eigenständigen Staat Palästina. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Nusseibeh. Und seine Lebensgeschichte zeigt, wie schwer es ist, das eine Ziel anzustreben ohne das andere dabei zu verraten.
Nusseibeh entstammt einer alten und angesehenen Familie, die ihren Stammbaum bis in die Tage des Kalifen Omar zurückverfolgt, der im Jahr 638 Jerusalem erobert - und zwar ohne Blutvergießen, wie der Autor betont. Schon in seiner Kindheit habe diese Begebenheit zu seinen Lieblingsgeschichten gehört. Der Traum von der friedlichen Eroberung ist ihm geblieben.
Als Ost-Jerusalem 1967 von den Israelis erobert wird, studiert Nusseibeh gerade in Oxford. Und während die "Kinder der Privilegierten und Gebildeten in Scharen" Palästina verlassen, entschließt er sich zur Rückkehr in die Heimat. Während der ersten Intifada wird er dem engeren Führungskreis der PLO angehören, später der Palästinensischen Autonomiebehörde und für kurze Zeit ist er Arafats Vertrauter in Jerusalem. Im Jahr 1995 wird er schließlich Rektor der Al-Quds-Universität. Politisch bleibt er aber aktiv und plädiert unverdrossen für eine friedliche Lösung des Konfliktes und für einen eigenen Palästinenserstaat.
Feinde hat er sich auf beiden Seiten gemacht. Er sei ein "Wolf im Schafspelz", "das menschliche Antlitz des palästinensischen Terrors", warfen ihm einst israelische Sicherheitsexperten vor. Vielleicht liegt seine Gefährlichkeit darin begründet, dass sich ein promovierter Politikwissenschaftler und Philosoph nicht so einfach in die Schublade des Terroristen stecken lässt.
Bei vielen Palästinensern geriet er umgekehrt spätestens in Misskredit, als er sich im Jahr 2003 dafür aussprach, auf ein Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge nach Israel notfalls zu verzichten, so schmerzlich dies auch sei. Dieses umstrittene Zugeständnis war Teil jenes Friedensplans, den er zusammen mit dem früheren israelischen Geheimdienstchef Ami Ayalon ausarbeitete, und der eine Rückkehr zu den Grenzen von 1967 vorsah.
Zuweilen lässt die Lektüre auf über 500 Seiten vom Frieden träumen, lässt Nusseibeh selbst als naiven Träumer erscheinen. Dann wieder reißt der Autor seine Leser aus allen Träumen, wenn er den Bombenterror der Hamas, der jede Friedensinitiative untergräbt, ebenso geißelt wie den Bau jener Mauer, der die Israelis vermeintlich vor dem Terror schützen soll: "Die Mauer ist das perfekte Verbrechen, weil sie die Gewalt heraufbeschwört, die zu verhindern sie angeblich errichtet wurde. Es ist so, wie wenn man jemanden in einen Käfig steckt und seine verständlichen Proteste als Beweis seiner Gewalttätigkeit hinstellt."
Verlag Antje Kunstmann, München 2008; 526 S., 24,90 ¤